Die Kirche(n) müssen sich weiter öffnen, sich aus geschlossenen Räumen und Systemen zurückziehen, und sich den Menschen zuwenden. Pfingsten sei das Fest, das dazu ermutige und Wege eröffnen kann. „Draußen vor den Kirchtürmen, mitten in der Stadt und in der Welt, ist der eigentlich spannende Ort, um von Gott zu reden und zu Erfahrungen mit Gott einzuladen“, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing am Pfingstsonntag in Limburg.
Am Pfingstfest werde die Richtung der eröffnenden Türen offenbar. Die Türen zeigten den Weg von drinnen nach draußen. Die Apostel verließen ihr Obergemach und stellten sich der Öffentlichkeit. Diese Botschaft gelte auch in Corona-Zeiten. Viele Wochen lang sei das Leben in Deutschland heruntergefahren gewesen. Nun wache die Gesellschaft allmählich wieder auf und es gelte eine Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu finden, solange die Gefahr der Pandemie nicht gebannt ist. Nun sei auch die Zeit, in der sich viele wieder vorwagten – die fröhlich Unbesorgten genauso wie die tief Besorgten und leider auch die extrem Ausgerichteten. „Seltsame Koalitionen von völlig berechtigten Anliegen mit solchen von Esoterikern und Verschwörungstheoretikern, von rechten und linken Demonstranten wollen diesen öffentlichen Raum als erste besetzen.
Mit teils kruden Thesen und Forderungen, die leider sogar in hohen kirchlichen Kreisen Widerhall gefunden haben, bleiben sie, wenn auch lautstark und hässlich aggressiv bisher eine Randerscheinung“, erläutert Bischof Bätzing. Die Mehrheit der Bürger sei mit der zeitweisen Einschränkung der bürgerlichen Freiheit einverstanden gewesen und die Wirkung der Maßnahmen zeige Erfolg bei der Eingrenzung und Versorgung von Erkrankten.
Ist Kirche systemrelevant?
Der Bischof habe sich in den vergangenen Wochen oft die Frage gestellt, ob Kirche und Religion systemrelevant seien. Bei allen Lockerungen, bei aller wunderbarer Kreativität und einer erstaunlichen Breite medialer Angebote, seien die Grundvollzüge der Seelsorge weiterhin erheblich eingeschränkt. Es habe ihn gefreut, dass der Bundespräsident die Haltung der Kirchen mit ihren Angeboten öffentlich gelobt habe. Dennoch sei er sehr beunruhigt, wenn ihm Krankenhausseelsorger erzählten, von denen man annehme, sie seien in Corona-Zeiten besonders gefordert, sie würden von der säkularen Welt nicht mehr als relevant wahrgenommen werden, obwohl sie präsent sein wollten.
Diese Erfahrung, nicht relevant zu sein, sei nicht neu, sondern schon seit Jahrzehnten präsent, und könne sich nun durchaus beschleunigen. „Die Gottesfrage könnte in der Öffentlichkeit noch mehr verstummen und ins Private abgedrängt werden, die Gottesdienste könnten noch leerer werden, die Plausibilität des christlichen Welt- und Menschenbildes noch heftiger einbrechen. Ja, diese Krisenzeit verschärft die Zeitansage an die Kirche. Wir müssen uns ihr stellen, sie durchdringen und miteinander darauf antworten“, sagt Bätzing.
Sich nicht verbarrikadieren
Gerade mit Blick auf diese Erfahrung kämen die Pfingstbotschaft und das Zeugnis von Papst Franziskus wieder neu ins Spiel. Franziskus sei derjenige, der beständig Tore öffne, sich an Ränder und Grenzen begebe, auf die Menschen zugehe und einen Aufbruch in der Kirche fordere. Die Frage sei nun, auf welche Weise es gelingen könne, diesem Ruf zu folgen. Vielleicht helfe dabei ein Blick auf die Apostel. „Wir sind geneigt, das Pfingstbild der Apostelgeschichte in dem Gegensatz von Angst und neuem Mut zu lesen. Aber die Apostelgeschichte weiß gar nichts von verschlossenen Türen, hinter denen sich die JüngerInnen ängstlich verbarrikadiert hätten“, erklärt der Bischof.
Dieses Bild der verschlossenen Türen und ängstlichen JüngerInnen stamme aus den Ostererzählungen nach dem Evangelisten Johannes. Die Apostelgeschichte erzähle vielmehr, wie die JüngerInnen der Weisung Jesus gefolgt und deshalb betend und einmütig zusammengeblieben seien. Erst dann habe sie der Geist des Herrn ergriffen und sie mit seinen sieben Gaben – der Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Enthaltsamkeit – beschenkt. Mit diesen Gaben ausgestattet, hätten sich die JüngerInnen am Pfingsttag der Öffentlichkeit gestellt.
Selbstherrliche Ab- und Ausgrenzung vertragen sich nicht
Die sieben Gaben des Heiligen Geistes seien nicht nur Geschenke an die JüngerInnen, sondern Optionen, zu denen der Geist Jesu Christi alle Menschen befähige. „Offene Aggression und Zwietracht, drängelnde Ungeduld, selbstherrliche Ab- und Ausgrenzung, Bosheit und Verantwortungslosigkeit vertragen sich nicht damit. Wer als Christ hart, unduldsam und lieblos auftritt und damit meint, die Wahrheit des Glaubens verteidigen zu können, der ist auf dem Holzweg, auch wenn er äußerlich noch so fromm daherkommt“, sagte der Bischof. Der Geist Christi führe zu Entscheidungen, wähle dabei jedoch stets Wege, die Menschen aufrichteten und zueinander führten. Er tröste, reinige, wärme, löse, heile und gönne Ruhe und Erfrischung. An Pfingsten sei das erste Kapitel in der langen Geschichte der Kirche aufgeschlagen worden. „Unsere Zeit und ihre Zeitansage legen nahe, dass wir ein neues Kapitel des Christseins mitschreiben. Jesus traut es uns zu. Türen auf und hinaus“, ermutigt Bischof Georg Bätzing.
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Leider erlebe ich bei der katholischen Kirche seit Jahren keine geöffneten Türen. Ich habe den Eindruck, dass vor allem die Priester zurückgewandt agieren und die Realität(en) nicht sehen oder sehen wollen. Sie verbarrikadieren sich in ihrer Liturgie und in ihrem Klerikalismus. Strittige Themen darf man/frau trotz „synodalen Weg“ nicht weiter diskutieren, weil die (katholische) Kirche gottgewollt sei. Immer mehr ereignet sich ein stiller Auszug aus Volkskirche. Es spricht die alte Angst, dass die Kirchen leer bleiben und die Menschen sich womöglich privat ihre Meinung bilden… Und warum Türen öffnen, wo kaum noch jemand reinkommen möchte… Es nützt alles nichts, sich offen und liberal zu zeigen, wenn sich tief verwurzelte, amtstheologische Zwänge in den internen Kreisen behaupten. Es geht ausschließlich um das Christentum und dessen Wahrheit. Dies wird mit schönen Worten dekoriert, um eine vermeintliche Freiheit zur Schau zu stellen, die es, tiefer nachgefragt, in diesem von Oben-nach-Unten Systemen letztlich nur bis dahin gibt, wo die verkündete Liberalität ihre Grenzen hat. Wer sich da nicht (ein)fügt kann gehen und wird ausgeschlossen. Vor allem als pastorale/r Mitarbeiter/in. Dieses System wird ebenso von religiösen und nichtreligiös-faszinierten Menschen bewusst oder unbewusst unterstützt, die gut gemeint und unkritisch gegenüber ihrer Kirche und anderer Kirchen jeglicher Art sind.