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Über Ort und Dauer der Inhaftierung keine Informationen

23. November 2023

Das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge 1934–1939 (Folge 6).

Bereits in Folge 2 der Artikelserie über das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge wurde darauf hingewiesen, dass es zwar in den Printmedien und vor allem im Internet zahlreiche Beiträge über politische Häftlinge gibt, die in den Jahren 1934 bis 1939 im Zuchthaus Herford inhaftiert waren, wobei aber in vielen Fällen unerwähnt bleibt, dass der betreffende Häftling in der Strafanstalt Herford eingesperrt war, wie zum Beispiel in den biographischen Skizzen über Willi Gast, Wilhelm Karthaus, Albert Kornett, Emil Samorei und Fritz Steinhoff.

Die Historikerin Helga Grebing veröffentlicht in ihrem vor 40 Jahren herausgegebenen Buch „Lehrstücke in Solidarität“ unter anderem biographischen Skizzen von zahlreichen im „Dritten Reich“ verfolgten Sozialdemokraten und Sozialisten, wobei häufig genauere Angaben zu den Haftorten und Haftzeiten fehlen. Ein wichtiger Grund für das Fehlen derartiger Daten wird in dem Buch genannt: „Über den Ort und die Dauer der Inhaftierung von S. liegen keine Informationen vor.“

Einige Häftlinge helfen Teile des Essens in die Flügel-Abteilungen hinein zu tragen. Justizvollzugsanstalt Herford 1950. Foto: Imago

Diese Aussage von Grebing bezieht sich zwar konkret nur auf Emil Samorei, einen Sozialdemokraten aus Gelsenkirchen, dürfte aber auch für Bernhard Molz, einen Kommunisten aus Schwelm, und Heinrich Rabbich sowie ebenso für die meisten der in dem Buch genannten Antifaschisten gelten. Sowohl Samorei als auch Molz und Rabbich waren unter anderem im Zuchthaus Herford inhaftiert gewesen, obwohl dies in den Grebing-Biographien nicht erwähnt wird. Dies ist insofern erstaunlich, weil Emil Samorei in einem bei Grebing veröffentlichten Brief vom 24. August 1947 darauf hinweist, dass er zusammen mit Heinrich Rabbich in Herford inhaftiert war. Im Fall von Alfred Kornett weist Grebing zwar darauf hin, dass dieser aus politischen Gründen unter anderem in jenem Zuchthaus gefangen gehalten wurde, sie nennt jedoch keine Haftzeiten.

Entlassung oder Schutzhaft

Auch der Historiker Detlev Peukert erwähnt in seiner 1976 veröffentlichten Dokumentation „Ruhrarbeiter gegen den Faschismus“ Personen, die im Widerstand aktiv waren und deswegen zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden, die sie unter anderem im Zuchthaus Herford verbüßen mussten. Zu diesen Antifaschisten gehörten beispielsweise Ernst Gnoss, Friedrich Kamleiter, Otto Meister, Fritz Runge und Ludger Zollikofer, die in den Jahren 1934 bis 1939 in Herford zeitweise inhaftiert waren, ohne dass dieser Haftort aus dem Text ersichtlich ist. Eine bisher unbekannte Anzahl politischer und nicht politischer Gefangener, die im Zuchthaus Herford eingesperrt waren, wurden nach der Strafverbüßung nicht etwa nach Hause entlassen, sondern in „Schutzhaft“ bzw. „polizeiliche Vorbeugehaft“ genommen. Einige waren als „Schutzhäftlinge“ in Polizeigefängnissen inhaftiert, um nach einiger Zeit entlassen zu werden; andere wurden in ein Konzentrationslager eingeliefert.

Ob ein Häftling nach Verbüßung seiner Strafe aus der Strafanstalt entlassen oder in „Schutzhaft“ genommen wurde, konnte unter anderem auch von dem Gutachten abhängen, das die jeweilige Zuchthausleitung über den betreffenden Gefangenen erstellt hatte, wie das folgende Beispiel zeigt.

Der Schlosser Franz Nikolaus, geboren am 20. Mai 1912 in Essen und dort auch wohnhaft, befand sich wegen seiner Betätigung gegen das NS-Regime ab 2. Februar 1935 in Haft. Wegen Vorbereitung zum Hochverrat wurde er zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt, die er in Herford verbüßte. Wie so viele politische Gefangene wurde auch Nikolaus Franz nach Verbüßung seiner Strafe nicht nach Hause entlassen, sondern in „Schutzhaft“ genommen. Zunächst wurde er im KZ Lichtenburg gefangen gehalten; als dieses im August 1937 aufgelöst werden sollte, um in ein zentrales Frauen-KZ für das gesamte Reichsgebiet umgewandelt zu werden, wurde Nikolaus Franz am 31. Juli 1937 in das KZ Buchenwald eingeliefert, wo er die Häftlingsnummer 364 erhielt und im „Arbeitskommando Läufer“ eingesetzt war.

Detlev Peukert geht in seiner erwähnten Dokumentation nicht nur näher auf das Verfolgungsschicksal von Nikolaus Franz ein, der dem Kommunistischen Jugendverband Deutschland (KJVD) angehörte, sondern auch auf das verhängnisvolle Gutachten des damaligen Direktors des Zuchthauses Herford: „Als ein Beispiel von vielen mag das Schicksal des jungen Essener Arbeiters Nikolaus Franz gelten: Nachdem er wegen Beteiligung an Widerstandsaktionen des KJVD am 2. Februar 1937 eine zweijährige Zuchthausstrafe abgesessen hatte, befürwortete selbst die Essener Gestapostelle auf Drängen der Eltern seine Entlassung nach Hause, da er sich ja nur geringfügig und dazu noch erstmalig ‚vergangen‘ habe. Der Direktor der Strafanstalt Herford, Dr. Wüllner, belehrte die Gestapo aber eines Besseren: ‚Franz hat sich zwar hausordnungsmäßig geführt, ist aber derartig in seiner kommunistischen und staatsfeindlichen Ideenwelt befangen‘, daß Schutzhaft erforderlich sei. Darauf wurde Nikolaus Franz ins KZ Buchenwald überwiesen, wo ihn der verhängnisvolle Satz des Zuchthausdirektors über drei Jahre lang in seiner Akte begleitete und jedes Entlassungsgesuch zunichte machte, bis das KZ in lapidaren Worten seinen Tod am 17. Juni 1940 mitteilte.“

Der Effektenverwalter des KZ Buchenwald notierte auf der Rückseite einer Karteikarte, auf der die Gegenstände erfasst waren, die Nikolaus Franz bei seiner Einlieferung im KZ Buchenwald abgegeben hatte: „Der Nachlaß wurde am 29.6.40 an das Pol.-Präsidium Essen zu (sic!) Aushändigung an die in Essen wohnhaften Eltern des Verstorbenen übersandt.“ Im Jahre 2016, also 76 Jahre nach dem Tod von Nikolaus Franz, wurde in Essen, Nordhofstraße 2, ein „Stolperstein gegen das Vergessen“ für ihn verlegt, auf dem unter anderem die Haftorte Zuchthaus Herford und KZ Buchenwald genannt werden.

Armin Breidenbach

Quellen und Literatur

  • Arolsen Archives, Online-Archiv: Verschiedene Dokumente
  • Breidenbach, Armin: Widerstand und Verfolgung in Remscheid 1933 – 1945. Remscheider Widerstandskämpferinnen und -kämpfer, Oppositionelle und Verfolgte, Hrsg.: Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Kreisverband Remscheid, IG Metall Verwaltungsstelle Remscheid und DIE GRÜNEN, Kreisverband Remscheid, Selbstverlag Armin Breidenbach, Berlin 1992
  • Foitzik, Jan: Zwischen den Fronten. Zur Politik, Organisation und Funktion linker politischer Kleinorganisationen im Widerstand 1933 bis 1939/40 unter besonderer Berücksichtigung des Exils, Bonn 1986
  • Klotzbach, Kurt: Gegen den Nationalsozialismus. Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1930 – 1945. Eine historisch-politische Studie. Schriftenreihe des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung, Hannover 1969
  • Mertsching, Klaus: In der Haft ermordete, an deren Folgen gestorbene oder in den Tod getriebene Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, in: DGB / Archiv der sozialen Demokratie (Hrsg.): In die Illegalität gedrängt. Zur Flucht gezwungen. Ermordet. Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter unter nationalsozialistischer Herrschaft, Bonn 2020, S. 55 – 121. Online einsehbar
  • Lehrstücke in Solidarität. Briefe und Biographien deutscher Sozialisten 1945 – 1949, hrsg. von Helga Grebing, Stuttgart 1983

  • Peukert, Detlev: Ruhrarbeiter gegen den Faschismus. Dokumentation über den Widerstand im Ruhrgebiet 1933 – 1945, Frankfurt/M. 1976
  • Schulte, Armin: „Man soll mich nur nicht vergessen!“ Stolpersteine in Solingen – Schicksale 1933 – 1945, hrsg. vom Stadtarchiv Solingen, Remscheid 2020
  • Landtag NRW | Totenbuch Buchenwald | Gedenkstätte Lichtenburg | Stolpersteine
  • Stolpersteine erinnern an ehem. Häftlinge des Zuchthauses – Folge 1
  • Über das Zuchthaus Herford ist bisher nur wenig bekannt – Folge 2
  • Widerstand gegen NS-Regime führte zu hohen Zuchthausstrafen – Folge 3
  • Einlieferung von Häftlingen in das Zuchthaus Herford – Folge 4
  • Zeitungen im „Dritten Reich“ über Prozesse gegen Antifaschisten – Folge 5
  • Über Ort und Dauer der Inhaftierung keine Informationen – Folge 6
  • Der Direktor des Zuchthauses Herford: Dr. Josef Wüllner – Folge 7
  • Kommunistische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 8
  • Solinger Kommunisten als Strafgefangene im Zuchthaus Herford – Folge 9
  • Sozialdemokratische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 10

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