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Zur Zwangssterilisation nach Düsseldorf verlegt (Teil II)

30. April 2025

Das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge 1934-1939 (Folge 23).

Wie bereits in Folge 22 der Serie über das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge festgestellt wurde, konnten anhand von Häftlingskarteikarten des Gefängnisses Düsseldorf-Derendorf, die im Online-Archiv der Arolsen Archives einsehbar sind, insgesamt 28 zwangssterilisierte Häftlinge des Zuchthauses Herford ermittelt werden, unter denen sich 15 politische Gefangene befanden. Auf vier von ihnen soll im Folgenden näher eingegangen werden.

Wenzel St.

Der Bergmann Wenzel St., am 15. Mai 1901 in Gnesen (Polen) geboren und später in Bocholt wohnhaft, war Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Bereits 1933 und 1934 war er im KZ Esterwegen in „Schutzhaft“ gewesen. Trotz dieser KZ-Haft beteiligte er sich später am Widerstand gegen das NS-Regime und wurde deshalb erneut festgenommen. Vom Gerichtsgefängnis Gelsenkirchen aus wurde er am 17. August 1936 in das Gerichtsgefängnis Hamm eingeliefert. Am 25. August 1936 wurden vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamm die Urteile im Verfahren gegen Wenzel St. und 19 weitere Angeklagte gesprochen, wobei die verhängten Freiheitsstrafen von sieben Monaten Gefängnis bis hin zu drei Jahren und drei Monaten Zuchthaus reichten. Den Angeklagten wurden der Besitz und die Verbreitung kommunistischer Druckschriften sowie die Unterstützung politischer Häftlinge durch Geldspenden vorgeworfen. Wenzel St. selbst wurde zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren und drei Monaten (unter Anrechnung der Untersuchungshaft) verurteilt. Sein geplantes Strafende wurde auf den 25. Mai 1938 festgelegt. Etwa eine Woche nach der Urteilsverkündung, am 3. September 1936, wurde Wenzel St. in das Zuchthaus Herford eingeliefert, um dort seine Strafe zu verbüßen. Am 2. Oktober 1936 wurde er von dort zwecks Zeugenaussage in das Gerichtsgefängnis Hamm eingeliefert, sechs Tage später wurde er wieder zum Zuchthaus Herford überführt.

Nachdem das Erbgesundheitsgericht Bielefeld noch im Jahre 1936 seine „Unfruchtbarmachung” angeordnet hatte, wurde er von Herford aus am 8. Juni 1937 zwecks Zwangssterilisation in das Bezirkskrankenhaus des Gefängnisses Düsseldorf-Derendorf eingeliefert; der operative Eingriff wurde acht Tage später durchgeführt. Am 24. Juni 1937 wurde er wieder nach Herford überstellt. Nach Strafverbüßung wurde er aber nicht nach Hause entlassen, sondern erneut in „Schutzhaft” genommen und am 28. Mai 1938 in das KZ Sachsenhausen eingeliefert, wo er die Häftlingsnummer 1767 erhielt. Untergebracht war er im Häftlings-Block 44. Aufgrund seiner Zuchthausstrafe hatte er einen blauen „Ausschließungsschein” erhalten, demzufolge er von den Nationalsozialisten als „wehrunwürdig” eingestuft wurde. Nachdem sich allerdings die Kriegslage für das NS-Regime seit der Schlacht um Stalingrad immer mehr verschlechtert hatte, wurde Wenzel St. am 25. Oktober 1944 vom Lagerarzt des KZ Sachsenhausen auf Tauglichkeit für den Einsatz in der Wehrmacht untersucht. Ob er tatsächlich noch an die Front geschickt wurde, ließ sich bisher nicht klären. Wenzel St. überlebte jedenfalls das „Dritte Reich” und wurde später Zeuge in Ermittlungsverfahren gegen ehemaliges Personal des Konzentrationslagers Sachsenhausen.

Heinrich H.

Der Korbmacher Heinrich H., der am 25. Januar 1903 in Krefeld geboren wurde und später in Wuppertal-Elberfeld wohnte, wurde am 15. Februar 1936 in einem der sogenannten Wuppertaler Gewerkschaftsprozesse wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr und neun Monaten (unter Anrechnung von elf Monaten und zehn Tagen Untersuchungshaft) verurteilt (Aktenzeichen: 6 O.Js. 433/35). Sein geplantes Strafende war der 5. Dezember 1936. Karl Schabrod schrieb bereits in seinem 1969 veröffentlichten Buch „Widerstand an Rhein und Ruhr 1933 – 1945” über diesen Massenprozess: „Nicht weniger als 21 verschiedene Aktenzeichen legte das Gericht zu einem Strafverfahren gegen 104 Wuppertaler Antifaschisten zusammen. Hauptangeklagter wurde Fritz B[uchner]. Der 3. Senat des OLG Hamm erkannte am 15. Februar 1936 auf eine Gesamtstrafe von 239 Jahren und vier Monaten Haft.”

Nachdem das Erbgesundheitsgericht Wuppertal-Elberfeld bereits im Dezember 1935, also noch während der Untersuchungshaft von Heinrich H., dessen „Unfruchtbarmachung” angeordnet hatte, wurde dieser am 9. Juni 1936 vom Zuchthaus Herford aus, wo er seine Strafe verbüßen musste, in das Düsseldorfer Bezirkskrankenhaus eingeliefert. Die Zwangssterilisation wurde dort zehn Tage später durchgeführt; am 6. Juli 1936 wurde Heinrich H. von dort nach Hause entlassen. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass im Zeitraum vom 1. April 1936 bis zum 31. März 1937 im Bezirkskrankenhaus des Gefängnisses Düsseldorf-Derendorf 60 „Entmannungen” (Kastrationen) durchgeführt wurden. Anhand von Häftlingskarteikarten dieses Gefängnisses konnte ein Häftling des Zuchthauses Herford ermittelt werden, der 1936 im Düsseldorfer Bezirkskrankenhaus „entmannt“ wurde.

Franz Ko.

Auch der Bergmann Franz Ko., der am 15. Januar 1897 in Alt-Janischau, Kreis Marienwerder, Westpreußen, geboren wurde und später in Selm-Beifang wohnte, beteiligte sich nach 1933 am Widerstand gegen das NS-Regime. Er wurde verhaftet und am 16. Mai 1934 in das Gerichtsgefängnis Recklinghausen eingeliefert. Am 3. November 1934 wurde er von dort zur Untersuchungshaftanstalt Essen überführt. Nur fünf Tage später, am 8. November 1934, wurde er vor dem OLG Hamm im Massenprozess gegen Gutwein und andere wegen Vorbereitung zum Hochverrat unter Anrechnung der Untersuchungshaft zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Insgesamt wurden in diesem Verfahren 69 Jahre und sechs Monate Strafhaft verhängt. Das geplante Strafende wurde für Franz K. auf den 25. Februar 1936 festgelegt. Auch er musste die Strafe im Zuchthaus Herford absitzen. Nachdem das Erbgesundheitsgericht Bielefeld am 25. Oktober 1935 die „Unfruchtbarmachung” von Franz Ko. angeordnet hatte, wurde er von Herford aus zwecks Zwangssterilisation am 14. Januar 1936 in das Bezirkskrankenhaus in Düsseldorf-Derendorf eingeliefert. Der operative Eingriff wurde sechs Tage später durchgeführt. Am 31. Januar 1936 wurde er wieder zurück nach Herford überführt. Sein weiterer Lebensweg ist nicht bekannt.


Schreiben des Versorgungsamtes Bielefeld vom 4. Dezember 1935 an das Zuchthaus Herford.

Franz Kr.

Der Bergmann Franz Kr., geboren am 29. November 1900 in Mengede, Kreis Dortmund, und später auch noch dort wohnhaft, wurde am 7. Dezember 1934 vor dem Oberlandesgericht Hamm im Massenprozess gegen Wilke und andere wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren (unter Anrechnung von neun Monaten und zwei Wochen Untersuchungshaft) verurteilt (Aktenzeichen: O.J. 233/34). Insgesamt wurden in diesem Massenprozess mit insgesamt 101 Angeklagten 144 Jahre Strafhaft verhängt. Als geplantes Strafende für Franz Kr. wurde der 23. Februar 1937 bestimmt. Die Strafe musste er im Zuchthaus Herford verbüßen. Mit Erlass des Erbgesundheitsgerichts Hamm vom 3. Mai 1935 wurde die „Unfruchtbarmachung” von Franz Kr. angeordnet. Vom Zuchthaus Herford aus wurde er deshalb am 4. August 1936 in das Düsseldorfer Bezirkskrankenhaus eingeliefert, wo der operative Eingriff elf Tage später durchgeführt wurde. Am 31. August 1936 wurde er wieder zurück nach Herford überführt. Sein weiterer Lebensweg ist nicht bekannt.

Armin Breidenbach


Quellen und Literatur

  • Albel, Ursula und Schott, Christian: Verfolgt, Angeklagt, Verurteilt. Politischer Widerstand und oppositionelles Verhalten in Wuppertal 1933 – 1945. Dokumentation biografischer Daten, Verfahren und Anklagen, Bocholt und Breedevoort 2001
  • Arolsen Archives, Online-Archiv: Verschiedene Dokumente
  • Bock, Gisela: Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Geschlechterpolitik, Münster 2010. Online einsehbar
  • Fleermann, Bastian: Ulmer Höh’. Das Gefängnis Düsseldorf-Derendorf im Nationalsozialismus, Düsseldorf 2021
  • Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, Oranienburg: Auskunft zu einem ehemaligen Häftling des KZ Sachsenhausen (Wenzel St.) (Stand: 30.10.2024)
  • Landesarchiv NRW, Abteilung Ostwestfalen-Lippe, Detmold: Schriftliche Auskunft vom 24.2.2025
  • Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen, Münster: Schriftliche Mitteilung vom 11.4.2025
  • Schabrod, Karl: Widerstand an Rhein und Ruhr 1933 – 1945, Hrsg.: Landesvorstand der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1969
  • Stracke, Stephan: Die Wuppertaler Gewerkschaftsprozesse. Gewerkschaftlicher Widerstand und internationale Solidarität, Bremen und Wuppertal 2012
  • Stolpersteine erinnern an ehem. Häftlinge des Zuchthauses – Folge 1
  • Über das Zuchthaus Herford ist bisher nur wenig bekannt – Folge 2
  • Widerstand gegen das NS-Regime führte zu hohen Zuchthausstrafen – Folge 3
  • Einlieferung von Häftlingen in das Zuchthaus Herford – Folge 4
  • Zeitungen im „Dritten Reich“ über Prozesse gegen Antifaschisten – Folge 5
  • Über Ort und Dauer der Inhaftierung keine Informationen – Folge 6

  • Der Direktor des Zuchthauses Herford: Dr. Josef Wüllner – Folge 7
  • Kommunistische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 8
  • Solinger Kommunisten als Strafgefangene im Zuchthaus Herford – Folge 9
  • Sozialdemokratische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 10
  • Sozialdemokrat Fritz Steinhoff im Zuchthaus Herford – Folge 11
  • Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil I) – Folge 12
  • Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil II) – Folge 13
  • Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil III) – Folge 14
  • Jüdische Häftlinge im ehemaligen Zuchthaus Herford – Folge 15
  • Vor 80 Jahren: Ehem. Häftlinge im KZ Sachsenhausen erschossen – Folge 16
  • „Gewöhnliche“ kriminelle Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 17
  • Ausländische und staatenlose Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 18
  • Online-Archiv erleichtert die Suche nach Häftlingen – Folge 19
  • Häftlinge des Zuchthauses Herford im KZ Auschwitz ermordet – Folge 20
  • Homosexuell liebende Menschen als Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 21
  • Zur Zwangssterilisation nach Düsseldorf verlegt (Teil I) – Folge 22
  • Zur Zwangssterilisation nach Düsseldorf verlegt (Teil II) – Folge 23

 

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