Um zu Gefangenen auf dem Hohenasperg bei Stuttgart zu gehen, musste ich morgens kein Opfer bringen. Ich bin gerne zu den Gefangenen gegangen. Was ist es, was mich zu Menschen hinzieht, die andere abstoßen? Wie kann ich mich wohl fühlen unter Kriminellen? Das mag kein gutes Licht auf mich werfen, aber zu mir gehören auch dunkle Seiten. 

 

Wenn ich meine Fantasien, heimlichen Wünsche anschaue, sehe ich, dass ich eine Menge krimineller Energie in mir habe. In meiner Fantasie habe ich auch schon das eine oder andere Ding gedreht, eine Bank überfallen. Und ich habe auch schon ein paar Leichen im Keller. Nun gibt es Menschen, die das getan haben, was ich manchmal auch gerne tun möchte. Heimlich sympathisiere ich mit ihnen, bewundere sie vielleicht sogar, weil sie das tun, wozu ich viel zu viel Angst habe. Aufgrund meiner Sozialisation und Erziehung sind bei mir Sicherungen und Bremsen eingebaut, die mich daran hindern, mein kriminelles Ich auszuleben.

Abseits
In der Reihe „Gott im Abseits" trifft die kirchenferne Journalistin Merih Ugur auf den Gefängnisseelsorger Gabriel Zörnig in der Jugendanstalt Neustrelitz. Die eigene Spiritualität spielt in der Arbeit hinter Gittern eine große Rolle.
"Es gibt viele Menschen, die glauben. Die einen an den christlichen Gott, Allah, Buddha, eine höhere Macht, andere an Aliens oder was auch immer. Ich gehöre nicht dazu...", sagt Ugur.

In manchem Straftäter begegne ich meinem nicht gelebten Leben. Und das kann durchaus anziehend sein. Manche Tat mag noch so verwerflich sein, sie zeigt aber, wozu wir Menschen fähig sind. Kinderschänder, Mörder oder Betrüger sind keine zugeschrieben Bestien, sondern Menschen. Auch wenn ihnen dies oft aberkannt werden will. Ein wichtiger Beweggrund, die Inhaftierten in ihren Zellen aufzusuchen, war für mich der Freund der Sünder, Jesus von Nazareth. Ich will unvoreingenommen auf die Gefangenen zugehen, ohne Berührungsangst, und ohne die Absicht, sie bekehren zu wollen. Ich selbst bin durch die so genannten "Gottlosen" Jesus näher gekommen als durch mein Theologiestudium. „Ich war im Gefängnis, und du bist zu mir gekommen“ - frei nach Matthäus 25, 36.

Petrus Ceelen | Ehemaliger Gefängnisseelsorger und Autor

13. März 2024
An den Menschen glauben heißt an Gott glauben
In manchen Begegnungen lerne ich wieder neu glauben. Vor einigen Tagen besuchte ich eine 55-jährige Frau, die mit fortgeschrittener Krebserkrankung in der Klinik behandelt wurde. Sie erzählte von ihrer Familie, den Kindern und Enkeln und welche Freude sie mit ihnen hat. Und sie erzählte von ihrer […]
4. März 2024
Würde ist unverfügbar und muss nicht erleistet werden
Ein sogenannter Werkstatt-Tag fand mit pastoralem Personal in einer Akademie statt, der überschrieben wurde mit dem Wort „Würde“. Natürlich ist die Würde groß geschrieben und nicht die zahllosen kleinen „ich würde“, die wir oftmals so unverbindlich brauchen. Denn Würde ist etwas Verbindliches und Menschen verbindendes. Ich […]
3. März 2024
Hilfloses Zucken des überholten festgefahrenen Machtapparats
Vieles scheint sich in unserer Gesellschaft und den Kirchen aufzulösen. Vor allem in bisher für irgendwie selbstverständlich gehaltenen Sicherheiten: sich auf eine stabile Demokratie verlassen können – anzunehmen, dass Gewaltlosigkeit der Friedensweg ist – in der Kirche eine wertschätzende Unterstützung zum Glauben finden – das Vertrauen […]
26. Februar 2024
Opfergedanken in Glaubensleben eingeschlichen
Sollte das wirklich möglich sein? Sollte es stimmen, was Abraham offensichtlich für möglich gehalten hat: Gott fordert einen Menschen als Opfer? Gott fordert, dass Menschen das Liebste, das sie haben, opfern? Die Natur macht vor solchen Forderungen nicht Halt: Sie ist ungerecht und nimmt das Liebste […]
17. Februar 2024
Wüstenerfahrung: Und führe uns – Nicht in Versuchung
Unmittelbar nachdem Jesus in der Taufe am Jordan erfahren hat, der geliebte Sohn Gottes zu sein, wird Jesus vom Geist in die Wüste getrieben, in die Wüste der Versuchung. So berichtet es uns das Markusevangelium und markiert den Beginn des öffentlichen Weges Jesu mit diesem existentiellen […]
5. Februar 2024
Fallt vor mir nicht auf die Knie, sondern macht Euch auf
Jesus ist ein Wanderprediger. Er bleibt nicht am gleichen Ort. Dabei wäre das so verlockend gewesen: „Alle suchen dich“ – sagen Simon und seine Begleiter zu Jesus, als sie ihn endlich fanden. Denn immerhin war der Vortag ein voller Erfolg gewesen: Zahlreiche Heilungen werden berichtet, die […]
22. Januar 2024
Relative Wahrheit: Auf den Hörenden situativ bezogen
Wer meint, Ninive sei eine Sache der Archäologen und Jona eine Figur aus vergangener Zeit, täuscht sich. Als das Buch Jona geschrieben wurde, war Ninive schon 150 Jahre zerstört. Offenbar ging es dem Autor nicht um eine historische Erzählung, sondern um ein Gleichnis für seine Zeit […]
16. Januar 2024
Kainszeichen: Kettenreaktion von Tat und Rache unterbrechen
Das Kainszeichen: Was genau war das eigentlich für ein Zeichen? Das steht nämlich nicht da. Aber es muss etwas sehr Deutliches gewesen sein. So dass jeder versteht: Dieser Mann wird nicht angefasst. Egal, was er gemacht hat. Egal, wie gerechtfertigt es wäre, ihn umzubringen. Wie menschlich […]
13. Januar 2024
Die Suche nach einem Ort des Aufgehobenseins
Die Holzkunst von Marion Jochner ist überraschend anders als die traditionelle im bayerischen Oberammergau. So führen ihre Werke wie die kleinen Engel mit Hörnern oder der vom Kreuz herabsteigende Christus immer wieder zu anregenden Gesprächen. „Ich kann nicht an einen Gott glauben, der seinen Sohn opfert“, […]
Knastschlüssel