In der Kirche der nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalt Werl ertönt im Einführungsgottesdienst des neuen Gefängnisseelsorgers, Sebastian Vieth, ein temperamentvolles Orgelstück. Zu den geladenen Gästen, KollegInnen aus den JVA´en im Gebiet des Erzbistums Paderborn, ehrenamtliche MitarbeiterInnen und Angehörige des seit 1. Januar 2024 dort tätigen Seelsorgers, gesellen sich Inhaftierte und Sicherungsverwahrte dazu. Die Menschen von drinnen und draußen unterscheiden sich allenfalls mit wenigen markanten Tätowierungen.
Der Grund der gemeinsamen Feier des Gottesdienstes ist anlässlich der “Vervollständigung des Seelsorgeteams der JVA Werl”, so beschreibt es die evangelische Dekanin und Werler Gefängnisseelsorgerin Uta Klose in ihrem Grußwort. Zu ihr und ihren zwei weiteren evangelischen Kolleginnen, kommt zur katholischen Gefängnisseelsorge neben Winfried Grohsmann (im Titelbild links) der neue katholischen Kollege dazu. Ein halbes Jahr ist Sebastian Vieth bereits in der Anstalt, in der etwa 850 Gefangene leben und 520 Bedienstete arbeiten. Vieth hat aus seiner Tätigkeit im Offenen Vollzug der JVA Bielefeld-Ummeln sowie im geschlossenen Vollzug der JVA Attendorn und der JVA Bochum-Krümmede (Bistum Essen) bereits viele Erfahrungen sammeln können.
Zeichen setzen
Das erste Lied mit den Bassstimmen der Gefangenen kommt machtvoll rüber. Die Gefangenen kennen den Text und die Melodie. Sie brauchen nicht einmal das Liederbuch. Einen eigenen Kirchenchor haben sie hinter den Mauern. Indra Wanke, Abteilungsleiterin der “Pastoral in verschiedenen Lebensbereichen” des Erzbistums Paderborn überbringt die Grüße der Diözesanbeauftragten für Gefängnisseelsorge, Daniela Bröckl, von der JVA Bielefeld-Senne, die nicht teilnehmen konnte. In der Frage an den “Neuen”, ob er für die Aufgaben im Strafvollzug bereit sei, antwortet Vieth mit einem klaren “Ja”. Laut wird von hinten ein lautes “Amen” als Bestätigung gerufen. Der Gottesdienst verläuft “wie am Schnürchen”. Die erwachsenen Ministranten aus den Reihen der Inhaftierten wissen, was sie tun. Sie lesen das Kyrie und die Fürbitten routiniert. Ein Gefangener trägt eine Kippa. Auf die Frage hin, was er damit verbinde, antwortet er, das seine Mutter Jüdin sei und sein Vater Katholik. Er beschäftige sich sehr mit dem Judentum und will ein Zeichen setzen.
Sie sind ein guter Mann
In den anschließenden Grußworten betont der katholische Dekan für Gefängnisseelsorge, Stefan Ehrlich, von der JVA Köln, dass es in einer Justizvollzugsanstalt besonders schwierig sei, das im Evangelium gehörte Wort Jesu “Der Sabbat ist für die Menschen da” umzusetzen. “Es gibt Regeln und Gesetze, von denen man nicht wirklich den Hintergrund wisse”, führt der Dekan aus. Er spielt auf die Abgabe seiner Armbanduhr an, die er an der Pforte der JVA einschließen muss. “Diese Uhr ist garantiert nicht digital, aber es ist nun einmal hier vorgeschrieben, dass man keine Armbanduhren innerhalb der Anstalt tragen darf”, führt er aus. Die Inhaftierten nicken zustimmend. Einer von ihnen möchte ebenfalls etwas sagen. Einige lachen bereits, weil der Gefangene zum Mikrofon greift. Das was er sagt ist tiefgründig: “Ich verbinde mit Ihnen, Herr Vieth, aufgrund ihres langen gepflegten Bartes meine Lieblingsmusik einer texanischen Musikband”, erzählt er und spielt die Musik per Lautsprecher ein. “Sie hören zu und sind den Gefangenen zugewandt, sie sind ein guter Mann”, schließt er seine Worte und gibt dem Gefängnisseelsorger die Hand.
Austausch an den Tischen
Der verheiratete Theologe und erfahrener Gefängnisseelsorger bedankt sich am Ende herzlich bei der Anstaltsleitung, den Bediensteten, dem Anstaltsbeirat, den Gefangenen sowie den Verwahrten. “Ich stehe hier nicht im Mittelpunkt, sondern die Botschaft und der Dienst, den wir als GefängnisseelsorgerInnen im System Vollzug tun”, betont er. Besonders das Beichtgeheimnis sei der Schatz, mit dem die Gefängnisseelsorge arbeite. Vieth ist dankbar, dass er keine vollzuglichen Entscheidungen treffen muss. Dies sei eine anspruchsvolle Aufgabe anderer Dienste in der JVA. “Im Team der Gefängnisseelsorge gibt es keine Konkurrenz. Jede und jeder kann etwas mit seiner Persönlichkeit beitragen. Wir ergänzen uns sehr gut”, erläutert der werdende Familienvater. Mit dem Aufruf, dass am Ende Kaffee und Kuchen bereitstehen, machen sich die Gefangenen geschlossen auf, um Tische an den Rand des Kirchenraumes zurechtzustellen. Schnell werden Teller und Tassen sowie der leckere Knast-Kuchen gebracht. “Setzen wir uns doch einfach dazu”, sagt der Gefängnisseelsorger von der JVA Detmold, Georg Becher, mit Blick auf die Gäste und den 14 Seelsorge-KollegInnen von außerhalb.
Michael King
1 Rückmeldung
Der Gottesdienst hinter den Mauern erinnert mich an die Früh-Messe in Jugendjahren. Dort wurde ebenso gebimmelt und gezaubert. Mit dem Bimmeln meine ich das Läuten der “verkleideten” erwachsenen Ministranten beim Zeigen der Hostie im Hochgebet.
Die Distanz des Altares in der Knastkirche von “Petrus in den Ketten” zur versammelten Gemeinde ist gefühlt riesig. Wahrscheinlich sind es eigens geschulte Gefangene, die im dortigen Kirchenchor singen? Ansonsten kann ich mir die exakten Gebets-Antworten und den beinahe mönchischen Gesang nicht erklären. Die traditionellen Gebete kommen wie aus der „Pistole“ geschossen. Eine Feier unter Eingeweihten? In anderen Gefängnissen ist das kaum vorstellbar.
Der größte Teil der Inhaftierten ist nicht kirchlich sozialisiert. Sicher könnte man auch hier missionarisch tätig werden und eine ordnungsgemäß katholische Feier anstreben. Da gäbe es manche Freiheiten innerhalb der Gefängnisseseelsorge. Und die Gefangenen würden das garantiert mitmachen. Wie sollten sie auch in ihrem Zwangsaufenthalt frei und anders entscheiden?
Zu kritisch? Was bedeutet “Authentizität” in diesem aussergewöhnlichen Knast-Rahmen mit ganz besonderen Bedingungen? Wenn alles beim Alten bleibt, ist es doch einfacher oder nicht? Aber egal welche Form wir auch wählen: das Göttliche ist grösser und wirkt SO oder ANDERS.