Woher stammst du? Wer sind deine Eltern, Großeltern, Urgroßeltern? Was sind ihre Geschichten? Wer gab dir deinen Namen? Welche Eigenschaften sind in dir von deinen Vorfahren? Welche ihrer Weisheiten haben dich zu leben gelehrt? Wenn du deine Abstammung in Lebenslinien malen würdest, welche Farben würden vorkommen? Was, glaubst du, hat bis zu dir hin getragen durch all die Generationen hindurch?

Krippenfigur im Hohen Dom Paderborn.
Manchmal ertappen wir uns selbst, wie wir in bestimmten Situationen dieselben Sprüche bringen wie unsere Eltern. Wir übernehmen nicht nur körperliche Merkmale, sondern auch bestimmte Verhaltensweisen unserer Vorfahren, manchmal gelten sie uns als bewährte Hilfe, manchmal aber auch als Last. So sind wir wie eingewoben in all die bunten Fäden, die inzwischen ein Gewebe der Vergangenheit bilden. Da ist viel Schönes und auch viel Leid, Aufbrüche und Abgründe, Hoffnungen und Enttäuschungen – und darin irgendwann auch das Ja, das uns hat werden lassen.
Keine/r hat eine reine Weste
Die Würdigung des eigenen Ursprungs, anzusehen, woher wir kommen und was uns geprägt hat, ist das biblische Thema des vierten Adventsonntages. Das Matthäusevangelium beginnt mit den Worten „Buch des Ursprungs Jesu“, um dann einige Personen aus alten biblischen Geschichten zu benennen, die als Vorfahren des Jesus von Nazareth gelten. Dabei geht es nicht um einen Stammbaum im Sinne einer biologischen Abstammung, sondern um menschliche Geschichten durch alle Generationen hindurch, die nicht irgendwo enden, sondern bereits etwas in sich haben, das öffnet und Zukunft bedeutet. Die meisten Personen, die in der langen Liste des Matthäus genannt sind, sind Männer, geschuldet der patriarchalen Weltsicht seiner Zeit, aber auch einige Frauen kommen vor. Es sind alles Menschen, die geliebt und verführt haben, die geführt und missbraucht haben, Krieg Führende und Frieden Stiftende. Keine und keiner von ihnen hatte eine reine Weste, sie alle trugen das menschliche Gewand von Freude und Hoffnung, von Trauer und Leid. Schließlich werden die Eltern Jesu in dieser Abstammungsliste genannt: Maria und Josef.
Barmherzigkeit statt strikte Befolgung
Nüchtern erzählt das Matthäusevangelium, dass Maria schwanger ist, aber eben nicht von Josef, an den sie sich im Sinne des damaligen Eherechts durch die Verlobung bereits gebunden hatte – mit ihrer ungeklärten Schwangerschaft galt sie als Ehebrecherin. Josef wollte sie deshalb „in aller Stille“ verlassen, um sie vor Strafverfolgung zu schützen. Diese Haltung lässt ihn im Sinne des Evangeliums als gerecht erscheinen, denn Josef setzt auf Barmherzigkeit statt auf eine strikte Befolgung des religiösen Gesetzes. In diesen Erfahrungen von Zweifel und Unsicherheit, aber auch von Treue und Mut reihen sich Maria und Josef ein in das bunte Gewebe der Lebenslinien ihrer Vorfahren. Ihr Kind Jesus erwächst aus diesem Ursprung, so, als wenn seine Spur schon von Anfang an in all den Menschen grundgelegt war. Dies deutet dem Josef, der sich nun als Vater des Kindes anerkennt, ein Engel im Traum. So hört er, dass die Menschen das Kind einen Immanuel nennen werden, das heißt „Gott mit uns“. All die langen Wege, die Umwege und Irrwege, die die Vorfahren bereits gegangen waren und die Maria und Josef nun weitergehen, trugen bereits diese Botschaft in sich: Gott mit uns. Gut, dass sie nicht stehengeblieben sind, sondern in aller Unsicherheit und mit allem Zweifel doch Weitergehende geblieben sind.
Lebenslinien, die nicht ins Licht passen
Mit diesem Evangelium zurück zu der Anfangsfrage: Woher stammst du? Welche deiner Lebenslinien lassen besonders deutlich werden, dass Gott mit uns ist? Und was ist mit den Lebenslinien, die so gar nicht in dieses Licht passen, mit den Erfahrungen von Leid, von Scheitern und von Verzweiflung? Wie wäre es, besonders diese eher dunklen Lebenslinien neu anzusehen im Licht des „Gott mit uns“? Weiter zu gehen auf dem Weg bis in die Weihnacht hinein bedeutet dem Licht mehr Recht zu geben als jeder Dunkelheit.
Christoph Kunz , Matthäus 1, 18-24 / 4. Advent





