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Der ist aus der Art geschlagen. Festgefahrene Bilder ändern

9. Juni 2024

„Der ist aus der Art geschlagen“ heißt es in einer Redewendung, und gemeint ist: da ist jemand ganz anders als er oder sie hätte sein sollen. Die biblischen Erzählungen betonen immer wieder: es sind die „Verlorenen“, denen Gottes Sorge gilt. Jesus hat in mehrfacher Hinsicht die Erfahrung machen müssen, aus dieser Art geschlagen zu sein.

Die Tochter der Juristenfamilie zum Beispiel, die Holzbildhauerin wurde. Oder der einzige Sohn, von dem die Eltern sich eine ordentliche Familie mit Enkelkindern erhofften, der ihnen jedoch irgendwann offenbarte, schwul zu sein. Und die Jugendliche, die in ihrer Familie als Junge gesehen und entsprechend erzogen wurde, während sie selbst schon lange spürt, dass sie in dieser Rolle nicht wirklich zuhause ist und nun als Mädchen lebt. Die Redewendung, dass jemand aus der Art geschlagen ist, deutet die Wucht und Erheblichkeit dieser Erfahrung an: scheinbar naturgesetzlich festgelegte Rollen sind aufgebrochen, das, was sich gehört und bisher eine sichere Zuweisung war, gilt nicht mehr. Es klingt wie ein Schlag in den Stammbaum. Eine Bedrohung, wo das Erhalten und Fortsetzen des eigenen Systems und damit auch der Machterhalt am wichtigsten ist. Wir haben leidvoll erfahren müssen, wie es ist, wenn nicht nur die Kunst, sondern auch Menschen als entartet gebrandmarkt werden.

Holzgestalten aus der Werkstatt von Ralf Knoblauch, mit ihren Kronen die Würde bezeugend. Foto: Imago

Spiegel vorhalten

Auch Jesus hat in mehrfacher Hinsicht die Erfahrung machen müssen, aus der Art geschlagen zu sein. Angesichts der vielen Leute, die zu ihm kamen, um geheilt zu werden, machten ihm die religiösen Führer voller Neid den Vorwurf, er würde Dämonen mit Hilfe Beelzebuls, also einer heidnischen Kraft, austreiben. Somit wäre er kein ausgewiesener jüdischer Heiler, sondern ein Scharlatan, ein abtrünniger Heide. Und Jesu Familie, die Mutter und Geschwister, wollten ihn nach Hause holen, da er „von Sinnen“ sei. Hatte er sich doch von der Familie losgesagt und war als Wanderprediger auf dem Weg. Damit missachtete er das damals so wichtige Gebot, in der Familie zu sein und für sie zu sorgen. Wie so oft antwortete Jesus auf diese Vorwürfe mit Gleichnissen. Er rechtfertigte sich nicht und ging auch nicht in eine kämpferische Auseinandersetzung, sondern hielt denen, die in ihren mächtigen Strukturen fest geworden waren, einen Spiegel vor: wollt ihr euch weiterhin verbarrikadieren hinter den mächtigen Mauern eurer Dogmen, ohne die Menschen draußen wahrzunehmen, oder seid ihr bereit, euch der Wirklichkeit des Lebens in all seiner Buntheit und Veränderlichkeit zu stellen – auch wenn es Machtverlust bedeutet?

Viele Heilungsgeschichten

Und dann sagte er diese so wesentlichen Worte angesichts all der um ihn herum versammelten Menschen: da sind sie, meine Geschwister! Der kleine Mann aus den Reihen der verhassten Zöllner, die als Dirne verrufene Frau, der Pharisäer, der sich nur im Schutz der Dunkelheit als ein Anhänger Jesu offenbarte, die Frau, die so lange gekrümmt wurde in religiöser Diskriminierung, bis sie sich in der Begegnung mit Jesus aufrichten konnte, der tot gesagte Mann, dem die Familie schon den Stein vors Grab gerollt hatte, das er dann auf den Ruf Jesu „Komm heraus aus allem Totgesagten“ verlassen konnte, die Tochter des römischen Hauptmanns, der sich die Grenzen von Religion und Heidentum überwindend an Jesus wandte, sie in schwerer Erkrankung zu heilen, und viele andere in dieser bunten Schar suchender und pilgernder Menschen. Sie alle fanden Heilung und wurden zum (neuen) Leben erweckt, indem sie zu Geschwistern wurden. „Wer den Willen Gottes tut, der ist mir Bruder und Schwester und Mutter“, sagt Jesus. Was er damit meinte, erzählt das Evangelium immer wieder: es sind die Verlorenen, denen Gottes Sorge gilt. So wie ein Hirte, der 99 Schafe zurücklässt, nur um das eine verlorene zu suchen. Irgendwie hat der Gott Jesu Freude an all diesen schrägen Gestalten, sind sie doch allesamt aus demselben Holz geschnitzt, gewachsen aus gemeinsamer Mutter Erde, belebt mit göttlichem Atem. Was für ein Reichtum an Geschwistern in der Menschenfamilie!

Christoph Kunz | Mk 3, 20 – 35

 

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