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Der Direktor des Zuchthauses Herford: Dr. jur. Josef Wüllner

5. Januar 2024

Das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge 1934–1939 (Folge 7).

In Folge 6 der Artikelserie über das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge wurde unter anderem das Verfolgungsschicksal des Essener Kommunisten Nikolaus Franz dargestellt. Dessen Beurteilung durch den damaligen Direktor des Zuchthauses Herford, Dr. Josef Wüllner trug mit dazu bei, dass Franz nach Strafverbüßung nicht nach Hause entlassen, sondern in das Konzentrationslager Buchenwald überführt wurde, wo er nach etwa drei Jahren „Schutzhaft“ umkam. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, einen ersten Blick auf das damalige Personal des Zuchthauses Herford zu werfen, wobei anzumerken ist, dass über das Personal jener Strafanstalt bisher nur sehr wenig bekannt ist.

Damaliges Zuchthaus-Personal

Hinweise auf das Personal des Zuchthauses Herford können beispielsweise auch den damaligen Adressbüchern der Stadt Herford entnommen werden. Nach dem „Adreßbuch der Stadt Herford 1935/36“ wurde das Zuchthaus Herford, das in der Eimter Straße 15 lag, damals von Dr. jur. Wüllner geleitet; ihm zur Seite standen 40 Aufsichtsbeamte (ein Erster Maschinenmeister, vier Erste Hauptwachtmeister, drei Hauptwachtmeister, 30 Oberwachtmeister und zwei Hilfswachtmeister), zwei Strafanstaltsbürobeamte, fünf Inspektionsbeamte und fünf Justizangestellte. Ferner waren dort hauptamtlich tätig: ein Strafanstalts-Medizinalrat, je ein evangelischer und katholischer Strafanstaltspfarrer und ein Strafanstaltsoberlehrer und ein Strafanstaltslehrer. Das damals im Zuchthaus Herford eingesetzte Personal wohnte teilweise in den zu dieser Strafanstalt gehörenden Beamtenhäusern in der Eimter Straße; so wohnte etwa der Zuchthausdirektor Dr. Wüllner im Haus Eimterstraße 5 (siehe Titelbild).

Gerichtsgefängnis Herford

Auch dem „Adreßbuch der Stadt Herford einschließlich Amt Herford-Hiddenhausen 1939“ lassen sich einige Informationen über das Herforder Zuchthauspersonal entnehmen: Nach dieser Quelle wurde das Zuchthaus damals kommissarisch von Regierungsrat Erich Müller geleitet; sein Vertreter war Verwaltungsoberinspektor Nüsse. Ferner wurden je ein evangelischer und katholischer Pfarrer und ein Oberlehrer namentlich genannt. Schließlich wurde noch darauf hingewiesen, dass das Gerichtsgefängnis Herford in der Aufsicht und Verwaltung zu dem Zuchthaus Herford gehört. Dass es auch heute noch Akten über das damalige Personal des Zuchthauses Herford gibt, ist sehr wahrscheinlich: Denn Ende der 1990er Jahre waren allein im Bundesarchiv in Koblenz etwa 50.000 Personalakten von Justizangehörigen archiviert, die ab Mitte der 1930er Jahre zentral im Reichsjustizministerium angelegt und geführt worden waren. Möglicherweise sind in diesen Beständen auch Akten über das Personal des Zuchthauses Herford zu finden. Im vorliegenden Beitrag soll auf Dr. Josef Wüllner näher eingegangen werden, der von 1929 bis 1939 Direktor der Strafanstalt Herford war.

Direktor Dr. jur. Josef Wüllner

Der Historiker Rainer Möhler zeigt in seiner Veröffentlichung über den Strafvollzug im „Dritten Reich“ anhand des Zuchthauses Herford auf, dass es damals durchaus zu Konflikten zwischen Geheimer Staatspolizei (Gestapo) und Justiz kommen konnte und nennt in diesem Zusammenhang auch den Leiter dieser Strafanstalt: „Die Vernehmungspraktiken der Staatspolizei waren mancherorts auf Protest gestoßen: Anstaltsleiter Wüllner, Herford, wollte deshalb im Juni 1935 keine weiteren Vernehmungen mehr in seinen Räumen zulassen“. Auch Andreas Knobelsdorf geht auf die Vernehmungspraktiken der Gestapo im Zuchthaus Herford ein: In Bielefeld waren im Sommer 1935 mindestens 260 Personen aus politischen Gründen verhaftet worden; die während der Verhöre erfolgten Misshandlungen durch die dortige Gestapo waren jedoch der Bevölkerung bekannt geworden. Vor diesem Hintergrund war die Bielefelder Gestapo sehr daran interessiert, diese politischen Gefangenen im Zuchthaus Herford unterzubringen, um sie dort weiterhin zu verhören. Zuchthausdirektor Dr. Wüllner erklärte sich bereit, die Gefangenen aufzunehmen, „auch um weitere Brutalitäten zu verhindern.“ Als jedoch die Gestapo bei den dortigen Verhören die Häftlinge weiterhin misshandelte, nahm Dr. Wüllner keine Gestapo-Häftlinge mehr auf und verbot den Gestapobeamten zudem jegliche weiteren Verhöre in seiner Anstalt. In einem Bericht hatte der zuständige Anstaltsarzt Dr. Ulrich die medizinischen Folgen dieser Misshandlung protokolliert, „die von starken Blutergüssen über das Absterben weiter Hautteile bis zu Nierenblutungen reichten“. Dr. Ulrich beendete seinen Bericht mit den Worten: „Man kann diese Handlungsweise nur mit mittelalterlichen Folterungen vergleichen.“

Versetzung nach Polen

Im Oktober 1937 veröffentlichte Dr. Wüllner in der Zeitschrift „Blätter für Gefängniskunde“ einen Beitrag mit dem Titel „Der Einsatz von Strafgefangenen im Rahmen des Vierjahresplans“, in dem er sich vehement dafür aussprach, „den Arbeitseinsatz von Gefangenen den Zielen des Vierjahresplans unterzuordnen: ‚Wir benötigen zum Aufbau unserer Wirtschaft und zur Durchführung der Ernährungsschlacht die letzte und jede Arbeitskraft… Wir können es uns weder leisten, die in den Vollzugsanstalten vorhandenen Arbeitskräfte brach liegen zu lassen noch an Arbeiten zu verwenden, die für den Vierjahresplan keine oder nur eine geringe Bedeutung haben.‘ Wüllner plädiert dafür, anstaltseigene Betriebe aufzugeben, wenn sie für den Vierjahresplan von untergeordneter Bedeutung sind. Um die herrschende Rohstoffknappheit zu bekämpfen, sollten die Vollzugsanstalten vor allem die Verwertung von Altmaterialien vorantreiben. Besonders wichtig sei der Einsatz von Gefangenen im Rahmen von landwirtschaftlichen Außenarbeiten. Hier müsse der Ertrag um ein Fünftel gesteigert werden.“ Regierungsrat Dr. Josef Wüllner wurde kurz nach Kriegsbeginn in das besetzte Polen versetzt, wo er ab Herbst 1939 die Strafanstalt Schieratz leitete. Dort richtete er einen „der modernsten Webereibetriebe“ ein, der auch von der Rüstungsinspektion Posen als „mustergültig“ bezeichnet wurde. 1942 wurde Dr. Wüllner zum Oberregierungsrat befördert. Nach Andreas Knobelsdorf war Dr. Wüllner im Zweiten Weltkrieg allerdings auch Schikanen ausgesetzt: „Dies reichte bis zu einer Anklage vor einem deutschen Sondergericht in Polen, […]“ Bis jetzt konnte allerdings nichts Näheres über diese Angelegenheit ermittelt werden.

Armin Breidenbach

Quellen und Literatur

  • Becker, Maximilian: Mitstreiter im Volkstumskampf. Deutsche Justiz in den eingegliederten Ostgebieten 1939 – 1945, München 2014
  • Jahnel, Christian und Waldmann, Friedrich: 125 Jahre JVA Herford, hrsg. von der Justizvollzugsanstalt Herford, o. O. 2008
  • Knobelsdorf, Andreas: Das Bielefelder Landgericht 1933 – 1945, in: Juristische Zeitgeschichte Bd. 1, Justiz und Nationalsozialismus, hg. vom Justizministerium des Landes NRW, 1993
  • Möhler, Rainer: Strafvollzug im „Dritten Reich“: Nationale Politik und regionale Ausprägung am Beispiel des Saarlandes, in: Heike Jung und Heinz Müller-Dietz (Hrsg.): Strafvollzug im „Dritten Reich“. Am Beispiel des Saarlandes, Baden-Baden 1996, S. 9 – 301
  • Niermann, Hans-Eckhard: Die Durchsetzung politischer und politisierter Strafjustiz im OLG-Bezirk Hamm 1933 – 1945. Grundlagen, Grenzen und Fragestellungen eines zeitgeschichtlichen Forschungsvorhabens, in: Juristische Zeitgeschichte, hrsg. vom Justizministerium des Landes NRW, Bd. 1, Geldern 1993
  • Zum Strafvollzug 1933 – 1945 und seiner Vorgeschichte in der Weimarer Republik. Quellen und Materialien der Dokumentations- und Forschungsstelle „Justiz und Nationalsozialismus“, Hrsg.: Justizakademie des Landes Nordrhein-Westfalen „Gustav-Heinemann-Haus“, Dokumentations- und Forschungsstelle „Justiz und Nationalsozialismus“, Geldern o. J.

  • Stolpersteine erinnern an ehem. Häftlinge des Zuchthauses – Folge 1
  • Über das Zuchthaus Herford ist bisher nur wenig bekannt – Folge 2
  • Widerstand gegen NS-Regime führte zu hohen Zuchthausstrafen – Folge 3
  • Einlieferung von Häftlingen in das Zuchthaus Herford – Folge 4
  • Zeitungen im „Dritten Reich“ über Prozesse gegen Antifaschisten – Folge 5
  • Über Ort und Dauer der Inhaftierung keine Informationen – Folge 6
  • Der Direktor des Zuchthauses Herford: Dr. Josef Wüllner – Folge 7
  • Kommunistische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 8
  • Solinger Kommunisten als Strafgefangene im Zuchthaus Herford – Folge 9
  • Sozialdemokratische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 10
  • Sozialdemokrat Fritz Steinhoff im Zuchthaus Herford – Folge 11
  • Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil I) – Folge 12
  • Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil II)Folge 13
  • Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil III) – Folge 14
  • Jüdische Häftlinge im ehemaligen Zuchthaus Herford – Folge 15
  • Vor 80 Jahren: Ehem. Häftlinge im KZ Sachsenhausen erschossen – Folge 16
  • “Gewöhnliche” kriminelle Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 17
  • Ausländische und staatenlose Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 18

 

1 Rückmeldung

  1. Alexander Kickert sagt:

    Einmal liegt der Newsletter im Postfach – kaum zwei, drei Kilometer von hier entfernt -und doch eine so andere Welt .
    Und doch – in der großen Nachbarstadt fuhren lange Zeit Straßenbahnen mit einer Werbung für eine Diakonische Anstalt durch die Stadt – “Drinnen ist wie draußen – nur anders” war zu lesen.
    Eigentlich – nein, eigentlich war es gut, auch einmal mehr hier an den Texten hängengeblieben zu sein .. die Anmerkungen und Gedanken zum Todes des verstorbenen, zuletzt in Willich tätigen Seelsorgers, der Text über den Leiter der hiesigen JVA … weithin wissen wir zu wenig und sind zu schnell – mit dem Verurteilen und bleiben schon beim Vorurteil stecken.

    Ein immer wieder taugliches Mitte – den Blick zu weiten sind die Text des Newsletters, zumal wenn man das ganze Berufsleben mit einer genau entgegengesetzten Blickrichtung verbracht hat .. mit dem Ziel, die nicht belegten Plätze hinter den Mauern mit Tätern – mindestens mit Verdächtigen zu füllen. Das Urteilen war unsere Sache nicht – ein Verdacht – mal gut begründet, mal auf den zweiten Blick eher dürftig – musste oft für den ersten Ansatz reichen.

    Geschichte. Vergangen – und so schon seit geraumer Zeit die Blicke von “hinter den Mauern”.
    Bereichernd.
    Nicht selten – zutiefst christlich.

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