parallax background

Sozialdemokrat Fritz Steinhoff im Zuchthaus Herford

6. Mai 2024

Das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge 1934-1939 (Folge 11).

Es gibt biographische Skizzen von Häftlingen, die zwischen 1934 und 1939 zeitweise im Zuchthaus Herford inhaftiert waren, aber aus dem Text geht häufig nicht hervor, dass der Betreffende im Herforder Zuchthaus seine Strafe verbüßen musste. Und wenn tatsächlich das Zuchthaus Herford als Haftort genannt wird, fehlen häufig Angaben zur Haftdauer und nähere Einzelheiten zu den dortigen Haftbedingungen.

Fritz Steinhoff. Foto: Stadtarchiv Hagen

Umfangreiche Biographien über Häftlinge des Zuchthauses Herford wie etwa über den Sozialdemokraten Ernst Gnoss sind eher selten. Seit einigen Monaten liegt das Buch von Hartmut Ganzke und Thomas Horschler über den sozialdemokratischen Widerstandskämpfer und späteren Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Fritz Steinhoff, vor, der im „Dritten Reich“ ebenfalls aus politischen Gründen im Zuchthaus Herford einsaß: Titel des Buches: „Fritz Steinhoff. Der vergessene Ministerpräsident. Aus Hitlers Kerkern zum Staatsmann“. Fritz Steinhoff, der am 23. November 1897 in Wickede geboren wurde, war bis Mitte 1933 SPD-Parteisekretär und Ratsmitglied in Hagen gewesen. Nachdem die Nationalsozialisten am 22. Juni 1933 die SPD verboten hatten, wurde er arbeitslos; außerdem wurde er noch im selben Jahr für drei Tage in „Schutzhaft“ genommen. „Trotz dieser negativen Erfahrung schreckte er nicht davor zurück, sich weiterhin politisch zu engagieren – nun jedoch illegal. So verteilte Steinhoff heimlich sozialdemokratische Flugschriften. Bereits 1934 wurde er wegen derartigen Aktionen wegen Hochverrats angeklagt, jedoch aus Mangel an Beweisen wieder aus der Untersuchungshaft entlassen.“

Verbreitung sozialdemokratischer Schriften

1938 wurde er erneut von der Gestapo festgenommen und bei den Verhören in dem berüchtigten Dortmunder Polizeigefängnis „Steinwache“ schwer misshandelt. Am 10. August 1938, nach etwa siebenmonatiger Untersuchungungshaft in Dortmunder Gefängnissen, wurde Steinhoff in das Gerichtsgefängnis Hamm verlegt, um dort angeklagt und verurteilt zu werden. Fritz Steinhoff und sechs weiteren Angeklagten aus Hagen und Umgebung wurde von den Richtern des Sondergerichts Hamm „zur Last gelegt, sich im Verlaufe des Jahres 1934 an ‚illegalen Bestrebungen der SPD‘ beteiligt zu haben, indem sie sich durch Annahme und Weitergabe illegaler Druckschriften der ‚Vorbereitung zum Hochverrat’ schuldig gemacht haben.“ Im Fall von Steinhoff handelte es sich um die Verbreitung der illegalen sozialdemokratischen Schriften „Neuer Vorwärts“ und „Sozialistische Aktion“. Am 23. August 1938 fällte der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm das Urteil gegen Fritz Steinhoff und die sechs weiteren Angeklagten: Steinhoff, der als Haupttäter angesehen wurde, erhielt eine Zuchthausstrafe von drei Jahren, während die sechs Mitangeklagten zu Gefängnisstrafen von 18 Monaten bis zwei Jahren und drei Monaten verurteilt wurden. Steinhoff wurden außerdem „die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von drei Jahren aberkannt“.

Besuche im Zuchthaus Herford

Nach der Verurteilung blieb Steinhoff noch bis zum 5. September 1938 im Gerichtsgefängnis Hamm, bevor er von dort in das Zuchthaus Herford eingeliefert wurde, wo er den ersten Teil seiner Zuchthausstrafe verbüßte, abgesehen von einer einwöchigen Unterbrechung, als er noch einmal in das Gerichtsgefängnis transportiert wurde, weil er dort in einem Gerichtsverfahren als Zeuge aussagen musste. Während der Haft im Zuchthaus Herford erhielt Fritz Steinhoff nicht nur Briefe von seiner Ehefrau Käthe, sondern auch Besuche, so zum Beispiel am 20. November 1938, wie durch einen Überführungsvermerk belegt ist. Dass es Kontakte zwischen jüdischen und nichtjüdischen Häftlingen im Zuchthaus Herford gab, ist belegt: So hatte Fritz Steinhoff dort von einem jüdischen Häftling erfahren, dass anläßlich des Pogroms vom 9./10. November 1938 („Reichskristallnacht“) auch ein jüdischer Mitbürger, der vermutlich aus Hagen oder Iserlohn stammte, grausam misshandelt worden sei.

Unter erträglichen Bedingungen abgesessen

In einem längeren Beitrag im Internetportal „Westfälische Geschichte“ über Fritz Steinhoff, in dem dessen Tag der Verurteilung fälschlicherweise mit dem 12. Oktober 1938 angegeben wird, gibt es keine Hinweise auf Steinhoffs Haft im Zuchthaus Herford. Am 25. Juli 1939 wird Steinhoff nach etwa zehnmonatiger Haft im Zuchthaus Herford in ein Nebenlager des Strafgefangenenlagers Oberems überführt. Dort bleibt er inhaftiert bis zu seiner Freilassung am 16. Januar 1941. Nach dem Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 wurde Fritz Steinhoff im Rahmen der reichsweiten Gestapo-Aktion „Gewitter“ am 22. August 1944 festgenommen und nach etwa dreiwöchiger Haft in das KZ Sachsenhausen deportiert, wo er bis zur Befreiung im Frühjahr 1945 in „Schutzhaft“ war. Fritz Steinhoff äußerte sich nach dem Krieg über seine Haftzeit im Zuchthaus Herford nur äußerst knapp: „Er habe die Strafe ‚auch unter erträglichen Bedingungen‘ abgesessen.“

Politische Karriere

Auf Steinhoffs politische Karriere nach dem Krieg soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden; einige Stationen seien jedoch genannt: Oberbürgermeister von Hagen, langjähriges Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen, erster sozialdemokratischer Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen (20. Februar 1956 – 20. Juli 1958) und Mitglied des Deutschen Bundestags. Im Übrigen sei auf das eingangs erwähnte Buch von Hartmut Ganzke und Thomas Horschler verwiesen. Fritz Steinhoff starb am 22. Oktober 1969 in Hagen, wo ihm 20 Jahre später ein Denkmal errichtet wurde. Von welch glücklichen Zufällen die Geschichtsforschung zuweilen profitieren kann, wird auch im Fall von Fritz Steinhoff deutlich:

Geschichts-Entsorgung

Willi Henke aus Hagen entdeckte vor etwa 17 Jahren auf der Müllhalde eines Entsorgungsunternehmens einen Koffer, den er mit nach Hause nahm, wo er feststellte, dass es sich bei dem Inhalt unter anderem um handschriftliche Briefe und Auszeichnungen von Fritz Steinhoff handelte. Diese waren in der Sütterlinschrift verfasst und konnten deshalb nur schwer von Willi Henke entziffert werden. Aufgrund dieser Schwierigkeiten gerieten die Fundstücke bald in Vergessenheit, bis Henke und seine Frau anlässlich des 125. Geburtstags von Fritz Steinhoff wieder an den Koffer und seinen Inhalt erinnert wurden. Willi Henke berichtete dem Stadtarchiv Hagen, das sich sehr für die Stücke interessierte, von dem Fund. Der Koffer samt Inhalt wurde dem Hagener Stadtarchiv übergeben und ergänzt nun den dort bereits archivierten vorhandenen Steinhoff-Nachlass.

Armin Breidenbach | Titelfoto: Landtag NRW 1988. Foto: Imago

Quellen und Literatur

  • Ganzke, Hartmut und Horschler, Thomas: Fritz Steinhoff. Der vergessene Ministerpräsident. Aus Hitlers Kerkern zum Staatsmann, Unna 2023
  • Keinemann, Friedrich: Fritz Steinhoff, Oberbürgermeister von Hagen und nordrhein-westfälischer Ministerpräsident. Umrisse einer politischen Biographie und ein Interview mit dem Minister Werner Figgen, Hagen 1975
  • Köhler, Wolfram: Ernst Gnoss (1900-1949). Der erste Landtagspräsident von Nordrhein-Westfalen, in: Geschichte im Westen, Jahrgang 13 (1998), S. 208 – 232 Online einsehbar
  • Landtag Nordrhein-Westfalen | Internet-Portal Westfälische Geschichte | TV58

  • Stolpersteine erinnern an ehem. Häftlinge des Zuchthauses – Folge 1
  • Über das Zuchthaus Herford ist bisher nur wenig bekannt – Folge 2
  • Widerstand gegen das NS-Regime führte zu hohen Zuchthausstrafen – Folge 3
  • Einlieferung von Häftlingen in das Zuchthaus Herford – Folge 4
  • Zeitungen im „Dritten Reich“ über Prozesse gegen Antifaschisten – Folge 5
  • Über Ort und Dauer der Inhaftierung keine Informationen – Folge 6
  • Der Direktor des Zuchthauses Herford: Dr. Josef Wüllner – Folge 7
  • Kommunistische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 8
  • Solinger Kommunisten als Strafgefangene im Zuchthaus Herford – Folge 9
  • Sozialdemokratische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 10
  • Sozialdemokrat Fritz Steinhoff im Zuchthaus Herford – Folge 11

Feedback 💬

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert