Beseelt von der Küche, die sechs Tage vor der Agneskirche in Köln gestanden hat: Die Idee ist so simpel wie effektiv gewesen. Ein Tisch, ein paar Stühle, Kaffee, etwas zu essen. In einem Raum, der heimelig und einladend ist. Ohne Schwellen und Schranken. Bedingungslos und offen. Auf einmal setzen sich Menschen hinzu. Erstmal ein wenig weiter weg. Auf die Lehne vom Sofa zum Beispiel. Die einen schweigen und hören zu. Andere erzählen, stellen Fragen, Gespräche beginnen. In die Verlorenheit hinein werden erste Verbindungen geknüpft. Menschen wenden sich einander zu. Erwidern Blicke. Einer lächelt. Ein anderer reicht die Kaffeekanne herüber. Ein anderer bringt Kuchen. Wieder andere lesen still etwas abseits und sind doch Teil des Ganzen.
Es gibt Lebendigkeit
Genau das hat die Künstlerin Christiane Rath im Kopf, wenn sie irgendwo an einem öffentlichen Platz die Küche aufstellt. Am vierten Tag hat sie mir erzählt, dass sie schon 90 Gespräche geführt hat. Abends nimmt sie sich Zeit und notiert, was sie erlebt hat. Am Ende der Aktion sind noch etliche mehr dazu gekommen. Aus dem Nichts heraus, besser gesagt: In totem verblichenem Möbel ist Lebendigkeit entstanden. Ist Verbindung gewachsen. Interesse geweckt. Daran habe ich denken müssen, als ich die Geschichte gelesen habe, die wir am Sonntag im Gottesdienst hören. Sie ist einfach wundervoll. „Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät“ lässt der Evangelist Markus Jesus sagen. Und wundervoll geht es weiter: „Dann schläft er (!) und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst und der Mann weiß nicht, wie (!).“ Ist diese Geschichte in ihrer unglaublichen Zuversicht nicht schlicht großartig?
Es wird schon keimen
Denn sie ist quasi eine Antigeschichte zu all den vielen Geschichten unserer Tage, in denen Menschen immer bessere Zahlen liefern, möglichst gut „performen“, Ergebnisse bringen, sich selbst und dann andere optimieren und in ihrem „Bereich“ immer weiter wachsen müssen. In diese durchökonomisierte Struktur hinein sagt Jesus: „Leg dich erst mal schlafen. Es wird schon keimen. Und wachsen. Und reif werden. Es wird schon.“ Ich finde diesen Gedanken super. Das Reich Gottes ist offenbar das Gegenteil einer Tube, die bis zum letzten Tropfen ausgequetscht wird. Es ist offensichtlich auch das Gegenteil von Selbstausbeutung, unmenschlichen Erwartungen, von Druck und Machtgebaren aller Art. Es muss etwas ganz anderes sein, dieses Reich. Aber was? „Gottesreich – das ist, wenn es wieder stimmt zwischen Gott und den Menschen und darum auch wieder zwischen den Menschen untereinander und dem Einzelnen im Verhältnis mit sich“ sagt der Theologe Klaus Müller. Nach seiner Priesterweihe 1984 war er im pastoralen Dienst seines Heimatbistums Regensburg tätig, später als Seelsorger der Justizvollzugsanstalt Regensburg und als Spiritual für Studierende der Theologie an der Universität Regensburg. Seit 1996 ist er Professor für philosophische Grundfragen der Theologie und Direktor des gleichnamigen Seminars an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Zum Juli 2020 wurde Müller emeritiert.
Gottes Reich nicht performbar
Mit eigenen Worten gesagt: Gottesreich ist, wenn es im Dazwischen wieder stimmt. Wenn Menschen spüren, sie sind verbunden, gehalten, getragen. Und zwar miteinander, innerhalb der Schöpfung, mit und von Gott. Gottesreich ist, wenn Menschen merken, sie gehen sich etwas an. Und wenn dieses Interesse aneinander sie trägt, den Kopf heben und ihr Herz endlich wieder höher schlagen lässt. Gottesreich ist, wenn nicht mehr Schulterzucken, „Ist mir doch egal“ und sämtliche Formen von Ignoranz die Luft zum Atmen und die Freude am Leben nehmen. Gottesreich ist, wenn ein Klima der Zuwendung Erstarrung und Traurigkeit aufzulösen beginnt. Das scheint die Saat des Gottesreiches zu sein: Wo Menschen es Gott gleichtun, den Blick heben und beginnen, sich einander zuwenden. Einander anschauen. Den Aufbau des Gottesreiches kannst du also vermutlich eher nicht „performen“. Jedenfalls nicht mit dem Blick auf das Evangelium. Er ist wohl auch nicht in den Logiken der Märkte zu entdecken. In der Steigerung von Effizienz, „Output“ und optimierten Strukturen. Gottesreich beginnt, wenn das Dazwischen wieder stimmt. Wenn sich also das Klima verändert. Wenn einer seinen Blick hebt. Irgendwo, in irgendeiner Küche vielleicht, oder eben sonst wo auf der Welt.
Peter Otten | Köln