Das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge 1934 – 1939 (Folge 19).
Als eine sehr wichtige Quelle für die Geschichtsforschung zu den Opfern des Nationalsozialismus ist das Online-Archiv der Arolsen Archives zu nennen, das bei den Recherchen zu der Mitte 2023 begonnenen Internetserie zum Zuchthaus Herford und dessen Häftlingen in den Jahren 1934 bis 1939 von außerordentlicher Bedeutung war. Aus diesem Grunde soll auf dieses Archiv in der vorliegenden Folge näher eingegangen werden.
Die folgenden Ausführungen sind einem Internet-Beitrag des NDR entnommen: „Die Arolsen Archives im hessischen Bad Arolsen verstehen sich als das internationale Zentrum über NS-Verfolgung mit dem weltweit umfassendsten Archiv zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus. Die Sammlung mit Hinweisen zu rund 17.5 Millionen Menschen gehört zum UNESCO-Weltdokumentenerbe. Sie beinhaltet Dokumente zu den verschiedenen Opfergruppen des NS-Regimes, zur Zwangsarbeit sowie zu sogenannten Displaced Persons (Vertriebene) und stellt eine wichtige Wissensquelle für die Gesellschaft dar. […]
Bis 2019 wurden die Arolsen Archives unter dem Namen Internationaler Suchdienst (englisch: International Tracing Service; ITS) geführt. […] Die Klärung von Schicksalen und die Suche nach Vermissten war über Jahrzehnte die zentrale Aufgabe der Institution, die 1948 von den Alliierten gegründet wurde. Damals war die Kernaufgabe des ITS die Suche nach nichtdeutschen Personen im Gebiet des damaligen Deutschen Reiches sowie den deutsch besetzten Gebieten in der Zeit von 1933 bis 1945, die während des Zweiten Weltkrieges verschleppt worden waren oder aus anderen Gründen vermisst wurden. […]
Seit 2015 bauen die Arolsen Archives ein umfangreiches Online-Archiv auf, um den weltweiten Zugriff auf die Dokumente zu ermöglichen. Dabei setzen die Verantwortlichen auch auf die Mithilfe von Freiwilligen. Jeder kann sich daran beteiligen, zuvor eingescannte Dokumente in eine Datenbank zu übertragen. Unter dem Motto #everynamecounts („Jeder Name zählt“) ruft die Einrichtung die Bevölkerung rund um den Holocaust-Gedenktag am 27. Januar zum Mitmachen auf. Aber auch unabhängig von diesem Datum ist eine Mitarbeit ausdrücklich erwünscht. Die Daten lassen sich über ein leicht verständliches, intuitiv nutzbares Tool eingeben, versprechen die Verantwortlichen.“
Hilfe anderer damaliger Zuchthäuser
In dem genannten Archiv sind seit etwa fünf Jahren beispielsweise Dokumente zahlreicher Strafanstalten und Konzentrationslager des „Dritten Reiches“ online einsehbar (wie etwa Häftlingskarteikarten, Listen mit den Namen von Gefangenen und Hafteingangsbücher, die unter anderem auch biografische Daten von Häftlingen enthalten, die von 1934 bis 1939 zeitweise im Zuchthaus Herford inhaftiert waren. In dem genannten Online-Archiv sind zwar 7.000 Dokumente archiviert, die Auszüge aus Personalakten von Gefangenen der Strafanstalt Herford betreffen, diese sind allerdings noch nicht online einsehbar. Mit Hilfe von Häftlingskarteikarten anderer Strafanstalten lässt sich häufig die Einlieferung von Häftlingen in das Zuchthaus Herford bzw. die Überführung von Herford-Häftlingen in andere Strafanstalten belegen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die entsprechenden Karteikarten beispielsweise der Zuchthäuser Remscheid-Lüttringhausen, Siegburg und Münster sowie der Gefängnisse Düsseldorf-Derendorf, Hamm, Recklinghausen und Wuppertal-Elberfeld.
Fünf Fallbeispiele
Weitere biografische Daten von Häftlingen lassen sich finden, wenn man im Arolsen Online-Archiv unter dem Suchbegriff den jeweiligen Häftlingsnamen eingibt. Gibt man im Online-Archiv den Suchbegriff bzw. den Namen Paul Israel Bloch ein (ein Name, der mehrfach in der Liste erscheint), erhält man mehrere Datensätze, die ihn betreffen, darunter einen Auszug aus seiner Häftlingspersonalakte. In dieser Akte werden 15 andere politische jüdische Herford-Häftlinge genannt, deren Vorfolgungsschicksale in früheren Folgen dieser Serie über das Zuchthaus Herford näher untersucht wurden. Im Folgenden sind fünf Fallbeispiele aufgeführt, bei denen auf Daten aus dem Online-Archiv zurückgegriffen werden konnte.
Otto Bechthold
Der Färber Otto Bechthold, geboren am 15. März 1898 in Barmen und später dort wohnhaft, war Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Am 18. März 1935 wurde er wegen Verdachts auf Vorbereitung zum Hochverrat als Untersuchungshäftling in das Gefängnis Wuppertal-Elberfeld eingeliefert. Nach fast 12 Monaten Untersuchungshaft wurde er am 11. März 1936 vom 3. Senat des Oberlandesgerichts Hamm zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und am 19. März 1936 von jenem Gefängnis zum Zuchthaus Herford überführt. Wann er dort entlassen wurde, ist nicht bekannt. Otto Bechthold starb am 5. September 1973 in Wuppertal-Elberfeld.
Josef Chabrowski
Der Berginvalide Josef Chabrowski, der am 12. März 1871 in Briesen/Westpreußen geboren wurde, lebte in den 1930er Jahren in Gelsenkirchen und leistete nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 Widerstand gegen das NS-Regime. Am 10. November 1938 wurde er vor dem Oberlandesgericht Hamm wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr und neun Monaten (unter Anrechnung von fünf Monaten Untersuchungshaft) verurteilt (Aktenzeichen: 5 O.Js. 149/38). Als Beginn seiner Strafhaft wurde der 10. November 1938, der Tag der Urteilsverkündung, bestimmt; das geplante Strafende wurde für ihn auf den 10. März 1940 festgelegt. Die Strafverbüßung erfolgte im Zuchthaus Herford; von dort wurde er wegen der bevorstehenden Umwandlung dieses Zuchthauses in ein Jugendgefängnis zusammen mit anderen Herford-Häftlingen am 20. Juni 1939 in das Zuchthaus Siegburg eingeliefert. Am 10. März 1940 wurde er von dort nach Gelsenkirchen entlassen. Sein weiterer Lebensweg ist bisher nicht bekannt.
Karl Kampf
Der Bergmann Karl Kampf, geboren am 16. November 1892 in Seßlacken/Ostpreußen und wohnhaft in Bottrop, musste eine Freiheitsstrafe, deren Höhe bisher unbekannt ist, im Zuchthaus Herford verbüßen. Von dort wurde er am 21. Januar 1936 als Zeuge in das Gerichtsgefängnis Hamm eingeliefert und sechs Tage später wieder nach Herford überführt. Wann seine dortige Haft beendet war, ist bis jetzt ebenso unbekannt wie sein weiterer Lebensweg .
Alfred Kürbitz
Der Schlosser Alfred Kürbitz, geboren am 12. Mai 1898 in Babianitze bei Lodz/Polen und später wohnhaft in Herne, wurde am 12. März 1936 in das Gerichtsgefängnis Recklinghausen eingeliefert und am 28. August 1936 von dort zum Gerichtsgefängnis Hamm überstellt. Den Angaben in seinen Häftlingskarteikarten der Gerichtsgefängnisse Recklinghausen und Hamm zufolge müsste er nach drei Tagen als Untersuchungshäftling in das Gerichtsgefängnis Hamm eingeliefert worden sein. Vermutlich am 17. Oktober 1936 wurde er wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Zwecks Strafverbüßung wurde er am 2. November 1936 von Hamm aus zum Zuchthaus Herford überführt. Wann er von dort entlassen wurde, ist bis jetzt ebenso unbekannt wie sein weiterer Lebensweg.
Heinrich Plücker
Manchmal liefert das Online-Archiv der Arolsen Archives allerdings nur wenige biographische Daten über einen Häftling, wie zum Beispiel im folgenden Fall: Der Deutsche Heinrich Plücker wurde wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren verurteilt, die er zunächst im Zuchthaus Münster verbüßen musste. Später wurde er von dort in das Zuchthaus Herford eingeliefert. Weitere biographische Daten von ihm sind bis jetzt nicht bekannt.
Armin Breidenbach
Quellen und Literatur
- Albel, Ursula und Schott, Christian: Verfolgt, Angeklagt, Verurteilt. Politischer Widerstand und oppositionelles Verhalten in Wuppertal 1933 – 1945. Dokumentation biografischer Daten, Verfahren und Anklagen, Bocholt und Breedevoort 2001
- Arolsen Archives, Online-Archiv: verschiedene Dokumente; online einsehbar unter: Dok 1 | Dok 2 | Dok 3 | Dok 4 | Dok 4 | Dok 5 | Dok 6
- Stadtarchiv Wuppertal: Schriftliche Auskunft vom 21.5.2024
- NDR-Beitrag | Universität Wuppertal
- Stolpersteine erinnern an ehem. Häftlinge des Zuchthauses – Folge 1
- Über das Zuchthaus Herford ist bisher nur wenig bekannt – Folge 2
- Widerstand gegen das NS-Regime führte zu hohen Zuchthausstrafen – Folge 3
- Einlieferung von Häftlingen in das Zuchthaus Herford – Folge 4
- Zeitungen im „Dritten Reich“ über Prozesse gegen Antifaschisten – Folge 5
- Über Ort und Dauer der Inhaftierung keine Informationen – Folge 6
- Der Direktor des Zuchthauses Herford: Dr. Josef Wüllner – Folge 7
- Kommunistische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 8
- Solinger Kommunisten als Strafgefangene im Zuchthaus Herford – Folge 9
- Sozialdemokratische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 10
- Sozialdemokrat Fritz Steinhoff im Zuchthaus Herford – Folge 11
- Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil I) – Folge 12
- Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil II) – Folge 13
- Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil III) – Folge 14
- Jüdische Häftlinge im ehemaligen Zuchthaus Herford – Folge 15
- Vor 80 Jahren: Ehem. Häftlinge im KZ Sachsenhausen erschossen – Folge 16
- „Gewöhnliche“ kriminelle Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 17
- Ausländische und staatenlose Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 18
- Online-Archiv erleichtert die Suche nach Häftlingen – Folge 19
- Häftlinge des Zuchthauses Herford im KZ Auschwitz ermordet – Folge 20
- Homosexuell liebende Menschen als Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 21
- Zur Zwangssterilisation nach Düsseldorf verlegt – Folge 22