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Die Feier der Weih-Nacht bei hellem Sonnen-Tageslicht

25. Dezember 2025

Warum wird das Weihnachtsfest der Geburt Jesu ausgerechnet in der Nacht gefeiert? Historisch ist es nicht gesichert, dass Maria Jesus nachts geboren hätte. In den Justizvollzugsanstalten kann die geweihte Nacht nicht nachts oder abends gefeiert werden. Bereits um 15.30 Uhr ist am Heilig Abend der Nachtverschluss. Die Inhaftierten sind im Einzelhafträumen eingeschlossen.

 

Daher wird in vielen Gefängnissen der Heilige Abend morgens gefeiert. In der JVA Herford wurde der Termin auf den Nachmittag um 14.15 Uhr gelegt. So ist man doch etwas zeitlich näher an der Nacht. „Die Nacht hat ein doppeltes Antlitz, sie ist zweideutig: sie kann das Unheimliche sein, das Finstere; sie wird als verwandt mit dem Tod empfunden. Die Nacht meint das Unsichere, Gefahrvolle – in der Schrift gilt die Nacht auch als die Zeit des Unglaubens. Aber für unser menschliches Empfinden wie auch für die Schrift hat die Nacht das andere Gesicht: sie ist die Zeit der Stille und der gesammelten Kraft, die warten kann und reifen lässt“, so beschreibt es der katholische Theologe und Jesuit Karl Rahner (gestorben 1984).

Eingehen in ein großes Licht

„Die Nacht hat etwas…“, sagt ein inhaftierter Jugendlicher. Im Schutz der Dunkelheit werden am Haftraumfenster oft Beleidigungen ausgesprochen oder lauthals über andere hergezogen. Die Bediensteten können die Rufe nicht immer zuordnen. Die geweihte Nacht wird gezwungenermaßen „vorgezogen“. Bei Tageslicht wird gottesdienstlich Weihnachten gefeiert. Im Vorfeld ist der echte Christbaum geschmückt worden, der Adventkranz angezündet sowie die Altarkerzen. Doch all das Licht kommt nicht zum Tragen, wenn die Wintersonne direkt in die Kirche einstrahlt. Der Kirchenraum ist überflutet mit Sonnenlicht.  Die eingeblendeten Liedtexte über den Beamer kann man kaum mehr erkennen. „Das ist doch ein sehr schönes Symbol“, meint der Gefängnisseelsorger Stefan Thünemann. „All die kleinen Lichter, die wir mühevoll aufbauen und entzünden, gehen in ein großes Licht ein, das wir nicht machen können“, sagt der evangelische Theologe.

Manche kennen ein „ganz unten“

Die Gefangenen kommen langsam in der Kirche an. Sie werden von Bediensteten in die im Jahr 1883 erbaute Anstaltskirche geführt. Morgens gab es eine große Schlägerei in der Freistunde. Ausgerechnet am heiligen Abend! Nichtsdestotrotz begrüßen die Inhaftierten die Gefängnisseelsorger mit einem herzlichen Händedruck. Der Kirchenraum ist zu diesem Zeitpunkt mit Sonnenlicht geflutet. Das war nicht geplant. In der Mitte der Kirche ist eine Schlafstätte mit einem Einkaufswagen eines Obdachlosen gestellt. Die dezente Illuminierung der Szene mit einem Akkustrahler kommt nicht zum Tragen. Was hat das alles mit Weihnachten zu tun? „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“, welch ein Lied im Knast! Die Türen und Tore im Knast sind fest verschlossen. Die Welt „draußen“ wird mit der Schlafstätte in die Mitte geholt. Die jugendlichen Gefangenen können nachvollziehen, „ganz unten“ zu sein. Manche kennen die Obdachlosigkeit aus eigener Erfahrung. Dass ausgerechnet Gott in einem erbärmlichen Stall zu Welt kommen soll, imponiert die Gefangenen. Die Geschichte von Maria und Josef ist eine „Obdachlosengeschichte“. Sie finden keine Herberge. „Nein, Nein, Nein!“, singt der Gefängnisseelsorger in einem eigens für ein Musical komponiertes Lied. „Das geht unter die Haut“, sagt ein Gefangener nach dem Gottesdienst.

Eine Ausnahme an Weih-Nachten

„Wer die himmlischen Sterne sehen will, muss seine eigenen Lichter wenigstens für eine kleine Weile einmal auslöschen. Wer in der Stille dieser Nacht – oder aber auch in irgendeiner Nacht seines Lebens – seine eigene Ausgesetztheit und Einsamkeit spürt, wer dabei die Sehnsucht in sich selbst vorkommen lässt, der wird dort in sich selbst jene geheimnisvolle Melodie hören – das Lied der Seele singt dem Gott des Herzens. Und sie kann vertrauen, dass er es hört“, schreib der Theologe Rahner. „Genau dies kommt bei diesem Gottesdienst zum Ausdruck“, kommentiert der katholische Gefängnisseelsorger Michael King. So entzünden die inhaftierten Menschen Kerzen um die Schlafstätte des Obdachlosen. Hoffnungslichter, auch wenn alles hoffnungslos erscheint. Jeder der Gefangenen verbindet damit einen Wunsch oder einen Dank aus seinem Leben. Am Ende dürfen sie eine Kerze mit in den Haftraum nehmen. Das ist ein Novum im Gefängnis. Echte Kerzen sind eigentlich aus Brandschutzgründen verboten. Doch es gibt eine Ausnahme an Weih-Nachten.

Michael King | Fotos: Stefan Thünemann

 

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