Nach dem Krieg und der Befreiung durch die Alliierten waren die Gefängnisse ebenso am Boden. Unsicherheit macht sich breit. Ebenso wie vor 1945 wurde der Zweck des Strafvollzugs primär in der Sühne für begangenes Unrecht gesehen, während sich sein Bildungsauftrag in einer Erziehung zu Ordnung und Arbeit erschöpfte. Erst im Laufe der sechziger Jahre begann sich das Bild allmählich zu wandeln.

 

Im Jahresbericht des Herforder Pfarrers Heinrich Michel aus dem Jahr 1949 und 1955 spricht der Geistliche von den Problematiken: „Schon die anfänglichen Einfühlungen in die Psyche der Gefangenen offenbaren neben den allgemeinen Merkmalen dieser Wachstums- und Werdejahren mit ihren besonderen Schwierigkeiten einen recht weitgehend Schwund der Anerkennung der verpflichtenden Wirkung staatlicher Gesetze. Das Bewusstsein, dass staatliche Gesetze nicht menschlicher Willkür entstammen, sondern zuletzt in der lex naturalis als Ausfluss der Schöpfungsordnung und in der lex dei positiva fundieren, ist bei vielen Gefangenen nicht wenig verkümmert. Die Ursachen hierfür sind in der allgemeinen Säkularisierung des gesamten Lebens zu suchen.“

„Zur Beichte fremde Herren herangezogen“

„Gegenüber den ersten Nachkriegsjahren ist unzweifelhaft eine negative Struktur und Haltung der Zugänge, die zumeist Vorbestrafte sind, festzustellen. Das macht eine echte Kontaktgewinnung nicht leichter. Die freiwillige Teilnahme am Gottesdienst, der der gelegentlich ein Chor von draußen sang, und Unterricht war so gut vollzählig. […] Die Zahl der noch nicht zur Erstbeichte und Erstkommunion geführten Gefangenen ist sehr zurückgegangen. Einige jedoch wurden vorbereitet bis zur letzten Zurüstung in der Heimat. Zu den Festtagen wurde der Kirchenchor der Stadtgemeinde und zu den ausreichend gebotenen Beichtgelegenheiten fremde Herren herangezogen. Die Verbindung zu den Fürsorgevereinen wurde sorgfältig gepflegt und geführt.“

HF 1923 alt

Strafvollzugsgeistliche in der Weimarer Republik

Kirchen

Knastkirche der JVA Herford in den 60er Jahren

"Katholische Strafvollzugspfarrer tagen vom 8. - 11. Juni 1953 zum vierten Mal seit 1950", so die Mitteilung eines Artikels der Fuldaer Zeitung. An diesem Treffen mit 130 TeilnehmerInnen nehmen zum ersten Mal die katholischen Fürsorge- und SeelsorgshelferInnen teil. Der Mitgliedsbeitrag zur Konferenz betrug damals 30 DM. In den 60er Jahren geht die Veränderung der Katholischen Kirche mit dem II. Vatikanischen Konzil einher. Dazu schreibt Oberpfarrer Heinrich Michel aus dem Jugendvollzug der JVA Herford weiter folgendes:

"Im Hinblick auf die im Konzil ausgehende liturgische Erneuerung wurde die für 1964 angeregte sakrale Erneuerung im Kirchenraum zurückgestellt. Für die jedoch mögliche Anschaffung einer Krippe standen die finanziellen Mittel nicht zur Verfügung. [...] Die Forderung nach Disziplin und Selbstzucht in Wort und Verhalten sowohl bei den einzelnen als vorab in der Gruppe und großen Menge als Mittel zur Persönlichkeitsgewinnung hat ihre hohe Bedeutung. [...] Das Katholikentagswort: `Wandelt euch durch ein neues Denken` gilt nicht nur den eingesperrten Kriminellen."

 

29. Januar 2024
Kommunistische Häftlinge im Zuchthaus Herford
Das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge 1934–1939 (Folge 8). Titelfoto: KPD Wahlplakat in den 50er Jahren (Foto: Imago). Nach Leonore Ansorg sind mit dem Begriff des politischen Gefangenen „diejenigen Häftlinge erfasst, die von der NS-Justiz wegen politischer Straftaten verurteilt wurden. Dazu gehörten in den dreißiger Jahren […]
20. Dezember 2020
Erinnerungen: Sonderbesuch als Tropfen auf den heißen Stein
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16. Dezember 2020
„Da liegt auch der Paul!“ Häftlinge 1945 erschossen
Beim Massaker in der Wenzelnbergschlucht wurden am 13. April 1945 auf Langenfelder Stadtgebiet (Kreis Mettmann, Nordrhein-Westfalen) in einer Schlucht des Wenzelnbergs im Zuge von Kriegsendphasenverbrechen 71 Inhaftierte aus dem Zuchthaus Lüttringhausen von Gestapo-Leuten hingerichtet. Die Leichen wurden nach dem Krieg unter Aufsicht amerikanischer Besatzungssoldaten von lokal […]
8. Mai 2020
Ethisch und politisch aus der Geschichte lernen
Fast medial unbemerkt haben die deutschen Bischöfe Ende April 2020 eine lesenswerte Erklärung und ihr Wort zum Ende des Zweiten Weltkrieges veröffentlicht. Sie beleuchten durchaus kritisch die Rolle ihrer Amtsvorgänger in den Jahren des nationalsozialistischen Herrschaftsstaates. Damit machen sie deutlich, dass wir auch heute nicht daran […]
2. Dezember 2020
Erinnerungen: Niemand war‘s und keiner hat’s gesehen
„Nichts von dem, was hier über die Arbeit als Gefängnisseelsorger und die Erlebnisse dort niederschreibe, ist wahr; obwohl sich alles fast so ereignet hat. Der Haken? Ich kann nichts beweisen. Darum ist es nicht wahr. Meine Erfahrung in mehr als 13 Jahren Tätigkeit im Strafvollzug ist: […]
5. Mai 2019
Geschichte: Die Tendenz zur Verharmlosung besteht
Was ist ein angemessener Umgang mit unserer deutschen Vergangenheit? Kann es überhaupt eine „angemessene“ Antwort geben, die dauerhaft Bestand hat? Muss unsere Haltung nicht vielmehr immer wieder neu gegen die Anfragen und Verharmlosungen jeder neuen Generation justiert werden? Ein Blick auf die Jahrzehnte seit Kriegsende zeigt […]
Knastschlüssel