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Zuchthaus Herford: „Erfreulichster politischer Gefangener…“

27. März 2024

Das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge 1934-1939 (Folge 10).

Der Sozialdemokrat Hermann Runge (1902 -1975) hatte nach dem Verbot der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) am 22. Juni 1933 seine Anstellung als hauptamtlicher Sekretär der SPD in Moers verloren und war somit arbeitslos. Runge, der auch Kreisvorsitzender der Republikschutzorganisationen Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und Eisernen Front gewesen war, nahm 1934 eine Tätigkeit als Fahrer bei der Brotfabrik „Germania“ in Duisburg-Hamborn auf. Der Inhaber dieser Brotfabrik beschäftigte zahlreiche ehemals aktive Sozialdemokraten. Zusammen mit diesen baute Runge ein weitverzweigtes Widerstandsnetz auf.

Die Gefangenen 1950 machen Aufwärmübungen in der Justizvollzugsanstalt Herford: Fotos: Imago

Aus Brüssel schmuggelte die Gruppe verschiedene illegale sozialdemokratische Schriften, wie zum Beispiel den „Neuen Vorwärts“ und die „Sozialistische Aktion“, über die deutsch-belgische Grenze. Diese illegalen Schriften verteilten die Brotfahrer später zusammen mit ihren Broten bis nach Bonn, Aachen oder Bielefeld. „In seiner Hochphase erstreckte sich der Widerstandskreis im Westen bzw. Nordwesten vom Niederrhein bis ins Rheinland (Köln und Düsseldorf) und ins Dreiländereck (Aachener Raum) sowie über das gesamte Ruhrgebiet. Zudem bestanden Kontakte bis ins bergische Solingen und ins sauerländische Lüdenscheid.“

Abgeurteilte Sozialdemokraten in Herford

Ende April 1935 gelang es der Gestapo, im Westen Deutschlands die ersten Personen wegen der Verbreitung der „Sozialistischen Aktion“ festzunehmen. Eine regelrechte Verhaftungswelle schloss sich an, in deren Verlauf über 1.000 Regime-Gegner (darunter auch Hermann Runge) eingekerkert wurden. Eine Reihe der damals in dieser Angelegenheit festgenommen und abgeurteilten Sozialdemokraten mussten zumindest einen Teil ihrer Strafe im Zuchthaus Herford verbüßen, wie etwa Ernst Gnoss und Max Richter. 1934 hatten sich beispielsweise in Solingen mindestens zehn Sozialdemokraten zu einem illegalen Lesezirkel zusammengeschlossen, dem unter anderem auch Ernst Gnoss (22. Juli 1900 – 12. März 1949) und Max Richter angehörten. Ernst Gnoss erhielt von dem eingangs erwähnten Hermann Runge aus Moers die illegalen Schriften und gab sie an Max Richter weiter, der die weitere Verteilung übernahm.

Erfreulichster politischer Gefangener

Gnoss wurde am 6. August 1935 in Solingen festgenommen und noch am selben Tag in das Düsseldorfer Polizeigefängnis eingeliefert, wo er schwer gefoltert wurde; ab 13. September 1935 war er im Gerichtsgefängnis Düsseldorf-Derendorf in Untersuchungshaft. Am 11. Dezember 1936 wurde er in Düsseldorf im Prozess gegen Hermann Runge und andere vom Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu vier Jahren Zuchthaus und vier Jahren Ehrverlust verurteilt. Wolfram Köhler geht in seiner Biographie über Ernst Gnoss ausführlicher auf dessen Haft im Zuchthaus Herford ein:


Ernst Gnoss. Foto: Sbosny, Inge & Schabrod

.

„Nach seiner Verurteilung blieb Gnoss über Weihnachten noch im Gerichtsgefängnis Düsseldorf-Derendorf, ehe er Anfang Januar 1937 ins Zuchthaus Herford transportiert wurde. Hier verbüßte er seine Strafe bis zu seiner Entlassung am 31. Mai 1939. Seine Strafzeit war um die Untersuchungshaft und ‚gnadenweise‘ um ein paar weitere Wochen mit Bewährungsfrist verkürzt worden. Er selbst, sein Rechtsanwalt Steinert und seine Frau Erna hatten Anfang 1939 Gnadengesuche eingereicht. Das Zuchthaus Herford hatte die Auskunft gegeben: ‚Gnoss ist ein sehr ordentlicher Gefangener, der sich hier sehr gut einführt und auch stets fleißig gearbeitet hat.‘ Er habe an der ‚staatspolitischen Unterweisung teilgenommen‘ und ‚der Anstaltsleiter bezeichnet ihn als einen der erfreulichsten politischen Gefangenen.‘ Die Gestapo Düsseldorf hingegen war gegen vorzeitige Entlassung: ‚Gnoss ist ein alter Marxist [ … ] Bei seiner Entlassung halte ich Gnoss für staatsgefährdend.‘ Die Gestapo-Kollegen in Berlin waren anderer Ansicht und entschieden endgültig: ‚Keine Bedenken gegen einen Gnadenerweis‘. Im Zuchthaus Herford waren viele Widerstandskämpfer eingesperrt. Einer von ihnen war Dietrich Oppenberg (geboren 1917), später Verlagsleiter der ‚Neuen Ruhr/Rhein Zeitung‘ in Essen. Oppenberg hatte dem aktivistischen ‚Roten Kämpfer-Kreis‘ in Essen angehört und war 1937, gerade 20 Jahre alt, vom Oberlandesgericht Hamm zu zwei Jahren und neun Monaten Zuchthaus verurteilt worden. Als er in Herford eingeliefert wurde, habe Gnoss sich gleich um ihn gekümmert, ihm heimlich Essen besorgt und ihm erträgliche Arbeit verschafft.“


Nachhaltig geschädigt

Ende Mai 1939 wurde Gnoss aufgrund des erfolgreichen Gnadengesuchs aus dem Zuchthaus Herford entlassen. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs engagierte er sich wieder parteipolitisch. So wurde er zum Beispiel in Solingen SPD-Ortsvereinsvorsitzender, dann Sekretär und Vorsitzender des SPD-Bezirks Niederrhein sowie Mitglied des beratenden Provinzialrates der Nordrheinprovinz. 1946 wurde er der erste Landtagspräsident Nordrhein-Westfalens und zwei Jahre später Wiederaufbauminister. Am 12. März 1949 starb Ernst Gnoss aufgrund eines Lungenleidens während einer Kur im schweizerischen Davos nach einem medizinischen Eingriff. In dem ärztlichen Gutachten hieß es unter anderem: „Rückblickend muss gesagt werden, dass Herr G., der während des 3. Reiches 5 Jahre Zuchthaus verbracht hat, durch diese Strapazen nachhaltig geschädigt worden ist. […]“ Der ebenfalls wegen der Verbreitung illegaler sozialdemokratischer Schriften festgenommene Solinger Sozialdemokrat und Gewerkschaftsfunktionär Max Richter (28. Juni 1893 – 12. Januar 1955) wurde am 30. April 1936 vom IV. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm im Massenprozess gegen Erwin Welke und andere wegen des „Verbrechens der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt, die er vom 2. Mai 1936 bis zum 30. Juni 1938 im Zuchthaus Herford verbüßte.

Armin Breidenbach

Quellen und Literatur

  • Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SOPADE), Jg. 1936, Neuauflage Salzhausen 1980
  • Fischer, Thorsten und Weißmann, Jörg: Die Brotfabrik „Germania“ in Duisburg-Hamborn als Zentrum des Widerstands am Niederrhein. Online einsehbar
  • Köhler, Wolfram: Ernst Gnoss (1900-1949). Der erste Landtagspräsident von Nordrhein-Westfalen, in: Geschichte im Westen, Jahrgang 13 (1998), S. 208 – 232. Online einsehbar
  • Marßolek, Inge: Arbeiterbewegung nach dem Krieg (1945 – 1948). Am Beispiel Remscheid, Solingen, Wuppertal, Frankfurt/M. und New York 1983
  • Peukert, Detlev: Ruhrarbeiter gegen den Faschismus. Dokumentation über den Widerstand im Ruhrgebiet 1933 – 1945, Frankfurt/M. 1976
  • Stadtarchiv Lüdenscheid: Urteil gegen Erwin Welke und andere
  • Stadtarchiv Solingen: Wiedergutmachungsakte SG 16238
  • Landtatg NRW Hermann Runge | Max Leven Zentrum | Landtag NRW Ernst Gnoss

  • Stolpersteine erinnern an ehem. Häftlinge des Zuchthauses – Folge 1
  • Über das Zuchthaus Herford ist bisher nur wenig bekannt – Folge 2
  • Widerstand gegen das NS-Regime führte zu hohen Zuchthausstrafen – Folge 3
  • Einlieferung von Häftlingen in das Zuchthaus Herford – Folge 4
  • Zeitungen im „Dritten Reich“ über Prozesse gegen Antifaschisten – Folge 5
  • Über Ort und Dauer der Inhaftierung keine Informationen – Folge 6
  • Der Direktor des Zuchthauses Herford: Dr. Josef Wüllner – Folge 7
  • Kommunistische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 8
  • Solinger Kommunisten als Strafgefangene im Zuchthaus Herford – Folge 9
  • Sozialdemokratische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 10

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