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Ehemalige politische Häftlinge in Remscheid-Lüttringhausen

20. Dezember 2025

Wenn auch in den letzten Jahren verschiedene kleinere Beiträge über die Geschichte des Zuchthauses Remscheid-Lüttringhausen während des Nationalsozialismus veröffentlicht wurden, so dürfte nach wie vor die Aussage des Wuppertaler Historikers Dr. Stephan Stracke gelten, dass über diese Strafanstalt in den Jahren 1933 bis 1945 bisher nur wenig bekannt ist.

Nicht nur Personen, die von Gerichten zu Zuchthausstrafen verurteilt worden waren, saßen im „Dritten Reich” in diesem Männer-Zuchthaus ein, sondern auch Untersuchungshäftlinge (1943 auch einige Frauen), „Schutzhäftlinge” (vor allem im Jahr 1933) und so genannte „Gefängnishäftlinge”, die im Zuchthaus Lüttringhausen einen Teil ihrer Gefängnisstrafe verbüßen mussten. Ebenfalls waren dort Sicherungsverwahrte und – nach Beginn des Zweiten Weltkriegs – auch insgesamt über 1.000 Ausländer inhaftiert. Die Zahl der in Lüttringhausen gefangen gehaltenen politischen Straftäter ist bis jetzt nicht bekannt; möglicherweise waren einige Tausend von ihnen für kurze oder längere Zeit im „Haus der steinernen Särge”, wie das Zuchthaus Lüttringhausen auch genannt wurde, eingesperrt.

Häftlingskarteikarten und Filme

In Duisburg, im dortigen Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, ist die – allerdings nicht vollständige – „Gefangenenkartei der Strafanstalt Remscheid-Lüttringhausen zur NS-Zeit” archiviert, in der in zehn großen Kartons insgesamt Tausende von Häftlingskarteikarten erfasst sind. Ein Teil dieser Karteikarten ist seit einigen Jahren im Online-Archiv der Arolsen Archives einsehbar, so zum Beispiel auch die Häftlingskarteikarte von Gaston Vandermeerssche, einem in Belgien geborenen politischen Gefangenen, oder die „Ersatzkarte” des Kaplans Dr. Josef (Joseph) Rossaint. Einige der Häftlinge, die im „Dritten Reich” Gefangenen dieses Zuchthauses gewesen waren, haben nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Widerstand gegen das NS-Regime und die spätere Haft in jener Strafanstalt niedergeschrieben und in Buchform oder im Internet veröffentlicht, wie zum Beispiel die deutschen politischen Häftlinge Hans Müller, Hermann Runge und Victor Weimer sowie die niederländischen politischen Häftlinge Theo Pordon und Derk Heero Schortinghuis.

Es existieren drei Filme, die den Widerstand von drei Männern gegen das NS-Regime thematisieren, die später wegen ihres Widerstands zeitweise im Zuchthaus Lüttringhausen inhaftiert waren:

Der katholische Priester, Kaplan Dr. Joseph Cornelius Rossaint (1902 – 1991), der dem linken Flügel der Zentrumspartei angehört hatte, war als Pazifist „Mitglied des im Juli 1933 aufgelösten ‚Friedensbundes Deutscher Katholiken’. In der Sprache der Nationalsozialisten vertrat er den ‚verbrecherischen Standpunkt der unbedingten Kriegsdienstverweigerung’. […] Als Kaplan in Oberhausen sah Rossaint in der Mission der Kommunisten und in der Arbeitslosenseelsorge eines seiner Hauptbetätigungsfelder. […] Rossaint ließ die Jungkommunisten vor katholischen Jugendlichen sprechen. Diesen Kontakten kam die Gestapo auf die Spur. Sie fand heraus, daß Rossaint einzelne illegale Kommunisten unterstützt und ihnen in Düsseldorf Unterkünfte vermittelt hatte. Die Gestapo nutzte ihre Ermittlungsergebnisse zu einem großen Schlag gegen die Führung der gesamten katholischen Jugend.” Am 28. April 1937 wurde Rossaint vom 2. Senat des berüchtigten Volksgerichtshofs in Berlin wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens zu einer Zuchthausstrafe von elf Jahren verurteilt; außerdem wurden ihm die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von zehn Jahren und auch der Doktortitel aberkannt. Vom 26. Mai 1937 bis zum 19. April 1945 mußte Rossaint seine Strafe im Zuchthaus Lüttringhausen verbüßen. Über Dr. Rossaint produzierte Wilfried Viebahn 1987 einen Dokumentarfilm mit dem Titel Ein deutsches Schicksal”.

Der Niederländer Piet Mathijssen (1922 – 2020), der am 23. Oktober 1943 von den Deutschen festgenommen worden war, wurde am 23. Juni 1944 vom deutschen Luftgaufeldgericht in einem Massenprozess gegen insgesamt etwa 50 niederländische Widerstandskämpfer verurteilt. Gerichtsherr war damals Friedrich Christiansen, der als Wehrmachtsbefehlshaber in den Niederlanden das Recht besaß, Gnadenerlasse auszusprechen oder die Urteile zu bestätigen. Insgesamt wurden in jenem Prozess 45 Todesurteile und vier Freiheitsstrafen verhängt; die Todesurteile wurden allerdings nicht vollstreckt.  Mathijssen, der ebenfalls zum Tode verurteilt worden war, wurde – wie die meisten anderen Verurteilten aus diesem Prozess – noch im selben Jahr als „Nacht und Nebel”-Gefangener über die Strafanstalt Anrath in das Zuchthaus Lüttringhausen eingeliefert. Bereits am 2. November 1944 wurde er von dort in das Zuchthaus Hameln überführt. Piet Mathijssen überlebte die Haft in Hameln und auch einen Todesmarsch gegen Kriegsende. Mehmet Ülger und Astrid van Unen haben über sein Verfolgungsschicksal einen Dokumentarfilm produziert, dessen deutsche Fassung „Nacht und Nebel – die Geschichte meines Opas” 2013 uraufgeführt wurde.

Armin Breidenbach

Der Belgier Gaston Vandermeerssche, 1921 in Gent geboren und 2010 in Bayside, Wisconsin (USA) gestorben, studierte zunächst an der Universität Gent, bevor er sich nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Belgien (1940) zunächst nach Frankreich begab. Einige Zeit später kehrte er in seine Geburtsstadt Gent zurück, wo er bald im Widerstand gegen die deutschen Besatzer aktiv wurde. Unter anderem war er an der Verteilung der Untergrundzeitung „La Libre Belgique” beteiligt. Zunächst war er als Kurier im Widerstand aktiv. Dem Buch von Derk Heero Schortinghuis zufolge war es Gaston Vandermeerssche, der 1942 die Widerstandsorganisation „Dienst Wim” gründete, der auch Schortinghuis selbst angehörte. Ziel dieser Organisation war es gewesen, in den Niederlanden politische, ökonomische und militärische Informationen zu sammeln und nach Großbritannien zu bringen. Vandermeerssche, dem es gelang, unter dem Decknamen („Raymond” und später) „Rinus” ein Netzwerk von etwa 2.000 niederländischen und belgischen Informanten aufzubauen, wurde am 8. Mai 1943 festgenommen.

Am 23. Juni 1944 wurde er im selben Massenprozess wie Piet Mathijssen und Derk Heero Schortinghuis – wegen Spionage – ebenfalls zum Tode verurteilt. Wenig später wurde er in die Strafanstalt Anrath überführt, um von dort aus am 5. September 1944 in das Zuchthaus Lüttringhausen eingeliefert zu werden. Im Gegensatz zu Mathijssen und Schortinghuis wurde Gaston Vandermeerssche aber nicht im November 1944 in das Zuchthaus Hameln überstellt, sondern blieb in Lüttringhausen, wo er – wie die anderen Häftlinge auch – entsetzlich hungerte. Am 15. April 1945 wurde er dort durch amerikanische Truppen befreit; aus der Haft entlassen wurde er aber erst am 8. Mai 1945.  1988 veröffentlichte Allan J. Mayer einen Roman über Gaston Vandermeerssche mit dem Titel „Gaston’s War. A True Story of a Hero of the Resistance in World War II”. Auf Basis dieses Romans wurde einige Jahre später ein Spielfilm („Gaston’s War”) über Vandermeerssche und seinen Widerstand gegen die Nazis gedreht.

Der Artikel aus dem Remscheider General-Anzeiger vom 28. April 1937. Doppelklick: Ganze Seite


Quellen und Literatur

Arolsen Archives, Online-Archiv: verschiedene Dokumente
Breidenbach, Armin: Antifaschistischer Widerstand im Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen/Der Massenmord in der Wenzelnbergschlucht am 13. April 1945, Hrsg.: Die Grünen, Kreisverband Remscheid, Selbstverlag Armin Breidenbach, Remscheid 1992
Goguel, Rudi: Es war ein langer Weg. Ein Bericht, Singen (Hohentwiel) o. J. (um 1947)
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, Duisburg: Gerichte Rep. 331, Nr. 1 – 10 (Gefangenenkartei der Strafanstalt Remscheid-Lüttringhausen zur NS-Zeit)
Mayer, Allan J.: Gaston’s War. A True Story of a Hero of the Resistance in World War II, Novato/USA 1988
Müller, Hans: „Führung gut – politisch unzuverlässig”. Lebensstationen eines Nazigegners aus O., hrsg. von Annemarie Stern, Oberhausen 1994
Pordon, Theo: Achter de tralies, online einsehbar…
Zuchthaus Hameln | Erzbistum Köln | Brabants Historisches Information Zentrum | Waterboelles

Runge, Hermann und Runge, Wilhelmine: Die Moerser SPD im Kampf gegen die Nazis, in: Der rote Großvater erzählt. Berichte und Erzählungen von Veteranen der Arbeiterbewegung aus der Zeit von 1914 bis 1945, hrsg. von Erasmus Schöfer mit der Düsseldorfer Werkstatt des Werkkreises und dem Werkkreis-Lektorat, 4. Aufl., Frankfurt/M. 1977, S. 177 – 191
Rusinek, Bernd A.: Verfolgung und Widerstand in Düsseldorf 1933 – 1945, in: Landeshauptstadt Düsseldorf – Der Oberstadtdirektor (Hrsg.): Verfolgung und Widerstand in Düsseldorf 1933 – 1945, Düsseldorf 1990, S. 30 – 158
Schortinghuis, D(erk) H(eero): Met de dood voor ogen, Bedum 2000
Stracke, Stephan: Die Morde in der Wenzelnbergschlucht, in: Lieselotte Bhatia und Stephan Stracke: In letzter Minute. Nationalsozialistische Endphaseverbrechen im Bergischen Land, Bremen und Wuppertal 2015, S. 67 – 261, online einsehbar…
Weimer, Victor: Mit Kaplan Rossaint im Zuchthaus. Erinnerungsbericht, in: Widerstand aus Glauben. Christen in der Auseinandersetzung mit dem Hitlerfaschismus, zusammengestellt von Klaus Drobisch und Gerhard Fischer, Berlin (DDR) 1985, S. 143 – 148

 

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