Das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge 1934 – 1939 (Folge 15).
In den Artikeln zwölf bis vierzehn dieser Geschichtsserie wurde auf die bisher vierundzwanzig ermittelten politischen Häftlinge des damaligen Zuchthauses Herford eingegangen. Allerdings gab noch mindestens acht weitere jüdische Häftlinge, die allerdings aus nicht politischen Gründen inhaftiert waren. Ihr Verfolgungsschicksal soll im Folgenden skizziert werden.
Eine neue Phase der nationalsozialistischen Judenpolitik begann etwa mit den beiden am 15. September 1935 in Nürnberg auf dem Parteitag der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) beschlossenen Gesetzen (“Nürnberger Gesetze”), die für die im Deutschen Reich lebenden Juden schon bald verheerende Folgen haben sollten. Nach dem ersten dieser beiden Gesetze, dem „Reichsbürgergesetz“, wurden die deutschen Staatsbürger in „Reichsbürger“ und „Staatsangehörige“ eingeteilt. „Reichsbürger“ konnte nur ein Staatsbürger „deutschen oder artverwandten Blutes“ sein, der durch sein Verhalten beweist, dass er geeignet und gewillt ist, „in Treue dem deutschen Volk und Reich zu dienen“. Juden konnten danach nicht „Reichsbürger“ sein. Sie wurden durch neue Gesetze und Durchführungsverordnungen mehr und mehr ihrer Rechte beraubt und jeglicher Willkür ausgeliefert. Das zweite dieser „Nürnberger Gesetze“, das „Blutschutzgesetz“, untersagte „Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“. Auch der außereheliche Geschlechtsverkehr zwischen Juden und „Ariern“ wurde verboten und später als „Rassenschande“ mit schweren Strafen geahndet, die bis hin zur Todesstrafe reichten.
Erst 1998 alle Urteile aufgehoben
Zwischen 1935 und 1945 wurden etwa 2.000 jüdische und nichtjüdische Männer und mindestens genau so viele Frauen wegen „Rassenschande“ verurteilt; die Anzahl der durch die Staatsanwaltschaften eingeleiteten Ermittlungsverfahren lag bei etwa 14.000. Erst am 25. August 1998 wurden durch den deutschen Bundestag alle Urteile aufgehoben, die aufgrund des „Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ von NS-Richtern gefällt worden waren.
Bis jetzt konnten im Rahmen der Recherchen zu der Arbeit über “Das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge 1934 bis 1939” sieben jüdische Männer ermittelt werden, die wegen “Rassenschande” verurteilt worden waren und diese Strafe zumindest zeitweise in Herford verbüßen mussten.
Arthur (Artur) Baroch
Der jüdische Metzger Arthur (Artur) Baroch wurde am 26. Januar 1910 in Bedburdyck (heute ein Ortsteil der Stadt Jüchen im Rhein-Kreis Neuss) geboren. Er war sowohl dort als auch in Königswinter und zuletzt in Wuppertal-Cronenberg wohnhaft, wo er als Dreher arbeitete. Baroch, der damals bei seiner Verlobten wohnte, wurde am 26. April 1937 verhaftet und genau drei Monate später vor dem Landgericht Wuppertal wegen “Rassenschande” zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren verurteilt. Diese Strafe musste er bis April 1939 in Herford verbüßen, bevor er von dort in das Polizeigefängnis Wuppertal überführt wurde. Im Mai 1939 wurde Baroch in das Konzentrationslager Sachsenhausen überstellt, wo er die Häftlingsnummern 1951 und 11480 erhielt. Am 7. August 1940 kam er in diesem KZ ums Leben. In Jüchen, In der Bausch 8, erinnert ein „Stolperstein gegen das Vergessen“ an ihn. Das “Denkmal der Namen für die Wuppertaler Opfer des Nationalsozialismus”, das sich in Wuppertal-Elberfeld befindet, erinnert unter anderem an Wuppertaler, die im Zuchthaus Herford inhaftiert waren. So zum Beispiel auch an Arthur (Artur) Baroch.
Hugo Cohen
Der jüdische Viehhändler Hugo Cohen, geboren am 28. April 1893 in Kalkar und dort auch wohnhaft, wurde seiner Häftlingskarteikarte des Zuchthauses Lüttringhausen zufolge am 23. Januar 1936 wegen „Notzucht” zu einer Zuchthausstrafe von vier Jahren (abzüglich vier Monate Untersuchungshaft) und zu sechs Jahren Ehrverlust verurteilt; das geplante Strafende wurde auf den 9. Dezember 1939 festgelegt. Cohen legte gegen dieses Urteil Revision ein, die aber durch Beschluss des Reichsgerichts in Leipzig vom 8. April 1936 als unbegründet verworfen wurde. Die Strafverbüßung erfolgte im Zuchthaus Herford. Am 20. Juni 1939 wurde er im Zusammenhang mit der Umwandlung dieses Zuchthauses in ein Jugendgefängnis zusammen mit anderen Häftlingen von dort in das Zuchthaus Lüttringhausen überführt. Vom 26. September 1939 bis zum 31. Oktober 1939 befand sich Hugo Cohen im Krankenhaus Remscheid-Lennep. Am 9. Dezember 1939 wurde er aus dem Zuchthaus Lüttringhausen nach Duisburg-Meiderich entlassen.
Diese Sachverhalte waren dem Amtsbürgermeister von Kalkar offensichtlich nicht bekannt, wie dessen Schreiben an die Gestapo Düsseldorf vom 4. November 1939 zeigt, der er auf Anfrage mitteilte, dass Cohen bis Oktober 1939 eine Zuchthausstrafe im Zuchthaus Herford zu verbüßen habe und vermutlich inzwischen einem Konzentrationslager zugeführt worden sei. Von einer Auswanderung Cohens sei ihm bis jetzt nichts bekannt geworden. Nach der Entlassung von Hugo Cohen aus der Haft im Zuchthaus Lüttringhausen bereitete die Familie ab 1940 ihre Auswanderung nach Amerika vor, doch nachdem diese bis Anfang 1941 noch nicht erfolgt war, wurde Cohen am 15. März 1941 erneut festgenommen und in das Polizeigefängnis Duisburg eingeliefert. In der über Hugo Cohen angelegten Gestapo-Personalakte, die mittlerweile auszugsweise im Online-Archiv der Arolsen Archives einsehbar ist, heißt es unter anderem: “Nach seiner Strafverbüßung am 9.1.39 wurde von einer Inschutzhaftnahme abgesehen, da er baldigst auswandern wollte. Dieses Vorhaben führte er nicht aus und wurde deshalb am 15.3.41 festgenommen.”
Im Polizeigefängnis Duisburg wurde Cohen von der Gestapo Duisburg erkennungsdienstlich behandelt, außerdem wurde er in “Schutzhaft” genommen. Am 9. Mai 1941 wurde er von der Gestapo Duisburg in das KZ Buchenwald eingeliefert, wo er die Häftlingsnummer 1305 erhielt und nach offizieller Version umkam; denn einem Telegramm des Kommandanten des KZ Buchenwald an die Staatspolizeileitstelle Düsseldorf zufolge war Hugo Cohen dort am 17. März 1942 an “rechtsseitiger Pneumonie (Lungenentzündung; A. B.) verstorben”. Tatsächlich war Cohen aber einer Karteikarte zufolge bereits am 2. März 1942 vom KZ Buchenwald aus “überführt” worden, wobei das Ziel dieser Überführung auf dieser Karteikarte allerdings nicht angegeben ist. Die Online-Version des vom Bundesarchiv herausgegebenen Gedenkbuchs für die Opfer der Verfolgung der Juden unter der NS-Herrschaft in Deutschland 1933 – 1945 benennt aber die tatsächlichen Sterbedaten von Hugo Cohen: An dem erwähnten 2. März 1942 wurde er vom KZ Buchenwald aus in die Tötungsanstalt Bernburg/Saale transportiert, wo er noch am selben Tag ermordet wurde. Seine Urne wurde am 6. Juli 1942 in Duisburg auf dem Beecker Friedhof beigesetzt. In Duisburg-Meiderich, Augustastraße 29, und in Kalkar, Markt 4, erinnert je ein “Stolperstein gegen das Vergessen” an Hugo Cohen.
Eduard Heinrichs
Bei dem kaufmännischen Angestellten Eduard Heinrichs, geboren am 8. April 1916 in Gelsenkirchen und dort auch wohnhaft, handelte es sich um einen „jüdischen Mischling”, wie es damals in der Sprache der Nationalsozialisten hieß. Seiner Häftlingskarteikarte zufolge war er Katholik. Ab 8. März 1938 war er in Gelsenkirchen inhaftiert, bevor er am 19. April 1939 von dort in das Untersuchungs- und Gerichtsgefängnis Essen eingeliefert wurde. Am 26. September 1938 wurde Heinrichs wegen “Rassenschande” zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Von Essen aus wurde er am 17. Oktober 1938 in das Zuchthaus Herford überführt. Nach schriftlicher Auskunft des Instituts für Stadtgeschichte, Gelsenkirchen, wurde Heinrichs Mitte Juli 1939 von dort aus in das Zuchthaus Münster verlegt, wo er bis zum 4. September 1939 inhaftiert war. Möglicherweise war er aber bereits einige Zeit vorher nach Münster verlegt worden, da das Zuchthaus Herford im Juli 1939 in ein Jugendgefängnis umgewandelt werden sollte. Hauptsächlich Väter mit ihren Söhnen wurden ab September 1944 aus Herford nach Oberloquiz (Thürigen) in ein Nebenlager des Konzentrationslagers Buchenwald deportiert. Auch Eduard Heinrichs gehörte zu diesem Personenkreis; am 19. September 1944 wurde er als „jüdischer Mischling“ in ein Lager der Organisation Todt in Oberloquitz verschleppt, aus dem er bei Kriegsende befreit wurde. Nach dem Krieg zog Eduard Heinrichs wieder nach Gelsenkirchen.
Bruno Rosenthal
Auch der Ingenieur und Jude Bruno Rosenthal, der am 3. Mai 1879 in Berlin geboren wurde und zuletzt in Hagen wohnte, wurde wegen Verdachts auf “Rassenschande” festgenommen; am 5. Februar 1938 wurde er in das Gerichtsgefängnis Hagen eingeliefert. Wie die im Online-Archiv der Arolsen Archives einsehbare Liste ehemaliger Häftlinge der Strafanstalt Münster dokumentiert, wurde er wegen “Rassenschande” zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, die er zunächst in der Strafanstalt Münster verbüßen musste, bevor er von dort in das Zuchthaus Herford überstellt wurde. Wegen der geplanten Umwandlung dieses Zuchthauses in ein Jugendgefängnis im Sommer 1939 wurde er am 20. Juni 1939 zusammen mit jüdischen und nichtjüdischen Gefangenen wieder in das Zuchthaus Münster eingeliefert. Später wurde er in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt, wo er die Häftlingsnummer 33380 zugewiesen bekam. Bruno Rosenthal starb “in Oranienburg im Lager Sachsenhausen” am 6. Oktober 1940, um 4.00 Uhr, angeblich an doppelseitiger Lungenentzündung.
Bruno Spiero
Der Jude Bruno Spiero, der am 31. August 1891 in Königsberg/Ostpreußen geboren wurde, wohnte später in Köln und Berlin. 1938 wurde er festgenommen und am 25. November 1938 vor dem Landgericht Hagen wegen “Rassenschande” zu einer Zuchthausstrafe von fünf Jahren und außerdem zu fünf Jahren Ehrverlust verurteilt (Aktenzeichen: 2 K.Ls 2/38). Wann genau und wo er festgenommen worden war, konnte bis jetzt noch nicht ermittelt werden. Nach schriftlicher Auskunft des Landesarchivs NRW, Abteilung Ostwestfalen-Lippe, Detmold, wurde er am 2. Januar 1939 in das Zuchthaus Herford eingeliefert und am 20. Juni 1939 zusammen mit anderen Häftlingen, darunter die jüdischen Häftlinge Kurt Levi, Bruno Rosenthal und Max Wallach, in das Zuchthaus Münster überführt. Später war Spiero in einem der Moorlager bei Papenburg inhaftiert, bevor er am 17. November 1941 von dort nach Kassel, vermutlich in das Zuchthaus Kassel-Wehlheiden, verlegt wurde. Von dort wurde er am 1. Dezember 1942 in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Nur sieben Tage später kam Bruno Spiero dort um bzw. wurde dort ermordet.
Max Wallach
Der Jude Max Wallach, geboren am 4. Februar 1886 in Eilendorf bei Aachen und zuletzt wohnhaft in Essen, war von Beruf Schlosser. Wegen Verdachts auf “Rassenschande” wurde er festgenommen und am 27. November 1937 in das Gefängnis Essen eingeliefert. Einige Zeit später wurde er vor dem Landgericht Essen wegen “Rassenschande” zu einer Zuchthausstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt. Am 21. März 1938 wurde er in das Zuchthaus Herford überführt. Aufgrund der bereits erwähnten Liste ehemaliger Häftlinge der Strafanstalt Münster ist zu vermuten, dass er von dort aus zunächst in das Zuchthaus Münster verlegt wurde, um nach Strafverbüßung noch einmal in das Gefängnis Essen eingeliefert zu werden. Am 22. April 1942 wurde Max Wallach zusammen mit seiner Ehefrau Klara von Düsseldorf aus in das Ghetto Izbica deportiert; sie gehörten zu den damals etwa 942 deportierten jüdischen Männern und Frauen. Vermutlich waren beide einen Tag vorher von Essen aus nach Düsseldorf zum dortigen Schlachthof transportiert worden, der von den Nationalsozialisten als Sammelpunkt für Juden aus Aachen, Duisburg, Essen, Krefeld, München-Gladbach, Oberhausen, Wuppertal und Düsseldorf gewählt worden war.
Über den damaligen Transport sind nähere Einzelheiten bekannt: “Vorgesehen war zunächst eine über 42-stündige Fahrt nach Trawniki im Generalgouvernement. Der Sonderzug >>DA 52<< sollte im Plan eines Zuges in Richtung Osten verkehren, der jene Wagen zurückführte, in denen zuvor russische Zwangsarbeiter (in das Deutsche Reich; A. B.) transportiert worden waren. Auf dem Verteiler ist neben den beteiligten Bahnstellen das Berliner Reichssicherheitshauptamt (RSHA) aufgeführt, das einen solchen Fahrplanauszug möglicherweise an die örtlichen Gestapo-Dienststellen weitergeleitet hat. Am 22. April 1942 ging der Deportationstransport >>DA 52<< in Düsseldorf ab, führte aber in das Ghetto Izbica bei Lublin.”
Der genannte Sonderzug startete am 22. April 1942 um 11.06 Uhr und führte beispielsweise über die Bahnhöfe von Erkrath, Hagen (Hauptbahnhof), Paderborn, Halle, Cottbus und Lublin und erreichte am 24. April 1942 laut Fahrplan um 5.26 Uhr den Bahnhof von Trawniki. Die damals “in diese Gegend deportierten Menschen wurden wenige Monate später in den Vernichtungslagern ermordet. Über den durchzuführenden Sonderzug wurden jeweils sämtliche betroffenen Ämter und Dienststellen entlang der Strecke in Kenntnis gesetzt.” Max und Klara Wallach fielen dem Holocaust zum Opfer; beide wurden nach dem Zweiten Weltkrieg für tot erklärt. Ihre Tochter, Lea Wallach, überlebte das “Dritte Reich”, sie war noch rechtzeitig nach England geflüchtet.
Karl (Carl) Frank
Der Jude Karl (Carl) Frank, der am 12. Dezember 1890 in Weseke (heute ein Stadtteil von Borken) geboren wurde und dort auch mit seiner Familie wohnte, war von Beruf Schlachter und Viehhändler. Nach 1933 half er Juden, illegal über die Grenze in die Niederlande zu gelangen. In seinem Beitrag über die Geschichte der Juden in Borken-Gemen geht Norbert Fasse unter anderem auch auf das Schicksal von Karl Frank und seiner Famile ein: “Der Weseker Viehhändler Karl Frank wollte 1938 offenbar mit seiner fünfköpfigen Familie in die Niederlande gehen, um von dort aus eine Einwanderungserlaubnis der USA zu erhalten. Jedoch wurde er in Gelsenkirchen am 3. August 1938 wegen des Verdachts auf ‚Devisenverbrechen‘ in Untersuchungshaft genommen, weil Polizei- und Finanzbehörden mutmaßten, er habe eine 1936/37 gemachte Erbschaft von 60–70 000 RM ins Ausland ‚verschoben‘. Frank befand sich bis mindestens März 1940 im Zuchthaus Herford.”
Zu welcher Freiheitsstrafe der Weseker Viehhändler verurteilt worden war und von wann bis wann er im Zuchthaus Herford inhaftiert war, ließ sich bisher nicht ermitteln. Es ist jedoch eher unwahrscheinlich, dass Karl Frank tatsächlich “bis mindestens März 1940 im Zuchthaus Herford” einsaß, da dieses ja bereits im Sommer 1939 in ein Jugendgefängnis umgewandelt worden war und die dort einsitzenden Strafgefangenen vorher auf andere Strafanstalten verteilt worden waren. Nach der Entlassung aus der Haft wurde Karl Frank nach Angaben von Norbert Fasse zur Zwangsarbeit beim ‚Wasser- und Boden-Verband Steinfurter Aa – Nünningsmühle‘ in Laer, Kreis Steinfurt, verpflichtet. Ende November/Anfang Dezember 1941 wurde er aus dieser Zwangsarbeit entlassen, da die Verfolgungsbehörden ihn zur Deportation ins Ghetto Riga erfasst hatten. Am 13. Dezember 1941 wurde Karl Frank mit seiner Familie im Zuge des ersten münsterländischen Transports nach Riga verschleppt. Sein weiteres Schicksal ist nicht bekannt. In der Todeserklärung von Karl und Irma Frank wurde als Todestag der 8.5.1945 festgesetzt. Nach einem Bericht von Hannelore Frank, Karl Franks Tochter aus erster Ehe, die als einzige der Familie das “Dritte Reich” überlebte, wurde ihr Vater wegen Schmuggels von Lebensmitteln in das Ghetto Riga erschossen.
Kurt Levi
Der jüdische Viehhändler Kurt Levi wurde am 17. Juni 1912 in Essen geboren, wo er auch zuletzt noch wohnhaft war. Häftlingskarteikarten zufolge wurde er 1938/39 als Untersuchungshäftling in das Gefängnis Düsseldorf-Derendorf und von dort am 21. Januar 1939 in das Gefängnis Essen eingeliefert. Anfang 1939 wurde Kurt Levi wegen eines “Devisenvergehens” zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt, wobei als Strafbeginn der 24. Februar 1939 festgelegt wurde. Am 22. Mai 1939 wurde er von Essen in das Zuchthaus Herford überführt, also wenige Wochen vor dessen Umwandlung in ein Jugendgefängnis. Im Zusammenhang mit dieser Umwandlung dürfte er im Juni 1939 in ein anderes Zuchthaus überstellt worden sein. Zu einem unbekannten Zeitpunkt wurde Kurt Levi aus der Haft entlassen und konnte zu seiner Ehefrau zurückkehren. Kurt Levi und seine Ehefrau Melitta, geb. Oss, wohnten in Essen zuletzt in dem “Judenhaus” Hindenburgstraße 22, wo auch Gottesdienste und Sprachkurse für die Auswanderung von Juden durchgeführt wurden. Auf der Meldekarte von Kurt Levi, auf der auch seine Frau Melitta erfasst ist, befindet sich der zynische Eintrag, dass am 28. Februar 1943 “beide abgewandert” seien. Tatsächlich gehörten aber beide zu den am 1. März 1943 nach dem Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz überführten Juden. Auch Kurt und Melitta Levi kamen dort um bzw. wurden dort umgebracht.
Zusammenfassung
Im Rahmen der vier Beiträge über die jüdischen Häftlinge im Zuchthaus Herford in den Jahren 1934 bis 1939 konnten bisher insgesamt 32 jüdische Häftlinge ermittelt werden: 24 von ihnen waren aus politischen Gründen (“Vorbereitung zum Hochverrat”) und sechs wegen “Rassenschande” verurteilt worden waren; zwei Häftlinge saßen wegen eines “Devisenvergehens” ein. Es ist aber nicht auszuschließen, dass noch weitere jüdische Häftlinge im Herforder Zuchthaus ihre Strafen verbüßen mussten. Von den ermittelten 32 jüdischen Häftlingen überlebten nachweislich mindestens 22 nicht das “Dritte Reich”; in fünf Fällen ließ sich bisher nicht das weitere Schicksal ermitteln. Nur fünf der 32 Häftlinge überlebten nachweislich das “Dritte Reich”.
In einer Reihe von Publikationen werden Häftlinge erwähnt, die damals im Zuchthaus Herford inhaftiert waren, ohne dass darauf hingewiesen wird, dass diese Häftlinge unter anderem auch in jenem Zuchthaus eingesperrt waren. Diese Aussage gilt nicht nur für manche jüdischen, sondern auch für viele nicht jüdische Häftlinge in jener Strafanstalt. Mit ein Grund dafür dürfte gewesen sein, dass zahlreiche Dokumente der Arolsen Archives (früher Internationaler Suchdienst), die den Unterdrückungsapparat im “Dritten Reich” betreffen, wie zum Beispiel Gefangenenbücher und Karteikarten von Strafanstalten, Transportlisten und Eingangsbücher von Konzentrationslagern, erst seit wenigen Jahren online einsehbar sind. Mittlerweile sind fast alle der 30 Millionen Originaldokumente der Arolsen Archives online verfügbar. An folgende 13 jüdischen Häftlinge, die damals im Zuchthaus Herford einsaßen, erinnern mittlerweile „Stolpersteine gegen das Vergessen“: Gottfried Ballin, Arthur Baroch, Paul Bloch, Hugo Cohen, Adolf Freireich, Arnold Freireich, Izchock Gerszt, Werner Goldschmidt, Ernst Ransenberg, Emanuel Roman, Richard Rosendahl, Bernhard Schreier und Siegfried Steineberg.
Quellen und Literatur
- Arolsen Archives, Online-Archiv: verschiedene Dokumente
- Andreas Engwert, Susanne Kill (Hrsg.): Sonderzüge in den Tod. Die Deportationen mit der Deutschen Reichsbahn. Eine Dokumentation der Deutschen Bahn AG, Köln 2009
- Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945, bearbeitet und herausgegeben vom Bundesarchiv, 2. Aufl., Koblenz 2006, Band I – IV
- Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, Oranienburg: Auskunft zu einem ehemaligen Häftling des KZ Sachsenhausen (Arthur Baroch) vom 30.3.2021
- Haus der Essener Geschichte / Stadtarchiv: Schriftliche Auskunft vom 11.9.2024
- Haus der Essener Geschichte / Stadtarchiv: Meldekarte von Kurt Levi
- Institut für Stadtgeschichte, Gelsenkirchen: Schriftliche Auskunft vom 19.9.2023
- Landesarchiv NRW, Abteilung Ostwestfalen-Lippe, Detmold: Schriftliche Auskunft vom 8.5.2024
- Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen, Münster: Schriftliche Auskunft vom 10.9.2024
- Przyrembel, Alexandra: >Rassenschande<. Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus, Göttingen 2003
- Scheffler, Wolfgang: Judenverfolgung im Dritten Reich, Berlin 1964
- Schnöring, Kurt: Auschwitz begann in Wuppertal. Jüdisches Schicksal unter dem Hakenkreuz, Wuppertal 1981
- Schröter, Hermann: Geschichte und Schicksal der Essener Juden. Gedenkbuch für die jüdischen Mitbürger der Stadt Essen, hrsg. von der Stadt Essen, Essen 1980
- Stadtarchiv Wuppertal: Schriftliche Auskunft vom 18.2.2021
- Wever, Dieter: Schriftliche Mitteilung vom 4.3.2021)
- Erinnern.at | Gelsenzentrum | Zellentrakt Herford | Arolsen-Archiv | Spuren in Vest
- Historische Kommission in Westfalen | Stolpersteine 1, 2, 3, 4 | Kirche Duisburg | Totenbuch Buchenwald
- Bundesarchiv Gedenkbücher 1, 2, 3, 4, 6, 7, 8 | Universität Wuppertal | Stage Gedenkbuch
- Totenbuch KZ Sachsenhausen | Historisches Portal Essen
- Stolpersteine erinnern an ehem. Häftlinge des Zuchthauses – Folge 1
- Über das Zuchthaus Herford ist bisher nur wenig bekannt – Folge 2
- Widerstand gegen das NS-Regime führte zu hohen Zuchthausstrafen – Folge 3
- Einlieferung von Häftlingen in das Zuchthaus Herford – Folge 4
- Zeitungen im „Dritten Reich“ über Prozesse gegen Antifaschisten – Folge 5
- Über Ort und Dauer der Inhaftierung keine Informationen – Folge 6
- Der Direktor des Zuchthauses Herford: Dr. Josef Wüllner – Folge 7
- Kommunistische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 8
- Solinger Kommunisten als Strafgefangene im Zuchthaus Herford – Folge 9
- Sozialdemokratische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 10
- Sozialdemokrat Fritz Steinhoff im Zuchthaus Herford – Folge 11
- Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil I) – Folge 12
- Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil II) – Folge 13
- Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil III) – Folge 14
- Jüdische Häftlinge im ehemaligen Zuchthaus Herford – Folge 15
- Vor 80 Jahren: Ehem. Häftlinge im KZ Sachsenhausen erschossen – Folge 16