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Widerstand gegen NS-Regime führte zu hohen Zuchthausstrafen

31. August 2023

Die Umwandlung des Herforder Zellengefängnisses in ein Zuchthaus im Jahre 1934. Das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge 1934–1939 (Folge 3).

„Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten stieg die Zahl der Häftlinge insgesamt rasch an. Betrug die durchschnittliche Tagesbelegung der Vollzugsanstalten in Deutschland im Jahre 1932 ca. 63 000 Häftlinge, so stieg sie 1933 bereits auf 95.000 und 1934 lag die Gefangenenzahl bei 102.832. Bis 1937 stieg sie weiter auf fast 116.000 und hatte sich damit innerhalb von fünf Jahren fast verdoppelt. Von diesem Justizterror waren nicht nur politische Gegner betroffen, sondern auch kriminelle Straftäter.“

Mit diesen Sätzen skizziert Leonore Ansorg in ihrem Buch über den nationalsozialistischen Strafvollzug im Zuchthaus Brandenburg-Görden die allgemeine Entwicklung der Häftlingszahlen in den ersten Jahren des „Dritten Reiches“. Angesichts dieser Gefangenenzahlen kann es nicht verwundern, dass einige ehemalige Gefängnisse in Zuchthäuser umgewandelt wurden (wie zum Beispiel 1934 in Herford und 1935 in Hameln); außerdem wurden ab 1934 große Strafgefangenenlager im Emsland von der Justiz übernommen bzw. eingerichtet.

Das Bünder Tageblatt berichtete am 13. November 1934 in einem kleinen Artikel über die Umwandlung der Herforder Strafanstalt: „Um die durch die scharfe Erfassung des Gewohnheitsverbrechertums stark angewachsene Zahl der Zuchthausgefangenen unterbringen zu können, wird augenblicklich das Herforder Zellengefängnis in ein Zuchthaus umgewandelt. Der erste Transport Zuchthäusler traf dieser Tage hier ein und zugleich gingen Transporte von Strafgefangenen an andere Strafanstalten ab. Innerhalb 14 Tagen dürften die 800 Strafgefangenen gegen 600 Zuchthausgefangene ausgewechselt sein. […]“

Mitteilung im Bünder Tageblatt 13. November 1934, Seite 5.

Politische Häftlinge in Herford

Bei der Lektüre dieses Artikels fällt folgendes auf:

Es wird vor allem der Eindruck erweckt, dass die Umwandlung des Zellengefängnisses in ein Zuchthaus ausschließlich zur Inhaftierung von Kriminellen bzw. „Gewohnheitsverbrechern“ erfolgt ist. Dass dieses neue Zuchthaus in Herford aber auch für die Aufnahme von Personen, die Widerstand gegen das NS-Regime geleistet hatten und deswegen zu teilweise hohen Zuchthausstrafen verurteilt worden waren, vorgesehen war, wird in dem Artikel verschwiegen. Der Anteil der politischen Häftlinge an der Gesamtzahl der Häftlinge einer Strafanstalt konnte zuweilen recht hoch sein, wie anhand folgender Beispiele aus dem Jahr 1934 deutlich wird: „In der Strafanstalt Waldheim bei Chemnitz machten sie zum Beispiel 3/4 der 2.300 Gefangenen aus, in Hamburg-Fuhlsbüttel und in Bautzen 2/3 der jeweils 1.200 und in Remscheid-Lüttringhausen ungefähr die Hälfte der 1.400 Gefangenen.“

Wann genau der erste Häftlingstransport im Zuchthaus Herford einging, ist bis jetzt ebenso unbekannt wie die Zahl der damals verlegten politischen und nicht politischen Häftlinge. Es lässt sich aber konkret belegen, dass am 14. November 1934, also einen Tag nach Veröffentlichung des Artikels im Bünder Tageblatt, sowohl politische als auch nicht politische Häftlinge in das Zuchthaus Herford eingeliefert wurden, die vorher im Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen, untergebracht waren. Bisher konnten fünf Häftlinge, die zu diesem Transport gehörten, ermittelt werden: der politische Gefangene Wilhelm Karthaus und die nicht politischen Gefangenen Stefan L., Heinrich S., Franz S. und Friedrich T.

Überbelegung des Zuchthauses

Der Artikel des Bünder Tageblatts gibt zwar die Zahl der im Herforder Zellengefängnis Inhaftierten mit 800 an, verschweigt aber, dass dieses im November 1934 bei einer Belegungsfähigkeit für insgesamt 431 Häftlinge stark überbelegt war. Dies bedeutete, dass sich durchschnittlich zwei Häftlinge eine Zelle teilen mussten, die ursprünglich nur für einen Häftling vorgesehen war. Nach dem Artikel sollten 600 Zuchthausgefangene in die umgewandelte Herforder Strafanstalt eingewiesen werden, was ebenfalls eine Überbelegung bedeutet hätte. Es ist zu vermuten, dass nach dem November 1934 die Zahl der in Herford Inhaftierten weiter angestiegen ist. So lässt sich etwa der Häftlingspersonalakte von Paul Bloch, einem jüdischen politischen Häftling im Zuchthaus Herford, entnehmen, dass sich dieser 1936 mit zwei weiteren jüdischen politischen Gefangenen eine Einzelzelle teilen musste. Diese Überbelegung stellte aber keine Besonderheit der Strafanstalt in Herford dar, sondern war im „Dritten Reich“ üblich. So mussten sich etwa auch im Zuchthaus Lüttringhausen in der Regel drei Häftlinge eine Einzelzelle teilen.

Drei Verfolgungsschicksale

Abschließend sollen die Verfolgungsschicksale von drei der fünf Häftlinge kurz skizziert werden, die am 14. November 1934 vom Zuchthaus Lüttringhausen in das Zuchthaus Herford überführt wurden.

Wilhelm Karthaus

Der Walzer und Bauarbeiter Wilhelm Karthaus, geboren am 13. Juni 1901 in Remscheid, gehörte von 1930 bis 1933 der KPD und dem Kampfbund gegen den Faschismus an. Im April 1932 war er an einem Sprengstoffanschlag beteiligt. Aus diesem Grund war er von Anfang bis Ende März 1933 und vom 13. Juni 1933 bis 15. Juli 1933 im (Polizei-) Gefängnis Remscheid inhaftiert. Ab 20. September 1933 befand sich Karthaus als „Schutzhäftling“ im Wuppertaler KZ Kemna, wo er schwer misshandelt wurde. Als dieses im Januar 1934 geschlossen wurde, wurde er von dort aus in die im Emsland gelegenen Konzentrationslager Neusustrum und Börgermoor überstellt. Anschließend war er im Gefängnis Düsseldorf in Haft. Am 21. Juni 1934 wurde er vom Sondergericht Düsseldorf im Prozess gegen Wilhelm Paulowski und andere wegen Beteiligung an jenem Sprengstoffanschlag zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren verurteilt; außerdem wurden ihm die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von fünf Jahren aberkannt. Vermutlich vom Gefängnis Düsseldorf aus wurde Karthaus am 4. Juli 1934 in das Zuchthaus Lüttringhausen überführt.

Wie die nach 1945 über Wilhelm Karthaus angelegte Wiedergutmachungsakte dokumentiert, teilte der Vorstand des Jugendgefängnisses Herford in einem Schreiben vom 13. August 1952 auf Anfrage mit, dass Karthaus am 14. November 1934 vom Zuchthaus Lüttringhausen kommend in das Zuchthaus Herford eingeliefert und am 23. März 1936 – nach Verbüßung seiner Strafe – nach Remscheid entlassen worden sei. Auch in den Jahren nach seiner Haftentlassung wurde Karthaus von den Nationalsozialisten verfolgt: Im Rahmen einer von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) durchgeführten „Sonderaktion gegen die KPD“ wurde er am 16./17. April 1937 erneut in „Schutzhaft“ genommen und befand sich anschließend vom 23./24. April 1937 bis 7. August 1937 im KZ Sachsenhausen, wo er die Häftlingsnummer 1360 erhielt. Anlässlich des Sprengstoffanschlags auf Adolf Hitler im Bürgerbräukeller in München am 8. November 1939 wurde Wilhelm Karthaus am 9. November 1939 wieder in „Schutzhaft“ genommen und in das Polizeigefängnis Remscheid eingeliefert, aus dem er nach Gestapo-Angaben am 2. Dezember 1939 wegen Haftunfähigkeit entlassen wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er wieder Mitglied der KPD und trat 1948 als Zeuge im Prozess gegen die Wachmannschaften des Wuppertaler Konzentrationslagers Kemna auf. Wilhelm Karthaus starb am 18. Dezember 1962 in Remscheid.

Heinrich S.

Der Fuhrknecht Heinrich S., am 29. August 1880 in Neuss geboren und mehrfach vorbestraft, war am 26. April 1934 vor dem Landgericht Düsseldorf zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden; geplantes Haftende: 12. April 1936. Am 9. Juli 1934 wurde er von Düsseldorf kommend zunächst in das Zuchthaus Lüttringhausen eingeliefert. Von dort wurde er am 14. November 1934 in das Zuchthaus Herford überführt, wo er den Rest seiner Strafe verbüßte. Ab April 1936 befand sich Heinrich S. in Sicherungsverwahrung im Zuchthaus Werl. Von dort wurde er am 9. Dezember 1942 mit einem Sammeltransport in das KZ Mauthausen verbracht, wo er die Häftlingsnummer 16989 erhielt. Sechs Tage später erfolgte seine Einlieferung in das Mauthausen-Zweiglager Gusen, wo er bereits am 26. Dezember 1942 umkam.

Franz S.

Franz S., am 13. Februar 1906 in Duisburg geboren und dort auch wohnhaft, war 1934 wegen Diebstahls im Rückfall zu einer Zuchthausstrafe verurteilt worden; als Haftende war der 27. Januar 1937 geplant. Von Anrath kommend wurde er am 19. Februar 1934 in das Zuchthaus Lüttringhausen eingeliefert. Am 14. November 1934 wurde er von dort in das Zuchthaus Herford überführt. Später wurde er in Sicherungsverwahrung genommen. Sein weiteres Schicksal ist nicht bekannt.

Armin Breidenbach

Quellen und Literatur

  • Ansorg, Leonore: Politische Häftlinge im nationalsozialistischen Strafvollzug: Das Zuchthaus Brandenburg-Görden, Berlin 2015
  • Arolsen Archives: Online-Archiv, verschiedene Dokumente
  • Breidenbach, Armin: Das Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen und seine Häftlinge im Frühjahr 1945, in: Armin Breidenbach und Jörg Becker (Hrsg.): Remscheid ‘45, Remscheid 2020, S. 165 – 188
  • Das Gefängniswesen in Deutschland, hrsg. vom Reichsjustizministerium, Berlin 1935
  • Fleermann, Bastian, Henkel, Peter und Jakobs, Hildegard: „Im Namen des Volkes…“ Das Düsseldorfer Oberlandesgericht und die Justiz im Nationalsozialismus, [Kleine Schriftenreihe der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, Bd. 9], Düsseldorf 2018
  • Historisches Zentrum Remscheid: Wiedergutmachungsakte Nr. 9881 (Wilhelm Karthaus)
  • KZ-Gedenkstätte Mauthausen: Datenbankauszug zu Heinrich S.
  • Landesarchiv NRW – Abteilung Rheinland, Duisburg: Gefangenenkartei der Strafanstalt Remscheid-Lüttringhausen zur NS-Zeit

  • Vergin, Ute: Die nationalsozialistische Arbeitsverwaltung und ihre Funktionen beim Fremdarbeiter(innen)einsatz während des Zweiten Weltkriegs, Diss. Osnabrück 2008
  • Emslandlager | Waterboelles | Zuchthaus Herford
  • Stolpersteine erinnern an ehem. Häftlinge des Zuchthauses – Folge 1
  • Über das Zuchthaus Herford ist bisher nur wenig bekannt – Folge 2
  • Widerstand gegen NS-Regime führte zu hohen Zuchthausstrafen – Folge 3
  • Einlieferung von Häftlingen in das Zuchthaus Herford – Folge 4
  • Zeitungen im „Dritten Reich“ über Prozesse gegen Antifaschisten – Folge 5
  • Über Ort und Dauer der Inhaftierung keine Informationen – Folge 6
  • Der Direktor des Zuchthauses Herford: Dr. Josef Wüllner – Folge 7
  • Kommunistische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 8
  • Solinger Kommunisten als Strafgefangene im Zuchthaus Herford – Folge 9
  • Sozialdemokratische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 10

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