Betet allezeit und lasst darin nicht nach, so heißt es im Lukasevangelium. Und um dies zu veranschaulichen, kommt ein Gleichnis dazu: es ist wie mit dem ständigen Drängen einer Witwe gegenüber einem Richter, sie lässt nicht nach, bis der, genervt, weil sie keine Ruhe gibt, ihr endlich Recht gibt. „Sollte Gott“, so heißt es von Jesus zu diesem Gleichnis, „seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern bei ihnen zögern?“
Im Vergleich mit dem so lange nicht helfenden Richter sollte Gott doch unverzüglich wirken. Wirklich? Ist es nicht eher so, dass Gebete, die oft genug unsere Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit zum Ausdruck bringen, keine Antwort erfahren? Wie oft scheint das Beten wie ein Rufen in einen leeren Raum zu sein? Wir hören unsere eigenen Worte, aber keine Antwort. Der Richter im Gleichnis gibt wenigstens nach langem Drängen der Frau nach – aber Gott? Ist Gott überhaupt interessiert an unserem Rufen? Hört Gott unser flehendes Gebet? Warum schweigt Gott?
Keine prompte Antwort
Oder ist unser Beten eher eine Art Selbstberuhigung, die ein paar Momente träumen lässt, alles könne auch ganz anders sein? Dann wäre Gebet ein Rezitieren der eigenen Wunschvorstellungen, hätte aber mit Gott nichts zu tun. So manches fromm verfasste Gebet hinterlässt leider genau diesen Eindruck. Kein Wunder, dass sich Menschen abwenden vom Beten, enttäuscht, dass doch keine Antwort kommt, und nicht bereit, sich einer trügerischen Hoffnung zu ergeben. Warum und wie beten? Und das noch allezeit? Im Evangelium sind damit wohl weniger traditionellen Gebete gemeint, die in den Gottesdiensten immer wieder gesprochen werden, oder unsere spontanen Stoßgebete gegen den Himmel.
Vielmehr geht es um das Beten als eine Weise zu „sein“. Der Religionspädagoge Hubertus Halbfas schreibt in seiner kleinen Gebetsschule „Der Sprung in den Brunnen“: „Beten ist, in der Gegenwart Gottes leben“. Die Gegenwart Gottes aber ist nicht irgendwo jenseits, sie ist in uns. Der mittelalterliche Mystiker Meister Eckehart sagte: „Einfältige Leute glauben, sie sollten Gott so sehen, als stünde er dort und sie hier. Das ist nicht so. Gott und ich sind eins“. So heißt es im Buch von Halbfas, dass der Weg zu Gott der Weg in den eigenen Seelengrund ist: „In diesen ungeschiedenen Grund soll der Mensch sich fallen lassen, ohne Seil und Netz. Es erscheint als ein Sturz ins Nichts. Immer ist es ein Weg ins Schweigen.“
Aus dem eigenen Herzen
Beten ist keine Angelegenheit vieler Worte, keine Pflichtübung, kein Privileg Auserwählter und vor allem kein frommes sich ablenken von den Widrigkeiten der Selbst- und Welterfahrung. Beten meint das alltägliche sich sein lassen mit all dem, was im Moment geschieht, in der Gegenwart Gottes, die ein zugleich unmittelbar nahes wie unergründliches Geheimnis des Lebens ist. Beten hat in sich den Mut, die erfahrene Hoffnungslosigkeit, die Einsamkeit, die Weglosigkeit, das Keine-Antwort-bekommen in der Gegenwart Gottes, die im Herzen ist, zu halten. „Dann kommt von selbst die Ruhe. Die Stille, die nicht mehr flieht. Das Vertrauen, das nicht mehr fürchtet. Die Sicherheit, die keine Versicherung mehr braucht. Die Kraft, die in der Ohnmacht mächtig ist.
Das Leben, das im Tod aufgeht“ – so schrieb der Theologe Karl Rahner in seinem Artikel „Von der Not und dem Segen des Gebetes“. Betend sein, hinabtauchend bis auf den Seelengrund und den Aufruhr des Herzens Gott überlassend, lässt auftauchen die göttliche Antwort. Diese kommt nicht vom Himmel und nicht aus dem Jenseits, sie kommt nicht aus dem Mund geweihter Experten – sie kommt aus dem eigenen Herzen. Und sie gilt bedingungslos. Was sagt das Herz eigentlich? Karl Rahner hat es so formuliert: „Dieses Herz sagt sich selbst. Und darum kann kein Mensch sagen, was es spricht, denn ein Herz kann man nicht in Worte umsetzen. Es sagt zu seinem Gott: Du!“ Aus diesem Wagnis, alles im Herzen in die Gegenwart Gottes zu halten, entsteht Glauben.
Christoph Kunz | Lukas 18, 1–8