Das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge 1934-1939 (Folge 17).
In den bisherigen Folgen der Serie über “Das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge 1934 bis 1939” wurde, von wenigen Ausnahmen abgesehen (wie in den Folgen 3 und 15), fast ausschließlich über politische Gefangene in jener Strafanstalt berichtet. Aber nicht nur aus politischen Gründen oder wegen “Rassenschande” Verurteilte verbüßten ihre Strafen während des “Dritten Reiches” im Zuchthaus Herford und anderen Strafanstalten. Es waren auch “gewöhnliche” kriminelle Menschen.
Auf diese Tatsache weist der Historiker Nikolaus Wachsmann in seinem 2006 veröffentlichten Standardwerk “Gefangen unter Hitler” hin:
“Natürlich saßen in den Gefängnissen gleichzeitig auch viele ´gewöhnliche´ Kriminelle ein. Denn im Gegensatz zu den Beteuerungen der NS-Propaganda, man habe das Verbrechen besiegt – ein Märchen, an das viele Deutsche auch nach 1945 noch glaubten -, verschwand die Kriminalität im Dritten Reich natürlich keineswegs. […] So galten im nationalsozialistischen Deutschland kleinkriminelle Eigentumsverbrecher, die vielfach straffällig geworden waren, oft als ´gefährliche Gewohnheitsverbrecher´ – ihre relativ harmlose Kriminalität wurde zu einer akuten Bedrohung für die ´Volksgemeinschaft´ aufgebauscht. Und auch Straftäter, die man heute noch ebenso verurteilen würde wie damals, sind im Nationalsozialismus oft Opfer brutaler Justizwillkür geworden. Ihre Geschichte ist somit unweigerlich komplex: Sie können nicht einfach als unschuldige Opfer rassistischer Verblendung oder als mutige Antifaschisten dargestellt werden – und dennoch: Verbrechen an Verbrechern sind auch Verbrechen.”
In der vorliegenden Folge über das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge soll exemplarisch auf das Verfolgungssschicksal von fünf dort inhaftierten kriminellen Straftätern eingegangen werden. Manche von ihnen waren bereits am 14. November 1934 vom Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen in das Zuchthaus Herford eingeliefert worden, das kurze Zeit zuvor noch ein Zellengefängnis gewesen war. Bisher konnten vier kriminelle Häftlinge, die zu diesem Transport gehörten, ermittelt werden: Heinrich S., Franz S., Friedrich T. und Stephan L.
Heinrich S.
Zur Gruppe der kriminellen Häftlinge im Zuchthaus Herford gehörte zum Beispiel der am 29. August 1880 in Neuss geborene, mehrfach vorbestrafte Fuhrknecht Heinrich S., der am 26. April 1934 vor dem Landgericht Düsseldorf zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden war. Sein geplantes Strafende wurde auf den 12. April 1936 festgelegt. Am 9. Juli 1934 wurde er von Düsseldorf aus zunächst in das Zuchthaus Lüttringhausen eingeliefert. Von dort wurde er – vermutlich mit einem Sammeltransport – am 14. November 1934 in das Zuchthaus Herford überführt, wo er den Rest seiner Strafe verbüßte. Ab April 1936 befand sich Heinrich S. in Sicherungsverwahrung im Zuchthaus Werl. Von dort wurde er am 9. Dezember 1942 mit einem Sammeltransport in das Konzentrationslager Mauthausen transportiert, wo er die Häftlingsnummer 16989 erhielt. Sechs Tage später wurde er in das Mauthausen-Zweiglager Gusen eingeliefert. Bereits am 26. Dezember 1942 kam Heinrich S. im KZ Gusen um.
Karl Braun
Über Karl Braun, der am 18. November 1906 in Solingen geboren wurde, hat der Wuppertaler Historiker Armin Schulte eine ausführliche biographische Skizze in seinem sehr empfehlenswerten Buch „Man soll mich nur nicht vergessen!“ veröffentlicht. Schultes Beitrag über Karl Braun ist bei der Gefängnisseelsorge online einsehbar. Über Brauns Haft im Zuchthaus Herford gibt Armin Schulte allerdings nur einen kurzen Hinweis: “Im April 1939 verzeichnet die Solinger Einwohnermeldekartei noch einmal einen Aufenthalt Brauns in der Eimterstraße 15 in Herford, dem Ort der dortigen Strafanstalt. Ob er nach der Haft in Herford jemals wieder in Freiheit entlassen wird, ist fraglich. […]” An Karl Braun, der am 5. Juni 1944 ermordet wurde, erinnert seit 2017 in Solingen, Baumstraße 39, ein „Stolperstein gegen das Vergessen“. Er ist eine von etwa 30.000 Personen, die zwischen 1940 und 1944 in der Gaskammer der Tötungsanstalt Schloss Hartheim (Österreich) mittels Kohlenmonoxid ermordet wurden.
Friedrich T.
Der Schlosser und Kraftfahrer Friedrich T., geboren am 8. April 1888 in Krefeld, war am 16. Februar 1934 unter anderem wegen Diebstahls zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren (unter Anrechnung von etwa 90 Tagen Untersuchungshaft) verurteilt worden. Sein geplantes Strafende wurde auf den 24. November 1935 festgelegt. Vom Gefängnis Krefeld wurde er am 7. März 1934 in das Zuchthaus Lüttringhausen eingeliefert. Wie Heinrich S. und Franz S. gehörte auch er zu den Häftlingen, die am 14. November 1934 von dort in das Zuchthaus Herford überführt wurden, wo er vermutlich auch den Rest seiner Strafe verbüßte. Friedrich T. kam jedoch später wieder mit dem Gesetz in Konflikt und wurde deshalb am 21. März 1939 wegen Betrugs im Rückfall zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr (unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 16 Tagen und fünf Stunden) verurteilt; geplantes Strafende: 5. März 1940. Sechs Tage nach der Verurteilung wurde er erneut in das Zuchthaus Lüttringhausen eingeliefert und bereits am 4. April 1939 von dort in das im Emsland liegende Strafgefangenenlager Aschendorf überführt. Am 20. Februar 1942 wurde er durch die Polizei in Krefeld verhaftet und am 19. März 1942 als mehrfach Vorbestrafter in das Konzentrationslager Buchenwald eingeliefert, wo er die Häftlingsnummer 7421 zugewiesen bekam. Am 30. August 1942 kam Friedrich T. im KZ Buchenwald ums Leben.
Franz S.
Der Pflasterer Franz S., der am 13.Februar 1906 in Duisburg geboren wurde und dort auch später noch wohnhaft war, war am 2. Mai 1934 wegen Diebstahls im Rückfall zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren (unter Anrechnung der Untersuchungshaft) und zu fünf Jahren Ehrverlust verurteilt worden; als Strafende war der 27. Januar 1937 geplant. Außerdem sollte er anschließend in Sicherungsverwahrung genommen werden. Vom Gefängnis Anrath aus wurde er am 19. Februar 1934 in das Zuchthaus Lüttringhausen eingeliefert und am 14. November 1934 von dort in die kurz vorher in ein Zuchthaus umgewandelte Strafanstalt Herford überführt. Später wurde er in Sicherungsverwahrung genommen; wo und wie lange er noch inhaftiert war, ließ sich bis jetzt nicht ermitteln. Franz S. überlebte die Haft und starb am 3. August 1982 in Duisburg.
Adolf W.
Da die Quellenlage zu dem folgenden Herford-Häftling recht günstig ist (über ihn sind allein im Online-Archiv der Arolsen Archives über 20 Dokumente einsehbar!), kann sein Fall ausführlicher dargestellt werden: Der Tiefbauarbeiter Adolf W., der am 17. Januar 1898 in Wilchwa, Polen, geboren wurde und später in Krefeld wohnte, wurde am 17. Oktober 1935 wegen Einbruchdiebstahls zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt; das geplante Strafende wurde auf den 17. Juni 1937 festgesetzt. Vom Gefängnis Anrath aus wurde er am 28. Oktober 1935 in das Zuchthaus Lüttringhausen eingeliefert und am 16. März 1936 von dort in das Zuchthaus Herford überführt. Der Krefelder Tiefbauarbeiter wurde aufgrund eines Erlasses des Erbgesundheitsgerichts Bielefeld am 22. September 1936 vom Zuchthaus Herford zwecks Zwangssterilisation in das Bezirkskrankenhaus des Gefängnisses Düsseldorf-Derendorf eingeliefert. Der operative Eingriff selbst wurde am 3. Oktober 1936 durchgeführt; neun Tage danach wurde er wieder nach Herford überstellt.
Adolf W. gehörte zu den mindestens 170 Strafgefangenen der Strafanstalt Herford, die im Zeitraum von 1934 bis 1944 zwangssterilisiert wurden. Vor diesem Hintergrund ist auf diesen Aspekt in einer späteren Folge noch näher einzugehen. Am 15. Dezember 1938 wurde Adolf W. wegen Diebstahls im Rückfall zu einer Zuchthausstrafe von zehn Jahren (unter Anrechnung der Untersuchungshaft) und zu fünf Jahren Ehrverlust verurteilt. Das geplante Strafende wurde auf den 14. Oktober 1948 festgelegt; anschließend sollte Adolf W. in Sicherungsverwahrung genommen werden. Am 27. März 1939 wurde er von Krefeld wiederum in das Zuchthaus Lüttringhausen eingeliefert und am 15. Februar 1943, also über fünf Jahre vor seinem geplanten Strafende, wurde er von dort “entlassen”, um in das Konzentrationslager Buchenwald überführt zu werden. Vier Tage später, am 19. Februar 1943, wurde er durch die Kriminalpolizei Wuppertal als “Berufsverbrecher” zwecks Sicherungsverwahrung in das genannte KZ eingeliefert, wo er die Häftlingsnummer 9095 bekam. Aufgrund seiner acht Vorstrafen (sechs Jahre Gefängnis, elf Jahre und acht Monate Zuchthaus und zehn Jahre Ehrverlust) wurde für ihn Lagerstufe III angeordnet.
Nach offiziellen Angaben starb Adolf W. am 24. Juni 1943 um 5.15 Uhr im Häftlingskrankenbau des Konzentrationslagers Buchenwald, angeblich an Lungentuberkulose. Sein Nachlass wurde am 9. Juli 1943 von dort an die Kriminalpolizei Krefeld zur Aushändigung an die in Krefeld wohnende geschiedene Ehefrau von Adolf W. gesandt. Mit Schreiben vom 20. Juli 1943 teilte die Kriminalabteilung der Ortspolizeibehörde Krefeld der Effektenkammer des Konzentrationslagers Buchenwald mit, dass die im Nachlass-Verzeichnis aufgeführten Effekten am selben Tag der geschiedenen Ehefrau von Adolf W. gegen Quittung ausgehändigt wurden.
Armin Breidenbach
Quellen und Literatur
- Arolsen Archives, Online-Archiv: Verschiedene Dokumente
- Fleermann, Bastian, Henkel, Peter und Jakobs, Hildegard: „Im Namen des Volkes…“ Das Düsseldorfer Oberlandesgericht und die Justiz im Nationalsozialismus, [Kleine Schriftenreihe der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, Bd. 9], Düsseldorf 2018
- KZ-Gedenkstätte Mauthausen: Datenbankauszug zu Heinrich S. (Stand: 19.3.2019)
- Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland, Duisburg: Gerichte Rep. 331, Nr. 8
- Stadtarchiv Duisburg: Schriftliche Auskunft vom 19.9.2023
- Schulte, Armin: „Man soll mich nur nicht vergessen!“ Stolpersteine in Solingen – Schicksale 1933 – 1945, hrsg. vom Stadtarchiv Solingen, Remscheid 2020
- Wachsmann, Nikolaus: Gefangen unter Hitler. Justizterror und Strafvollzug im NS-Staat, München 2006
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