Das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge 1934-1939 (Folge 24).
Die politischen Häftlinge, die im „Dritten Reich” im Zuchthaus Herford ihre Strafen verbüßen mussten, waren vor allem durch die Strafsenate des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm verurteilt worden, wobei die Gerichtsverfahren sowohl in Hamm selbst als auch in anderen Städten stattfanden. Diejenigen politischen Straftäter, die in Hamm verurteilt werden sollten, wurden zunächst mit den Gefangenenwagen der Deutschen Reichsbahn in das dortige Gerichtsgefängnis eingeliefert.
Nach ihrer Verurteilung wurden sie in den Reichsbahn-Gefangenenwagen zu den unterschiedlichen Gefängnissen oder Zuchthäusern überführt, wo sie ihre Strafen verbüßen mussten. In der offiziellen Darstellung der Geschichte der Justizvollzugsanstalt Hamm sucht man allerdings vergebens nach Informationen zu deren Geschichte im „Dritten Reich”, sodass man meinen könnte, die Jahre 1933 bis 1945 seien für diese Haftanstalt völlig bedeutungslos gewesen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, wie ein kurzer Beitrag des Stadtarchivs Hamm dokumentiert.
„Aus der Geschichte des Oberlandesgerichts (Hamm; A.B.) in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bleibt das Unrecht der nationalsozialistischen Diktatur in Erinnerung, welches auch von Teilen der Justiz des Oberlandesgerichtsbezirks Hamm willfährig¹ umgesetzt wurde.
In politisch motivierten Strafprozessen verurteilten die Strafsenate des Oberlandesgerichts und die Sondergerichte des Bezirks mehr als 25.000 Regimegegner zu langjährigen Zuchthausstrafen. Verhängt wurden in dieser Zeit auch mindestens 350 Todesurteile.“ […]
¹ Bereitschaft, ohne Widerstand den Wünschen oder Anweisungen anderer zu folgen
Stadtarchiv Hamm
Von Hamm nach Herford
Anfang der 1980er Jahren lagerten im Archiv der heutigen JVA Hamm etwa 14.000 Karteikarten von Gefangenen des Gerichtsgefängnisses Hamm aus den Jahren von 1933 bis 1944. Ein ganz kleiner Teil dieser Karteikarten, nämlich 350 aus dem Zeitraum vom 27. Februar 1933 bis zum 29. März 1941 ist mittlerweile im Online-Archiv der Arolsen Archives einsehbar.
Nachdem das Zellengefängnis Herford im November 1934 in ein Zuchthaus umgewandelt worden war, wurden viele der von den Richtern des OLG Hamm vor allem wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu Zuchthausstrafen verurteilten Regimegegner einige Tage, Wochen oder Monate später dorthin überstellt. Wie viele „Hochverräter” nach der Verurteilung vom Gerichtsgefängnis Hamm aus in das Zuchthaus Herford eingeliefert wurden, ist bisher unbekannt. Auf drei von ihnen soll im Folgenden näher eingegangen werden.
Karl Chemnitz
Der Kaufmann Karl Chemnitz, der am 29. August 1878 in Rudolstadt (Thüringen) geboren wurde und ab 1902 Mitglied der SPD war, lebte ab 1902 in Gelsenkirchen. Dort war er nicht nur von 1919 bis zum 31. März 1933 Parteigeschäftsführer der örtlichen SPD, sondern vertrat diese auch 1919 in der Stadtverordnetenversammlung von Gelsenkirchen. Außerdem war er vor 1933 Mitglied der Naturfreunde, der Freien Volksbühne, des Volkschores und gehörte dem erweiterten Vorstand der SPD an. Nachdem die SPD 1933 von den Nationalsozialisten verboten worden war, wurde Karl Chemnitz arbeitslos. Durch die bis 1933 in der Gelsenkirchener Sozialdemokratie aktive Elisabeth Hennig, die 1933 in die Niederlande geflüchtet war und dort Mitarbeiterin des sozialdemokratischen Grenzsekretärs Ernst Schumacher wurde, wurde Karl Chemnitz für die illegale Arbeit gewonnen. Ab Anfang 1935 arbeitete er illegal als Kurier und lieferte auch Berichte nach Antwerpen. Der Tag seiner Festnahme ist bisher nicht bekannt; aber am 12. März 1936 wurde er in das Gerichtsgefängnis Recklinghausen eingeliefert und am 4. September 1936 von dort zum Gerichtsgefängnis Hamm überführt.
Am 17. Oktober 1936 wurde Karl Chemnitz vor dem OLG Hamm im selben Verfahren wie Erich Nochalski und Alfred Kürbitz wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren und neun Monaten (unter Anrechnung von sieben Monaten Untersuchungshaft) verurteilt (Aktenzeichen: 5 O.Js. 127/36); als geplantes Strafende wurde für ihn der 17. Dezember 1939 bestimmt. Zwecks Strafverbüßung wurde Karl Chemnitz in das Zuchthaus Herford überstellt. Bereits etwa acht Monate vor dem geplanten Strafende, am 22. April 1939, wurde von der Stapo Münster „Schutzhaft” für ihn beantragt. Als das Zuchthaus Herford 1939 in ein Jugendgefängnis umgewandelt werden sollte, gehörte Karl Chemnitz zu den zahlreichen Häftlingen, die am 20. Juni 1939 von dort in das Zuchthaus Siegburg eingeliefert wurden. Obwohl er am 17. Dezember 1939 seine Strafe verbüßt hatte, musste er noch bis zum 29. Dezember 1939 im Zuchthaus Siegburg in „Schutzhaft” bleiben. Am 29. Dezember 1939 wurde er von dort mit einem Sammeltransport zum KZ Sachsenhausen überführt, wo er die Häftlingsnummer 44060 erhielt. Karl Chemnitz, der die „Schutzhaft” im KZ Sachsenhausen überstand, lebte nach 1945 in Bad Berka/Thüringen und war dort als Buchhalter tätig.
Die Häftlingskarteikarte des Zuchthauses Siegburg, angelegt für Karl Chemnitz, enthält mehrere aufschlußreiche Hinweise auf dessen Verfolgungsschicksal: Karl Chemnitz war vor seiner Überführung in das Zuchthaus Siegburg unter anderem auch im Zuchthaus Herford inhaftiert gewesen. Nach Strafverbüßung wurde er nicht freigelassen, sondern als „Schutzhäftling“ in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert. Quelle: Landesarchiv NRW – Abteilung Rheinland – Archivsignatur: Gerichte Rep. 0349 Nr. 1
Erich Nochalski
Der Bergarbeiter Erich Nochalski, der am 7. Februar 1900 in Lissa, Kreis Posen, geboren wurde und später mit seiner Familie in Recklinghausen wohnte, hatte Widerstand gegen das NS-Regime geleistet und wurde deshalb festgenommen. Er wurde in das Gerichtsgefängnis Recklinghausen eingeliefert und von dort am 31. August 1936 in das Gerichtsgefängnis Hamm überführt. Am 17. Oktober 1936 wurde Nochalski vor dem OLG Hamm zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt (Aktenzeichen: 5 O.Js. 127/36). Am 2. November 1936 wurde er von dort zum Zuchthaus Herford überführt. Mitangeklagte von ihm waren unter anderem Alfred Kürbitz aus Herne und Karl Chemnitz aus Gelsenkirchen, die ebenfalls nach Herford überstellt wurden. Wann Erich Nochalski aus der Haft entlassen wurde, ist bis jetzt nicht bekannt. Da der Familienname Nochalski in den Ausgaben des Recklinghausener Adressbuches von 1938, 1943 und 1949 nicht mehr vermerkt ist, ist zu vermuten, dass die Familie nach seiner Inhaftierung zu einem unbekannten Zeitpunkt verzogen oder vielleicht sogar ausgewiesen worden sein könnte.
Alfred Kürbitz
Der Schlosser Alfred Kürbitz, geboren am 12. Mai 1898 in Babianitze bei Lodz/Polen und später wohnhaft in Herne, wurde am 12. März 1936 in das Gerichtsgefängnis Recklinghausen eingeliefert und am 28. August 1936 von dort zum Gerichtsgefängnis Hamm überstellt. Offensichtlich dauerte der Transport mit den Gefangenenwagen der Deutschen Reichsbahn insgesamt drei Tage; denn seiner Häftlingskarteikarte des Gerichtsgefängnisses Hamm zufolge wurde Kürbitz erst am 31. August 1936 dort eingeliefert. Am 17. Oktober 1936 wurde er von den Richtern des OLG Hamm wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt (Aktenzeichen: 5 O.Js. 127/36). Zwecks Strafverbüßung wurde er am 2. November 1936 von Hamm aus zum Zuchthaus Herford überführt. Wann er von dort entlassen wurde, ist bis jetzt ebenso unbekannt wie sein weiterer Lebensweg.
Armin Breidenbach
Titelbild: Die JVA Hamm ist heute für die Fahrdienste von Häftlingen in NRW zuständig. | Foto: Imago
Quellen und Literatur
- Arolsen Archives, Online-Archiv: verschiedene Dokumente
- Institut für Stadtgeschichte/Stadt- und Vestisches Archiv, Recklinghausen: Schriftliche Auskünfte vom 16.4.2025 und 20.5.2025
- JVA Hamm | Stadt Hamm | Gelsenkirchen | Artikel Gefängnisseelsorge
- Stolpersteine erinnern an ehem. Häftlinge des Zuchthauses – Folge 1
- Über das Zuchthaus Herford ist bisher nur wenig bekannt – Folge 2
- Widerstand gegen das NS-Regime führte zu hohen Zuchthausstrafen – Folge 3
- Einlieferung von Häftlingen in das Zuchthaus Herford – Folge 4
- Zeitungen im „Dritten Reich“ über Prozesse gegen Antifaschisten – Folge 5
- Über Ort und Dauer der Inhaftierung keine Informationen – Folge 6
- Der Direktor des Zuchthauses Herford: Dr. Josef Wüllner – Folge 7
- Kommunistische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 8
- Solinger Kommunisten als Strafgefangene im Zuchthaus Herford – Folge 9
- Sozialdemokratische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 10
- Sozialdemokrat Fritz Steinhoff im Zuchthaus Herford – Folge 11
- Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil I) – Folge 12
- Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil II) – Folge 13
- Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil III) – Folge 14
- Jüdische Häftlinge im ehemaligen Zuchthaus Herford – Folge 15
- Vor 80 Jahren: Ehem. Häftlinge im KZ Sachsenhausen erschossen – Folge 16
- „Gewöhnliche“ kriminelle Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 17
- Ausländische und staatenlose Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 18
- Online-Archiv erleichtert die Suche nach Häftlingen – Folge 19
- Häftlinge des Zuchthauses Herford im KZ Auschwitz ermordet – Folge 20
- Homosexuell liebende Menschen als Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 21
- Zur Zwangssterilisation nach Düsseldorf verlegt (Teil I) – Folge 22
- Zur Zwangssterilisation nach Düsseldorf verlegt (Teil II) – Folge 23
- Vom Gerichtsgefängnis Hamm ins Zuchthaus Herford – Folge 24