Das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge 1934–1939 (Folge 5).
Aus Gründen der Abschreckung erschienen im „Dritten Reich“ in der damaligen NS-Parteipresse bzw. in der „gleichgeschalteten“ Presse – vor allem in den Jahren 1933 bis 1935 – häufig Berichte oder Meldungen über die Festnahme von Gegnern des NS-Regimes und zuweilen auch Artikel über größere politische Prozesse, in denen die Verurteilten manchmal sogar namentlich genannt wurden. Auch über politische Prozesse gegen Antifaschisten, die nach ihrer Verurteilung zumindest einen Teil ihrer Freiheitsstrafe im Zuchthaus Herford verbüßen mussten, lassen sich Zeitungsartikel aus der damaligen Zeit finden.
Bürgerliche Ehrenrechte aberkannt
So berichtete etwa der Remscheider General-Anzeiger in seiner Ausgabe vom 23./24. Juni 1934 unter der Überschrift „Vor dem Sondergericht Düsseldorf. Die Remscheider Sprengstoffanschläge.“ sehr ausführlich über den Prozess gegen Wilhelm Paulowski und acht weitere Angeklagte, wobei in dem Artikel die Namen aller Angeklagten genannt wurden. Sieben von ihnen wurden zu Zuchthausstrafen zwischen zwei und sieben Jahren verurteilt; zwei Angeklagte wurden freigesprochen, darunter der ehemalige KPD-Reichstagsabgeordnete Gustav Flohr. Insgesamt wurden in diesem Verfahren Zuchthausstrafen in Höhe von 34 Jahren verhängt und die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von fünf bis zehn Jahren aberkannt. Der Angeklagte Wilhelm Karthaus, auf dessen Verfolgungsschicksal bereits in Folge 3 der Artikelserie über das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge näher eingegangen wurde, wurde im damaligen Prozess zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren verurteilt; außerdem wurden ihm die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von fünf Jahren aberkannt. Zunächst wurde er zwecks Strafverbüßung in das Zuchthaus Lüttringhausen eingeliefert. Von dort wurde er am 14. November 1934 zusammen mit weiteren Lüttringhausen-Häftlingen in das Zuchthaus Herford überführt, aus dem er am 23. März 1936 entlassen wurde. Auch in der Düsseldorfer Boulevardzeitung „Der Mittag“ erschien am 22. Juni 1934 unter der Überschrift „Remscheider Bombenwerfer vor dem Sondergericht.“ ein Beitrag über den Prozess gegen Wilhelm Paulowski und andere. Drei der Angeklagten wurden in dem Artikel namentlich genannt.
Freiheitsstrafen in Höhe von 153 Jahren
In seiner Ausgabe vom 21. November 1935 berichtete der Remscheider General-Anzeiger unter der Überschrift „Remscheider Kommunisten vor Gericht.“ über den Massenprozess gegen Johann Salz und 58 weitere Angeklagte. Dem Artikel zufolge wurden die am schwersten belasteten Angeklagten, darunter fünf Frauen, zu Zuchthausstrafen von 20 Monaten bis zu zehn Jahren verurteilt. Darüber hinaus wurde in 13 Fällen auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und in sieben Fällen auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt. In diesem Verfahren wurden Freiheitsstrafen in Höhe von insgesamt 153 Jahren verhängt. Nicht erwähnt wurde in dem Zeitungsartikel, dass die Freigesprochenen umgehend in „Schutzhaft“ genommen und in ein Konzentrationslager geschickt wurden. Zu den Angeklagten in diesem Massenprozess gehörte auch der Bauhilfsarbeiter Alois Thiemel, der am 2. September 1905 in Odersch/Kreis Oppeln geboren wurde und die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft besaß. Am 31. Dezember 1934 wurde er festgenommen; die Untersuchungshaft verbrachte er im Gerichtsgefängnis Wuppertal-Elberfeld. Im Prozess gegen Johann Salz und Genossen (Aktenzeichen: 6 O.Js. 36/35) wurde er zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt. Von Wuppertal-Elberfeld kommend wurde er am 26. November 1935 in das Zuchthaus Lüttringhausen eingeliefert und am 16. März 1936 von dort – zusammen mit anderen Lüttringhausen-Häftlingen – in das Zuchthaus Herford überführt. Laut polizeilicher Feststellung wurde Alois Thiemel am 1. September 1938 aus Deutschland ausgewiesen. Sein weiterer Lebensweg ließ sich bisher nicht ermitteln.
Vorbereitung zum Hochverrat
Unter der Überschrift „Wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt.“ meldete der Remscheider General-Anzeiger am 14. Dezember 1936, dass der in Düsseldorf tagende Volksgerichtshof das Urteil gegen 18 Angeklagte verkündet habe. 13 Angeklagte seien wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu Zuchthausstrafen zwischen zwei Jahren und sechs Monaten und neun Jahren verurteilt worden, drei weitere Angeklagte wegen Beihilfe zur Vorbereitung zum Hochverrat zu einem Jahr und vier Monaten Gefängnis bzw. zu drei Jahren Zuchthaus. Zwei Angeklagte seien wegen Mangel an Beweisen freigesprochen worden. Die Namen der Angeklagten und deren Parteizughörigkeit wurden in jener Meldung nicht genannt. Zu den Angeklagten in diesem Verfahren gehörte auch der Solinger Sozialdemokrat Ernst Gnoss (22.7.1900 – 12.3.1949). In einem Beitrag über die Lebensgeschichte von Ernst Gnoss heißt es unter anderem: „Am 11. Dezember 1936 wurde Gnoß vor dem Volksgerichtshof zu vier Jahren Zuchthaus und vier Jahren Ehrverlust verurteilt. Die Strafe verbüßte er im Zuchthaus Herford, wo auch andere Sozialdemokraten wie Fritz Steinhoff einsaßen. Aufgrund des erfolgreichen Gnadengesuchs seiner Frau wurde er Ende Mai 1939 entlassen.“ Da über Ernst Gnoss bereits eine im Internet veröffentlichte Biographie vorliegt, soll an dieser Stelle darauf verzichtet werden, sein Verfolgungsschicksal hier näher darzustellen.
Armin Breidenbach | Titelfoto: Imago
Quellen und Literatur
- Becker, Jörg: Gustav Flohr. Noch ein Partisan! Ein Remscheider Kommunist, Klempner, Spanienkämpfer und Bürgermeister, Bonn 2020
- Breidenbach, Armin: Widerstand und Verfolgung in Remscheid 1933 – 1945. Remscheider Widerstandskämpferinnen und -kämpfer, Oppositionelle und Verfolgte, Hrsg.: Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Kreisverband Remscheid, IG Metall Verwaltungsstelle Remscheid und DIE GRÜNEN, Kreisverband Remscheid, Selbstverlag Armin Breidenbach, Berlin 1992
- ders.: Gestapo-Terror in der Remscheider Polizei-Kaserne. Eine Dokumentation, Hrsg.: Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Kreisverband Remscheid, IG Metall Verwaltungsstelle Remscheid und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Kreisverband Remscheid, Selbstverlag Armin Breidenbach, Berlin 1994
- Faeskorn, Ilse: Es erblüht eine weiße Rose…, Widerstand und Verfolgung der Gruppe „Hans Salz“, in: Remscheid in der Zeit des Nationalsozialismus, hrsg. von Michael Mahlke, Remscheid 1995, S. 131 – 148
- Köhler, Wolfram: Ernst Gnoss (1900-1949). Der erste Landtagspräsident von Nordrhein-Westfalen, in: Geschichte im Westen, Jahrgang 13 (1998), S. 208 – 232; Online einsehbar…
- Arolsen Online Archive
- Schabrod, Karl: Widerstand an Rhein und Ruhr 1933 – 1945, Hrsg.: Landesvorstand der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1969
- Ernst Gnoss – Landtag Nordrhein-Westfalen
- Stolpersteine erinnern an ehem. Häftlinge des Zuchthauses – Folge 1
- Über das Zuchthaus Herford ist bisher nur wenig bekannt – Folge 2
- Widerstand gegen NS-Regime führte zu hohen Zuchthausstrafen – Folge 3
- Einlieferung von Häftlingen in das Zuchthaus Herford – Folge 4
- Zeitungen im „Dritten Reich“ über Prozesse gegen Antifaschisten – Folge 5
- Über Ort und Dauer der Inhaftierung keine Informationen – Folge 6
- Der Direktor des Zuchthauses Herford: Dr. Josef Wüllner – Folge 7
- Kommunistische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 8
- Solinger Kommunisten als Strafgefangene im Zuchthaus Herford – Folge 9
- Sozialdemokratische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 10
- Sozialdemokrat Fritz Steinhoff im Zuchthaus Herford – Folge 11
- Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil I) – Folge 12
- Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil II) – Folge 13
- Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil III) – Folge 14
- Jüdische Häftlinge im ehemaligen Zuchthaus Herford – Folge 15
- Vor 80 Jahren: Ehem. Häftlinge im KZ Sachsenhausen erschossen – Folge 16
- “Gewöhnliche” kriminelle Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 17
- Ausländische und staatenlose Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 18