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Stolpersteine erinnern an ehem. Häftlinge des Zuchthauses

4. Juli 2023

Das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge 1934–1939 (Folge 1).

Seit 1992 erinnert der Kölner Künstler Gunter Demnig mit seinen „Stolpersteinen gegen das Vergessen“ an die Menschen, die der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zum Opfer gefallen sind. Seine Messingplatten im Format 10 cm mal 10 cm, auf einem entsprechend großen Stein befestigt, geben in der Regel knappe Hinweise auf Namen, Geburtsjahr, Todesjahr und –ort, wobei der „Stolperstein“-Text in der Regel mit den Worten „Hier wohnte …“ beginnt. Mittlerweile sind sie in 1.200 deutschen Kommunen und weiteren 30 Ländern verlegt worden und „gelten als größtes dezentrales Mahnmal der Welt.“

Vor einigen Wochen verlegte Demnig seinen 100.000 „Stolperstein“. Einige wenige dieser „Stolpersteine“ erinnern an Häftlinge, die in den Jahren 1934 bis 1939 im Zuchthaus Herford eingesperrt waren, wobei die Anzahl der damals dort inhaftierten politischen Häftlinge bis jetzt ebenso unbekannt ist, wie die der aus religiösen, „rassischen“ oder anderen Gründen dort Einsitzenden. Exemplarisch soll im Folgenden auf das Verfolgungsschicksal von drei politischen Häftlingen des Zuchthauses Herford eingegangen werden, deren „Stolpersteine“ im Rahmen eines Projektes des Westdeutschen Rundfunks im Internet abgebildet worden sind.

Das damalige “Zuchthaus” Herford wurde in den Jahren 1881/82 erbaut. In der Weimarer Zeit hieß es Zellengefängnis. Seit dem Jahr 1939 dient das Gefängnis dem Jugendvollzug.

Gottfried Ballin

Gottfried Ballin, geboren am 9.4.1914 in Berlin, wohnte in Köln, wo er Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD), einer linken Abspaltung der SPD, war. Als Mitglied einer in Köln aktiven illegalen Gruppe der SAPD wurde er 1934 festgenommen und am 12.11.1934 mit einem Sammeltransport in das Gestapogefängnis Steinwache in Dortmund verbracht. Am 31.5.1935 wurde Ballin vom IV. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm im Verfahren gegen Richard Rosendahl und andere wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer Zuchthausstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die Strafverbüßung erfolgte zunächst im Zuchthaus Münster, später in den Zuchthäusern in Herford und Siegburg. Im Oktober 1939 wurde er in das KZ Sachsenhausen überführt; im Winter 1942 wurde er in das KZ Auschwitz verschleppt, wo er am 4.3.1943 ermordet wurde. In Köln, Steinfelder Gasse 8 und Vogelsanger Straße 1, erinnert je ein „Stolperstein gegen das Vergessen“ an Gottfried Ballin; allerdings wird auf beiden „Stolpersteinen“ fälschlicherweise als Haftort „Gefängnis Herford“ angegeben, obwohl Ballin damals nachweislich im Zuchthaus Herford inhaftiert war. Ausdrücklich sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass derartige Fehler nicht dem Künstler Gunter Demnig anzulasten sind.

Willi Haas

Der Bauarbeiter Willi Haas, der am 25.9.1906 in Dieringhausen, Kreis Gummersbach, geboren wurde, wohnte in Solingen-Wald. Er gehörte zu denjenigen, die als politisch Missliebige kurze Zeit nach dem Brand des Berliner Reichstagsgebäudes (27.2.1933) festgenommen worden waren: Vom 15.3. bis 22.12.1933 befand er sich in Solingen-Ohligs, in der Strafanstalt Anrath und im KZ Börgermoor in „Schutzhaft“. Laut „Stolperstein“-Inschrift war er mehrfach verhaftet worden. Ab 5.3.1937 befand er sich in Untersuchungshaft in Solingen und Wuppertal und ab 4.10.1937 in der Haftanstalt Hamm. Am 8.10.1937 wurde er vom III. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm im Prozess gegen Teichert/Trimborn wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt (Akz.: 6 O.J. 32/37). Diese Strafe verbüßte er ab 1.11.1937 im Zuchthaus Herford; am 21.12.1937 wurde er von dort in das Kommando Abelitzmoor, Verwaltung Wiesmoor, überführt, wo er bis zum 5.6.1940 verblieb. Am 29.6.1943 wurde Haas zum Bewährungsbataillon 999 eingezogen und auf dem berüchtigten Truppenübungsplatz Heuberg ausgebildet. Am 1.12.1943 wurde er nach Piräus (Griechenland) verlegt; am 15.1.1944 war er auf der Insel Leros stationiert. Im September 1944 musste sich Haas mit seiner Einheit nach Saloniki zurückziehen. Später geriet er in Kriegsgefangenschaft, in der er am 17.8.1945 in Vasac, Jugoslawien, umkam. Seit einigen Jahren erinnert an Willi Haas in Solingen, Friedrich-Ebert-Str. 32, ein „Stolperstein gegen das Vergessen“, auf dem als Haftort das „Zuchthaus Herford“ genannt wird.

Anton Deuter

Auch der Essener Bergarbeiter und Kommunist Anton Deuter, geboren am 28.5.1882 in Borbeck bei Essen, war aus politischen Gründen im Zuchthaus Herford eingesperrt gewesen. Der Sozialdemokrat Otto Meister, der dort eine Zeitlang mit ihm inhaftiert war, berichtete: „Anton Deuter war von Münster nach hier verlegt worden. Auf Zelle 32 lag ich, Anton auf Zelle 33, nebenan. Im Tütensaal saßen wir uns gegenüber. Alle politischen Probleme wurden während der Arbeitszeit durchgesprochen und auch manche hitzige Debatte geführt. Es ließ sich auch mit ihm debattieren, da er in der Arbeiterjugend groß geworden war und ein überdurchschnittliches Wissen besaß.“ Am 24. März 1938 wurde Anton Deuter in das KZ Buchenwald eingeliefert, wo er die Häftlingsnummer 1315 erhielt. Bereits einige Monate später, am 13. August 1938, kam er dort um. An ihn erinnert in Essen, Bocholder Straße 296, ein „Stolperstein gegen das Vergessen“, auf dem allerdings fälschlicherweise als Todestag der 4.10.1938 angegeben wird.

Armin Breidenbach

Quellen und Literatur

  • Grünewald, Guido: Opposition und Widerstand gegen das NS-Regime: das Beispiel Köln, in: NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln (Hrsg.): Kölner WiderstandskämpferInnen heute in Portraits der Arbeiterfotografie Köln. Gegen den braunen Strom. Ausstellung von NS-Dokumentationszentrum und Arbeiterfotografie Köln in der Alten Wache des Kölnischen Stadtmuseums, Zeughausstraße 1 – 3, Köln o. J., S. 183 – 205
  • NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln (Hrsg.): August Sanders unbeugsamer Sohn. Erich Sander als Häftling und Gefängnisfotograf im Zuchthaus Siegburg 1935 – 1944, Berlin 2015
  • Sbosny, Inge und Schabrod, Karl: Widerstand in Solingen. Aus dem Leben antifaschistischer Kämpfer, Frankfurt/M. 1975
  • Schmidt, Ernst: Lichter in der Finsternis. Widerstand und Verfolgung in Essen 1933 – 1945. Erlebnisse – Berichte – Forschungen – Gespräche, Frankfurt/M. 1979
  • Stadtarchiv Solingen: Wiedergutmachungsakte SG 15565
  • Arolsen Archives: Online-Archiv, verschiedene Dokumente
  • DeutschlandfunkStolpersteineTotenbuch Buchenwald

  • Stolpersteine erinnern an ehem. Häftlinge des Zuchthauses – Folge 1
  • Über das Zuchthaus Herford ist bisher nur wenig bekannt – Folge 2
  • Widerstand gegen das NS-Regime führte zu hohen Zuchthausstrafen – Folge 3
  • Einlieferung von Häftlingen in das Zuchthaus Herford – Folge 4
  • Zeitungen im „Dritten Reich“ über Prozesse gegen Antifaschisten – Folge 5
  • Über Ort und Dauer der Inhaftierung keine Informationen – Folge 6
  • Der Direktor des Zuchthauses Herford: Dr. Josef Wüllner – Folge 7
  • Kommunistische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 8
  • Solinger Kommunisten als Strafgefangene im Zuchthaus Herford – Folge 9
  • Sozialdemokratische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 10
  • Sozialdemokrat Fritz Steinhoff im Zuchthaus Herford – Folge 11
  • Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil I) – Folge 12
  • Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil II)Folge 13
  • Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil III) – Folge 14
  • Jüdische Häftlinge im ehemaligen Zuchthaus Herford – Folge 15
  • Vor 80 Jahren: Ehem. Häftlinge im KZ Sachsenhausen erschossen – Folge 16
  • “Gewöhnliche” kriminelle Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 17
  • Ausländische und staatenlose Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 18

 

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