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Homosexuell liebende Menschen als Häftlinge im Zuchthaus Herford

25. Februar 2025

Das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge 1933 – 1939 (Folge 21).

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 veränderte sich schon bald der Strafvollzug durch neue gesetzliche Grundlagen und eine damit verbundene härtere Urteilspraxis. Nach Angaben des Statistischen Reichsamtes wurden in den Jahren 1931 und 1932 665 bzw. 801 Personen wegen Verstößen gegen die Paragraphen 175, 175a und 175b Strafgesetzbuch rechtskräftig verurteilt.

Verstöße gegen bereits bestehende Paragraphen des Strafgesetzbuches wurden durch die nationalsozialistischen Gerichte viel stärker geahndet, wie der Historiker Bastian Fleermann betont. So wurde etwa der bereits existierende Paragraph 175 Strafgesetzbuch (Homosexualität) 1935 erheblich verschärft. Die angedrohten Strafen konnten von diesem Zeitpunkt an bis zu zehn Jahren Zuchthaus betragen.

 Neue Gesetze und Verordnungen

  • „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933
  • „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“ vom 24. November 1933
  • „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen“ vom 20. Dezember 1934
  • „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“ vom 1. September 1939
  • „Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des Deutschen Volkes“ vom 25. November 1939
  • „Verordnung gegen Gewaltverbrecher“ vom 5. Dezember 1939

 

Verstöße gegen § 175, 175a und 175b

Nach Angaben des Statistischen Reichsamtes wurden in den Jahren 1931 und 1932  665 bzw. 801 Personen wegen Verstößen gegen die Paragraphen 175, 175a und 175b Strafgesetzbuch rechtskräftig verurteilt. Nach dieser Quelle wurden hingegen im Zeitraum von 1933 bis 1943 über 46.000 Personen wegen der genannten Verstöße verurteilt, wobei die Zahl der rechtskräftig Verurteilten in den Jahren 1937 und 1938 mit 8.271 bzw. 8.562 besonders hoch war. Die Zahl der Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die genannten Paragraphen wird auf 100.000 geschätzt. Wie Recherchen ergeben haben, waren auch im Zuchthaus Herford in den Jahren 1934 bis 1939 Häftlinge eingekerkert, die wegen Verstößen gegen die Paragraphen 175, 175a und 175b Strafgesetzbuch verurteilt worden waren. Wie viele homosexuelle Männer insgesamt damals in Herford ihre Strafe verbüßen mussten, ist bislang unbekannt. Für viele von ihnen bedeutete das Ende der Zuchthausstrafe noch längst nicht das Ende ihres Leidenswegs. Bisher ließen sich fünf homosexuelle Männer ermitteln, die damals zeitweise im Zuchthaus Herford inhaftiert waren; vier von ihnen überlebten nicht das „Dritte Reich“. Auf eins dieser Opfer, Julius Schmidt, soll im Folgenden näher eingegangen werden.


Julius Schmidt

Julius Schmidt, der am 27. Juni 1908 in Elberfeld geboren wurde und zuletzt in Velbert wohnte, war verschiedenen Dokumenten zufolge Krankenpflegeschüler bzw. Hilfsarbeiter. Auch er gehörte zu denjenigen, die von der nationalsozialistischen Justiz wegen ihrer Homosexualität verfolgt wurden: Am 11. April 1938 wurde er festgenommen und am 8. August 1938 vor dem Landgericht Wuppertal wegen Verstoßes gegen § 175 Strafgesetzbuch zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren (unter Anrechnung der Untersuchungshaft) und zu fünf Jahren Ehrverlust verurteilt. Die Strafe musste er zunächst im Zuchthaus Herford verbüßen. Als dieses zum 1. Juli 1939 in ein Jugendgefängnis umgewandelt werden sollte, wurden  zahlreiche Herforder Zuchthausgefangene in andere Strafanstalten verlegt, darunter auch Julius Schmidt. Er wurde zusammen mit anderen Herford-Häftlingen am 20. Juni 1939 in das Zuchthaus Lüttringhausen eingeliefert.

Nachdem Schmidt seine Zuchthausstrafe vermutlich restlos verbüßt hatte, ordnete die Kriminalpolizei Wuppertal am 9. April 1940 die „Schutzhaft“ gegen ihn an. Zunächst war er als „Schutzhäftling“ im Gefängnis Wuppertal inhaftiert, bevor er im Mai 1940 in das KZ Sachsenhausen eingeliefert wurde, wo er die Häftlingsnummer 19729 zugeteilt bekam. Später wurde er in die Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg und Dachau in Bayern überführt. Von Dachau aus wurde er am 5. Juli 1941 mit einem großen Häftlingstransport als „Vorbeugehäftling“ bzw. als „Berufsverbrecher“ („BV“) in das KZ Buchenwald eingeliefert, wo er die Häftlingsnummer 7405 erhielt. Am 17. März 1942 kam Julius Schmidt dort um, als offizielle Todesursache wurde „akute Herzschwäche“ angegeben.

Julius Schmidt wird nicht nur auf dem „Denkmal der Namen für die Wuppertaler Opfer des Nationalsozialismus“ in Wuppertal-Elberfeld erwähnt, sondern es erinnert in Velbert, Günther-Weisenborn-Straße 7, seit 2012 auch ein „Stolperstein gegen das Vergessen“ an ihn. Dieser „Stolperstein“ hat mittlerweile selbst eine eigene Geschichte: Der damals vor dem Parkhotel an der Günther-Weisenborn-Strasse verlegte „Stolperstein“ war möglicherweise mutwillig beschädigt worden und wurde deshalb ersetzt. Jürgen Wenke, von dem die Recherchen zum Lebensweg von Julius Schmidt und auch die Initiative zum „Stolperstein“ stammen, nutzte die Gelegenheit, diesen mit einer neuen, präziseren Inschrift zu versehen, sodass jetzt erstmals auch der Verfolgungsgrund auf dem Stolperstein genannt wird, nämlich der § 175. Es ist der Homosexuellenstrafrechtsparagraph 175, der von den Nazis genutzt wurde, um schwule Männer zu verfolgen, zu verurteilen und anschließend in vielen Fällen nach Verbüßung der Gefängnis- oder Zuchthausstrafen in ein Konzentrationslager zu deportieren.

Stolpersteine

Die folgenden namentlich aufgeführten Männer wurden ebenfalls im „Dritten Reich“ wegen ihrer Homosexualität verfolgt und wurden zeitweise unter anderem auch im Zuchthaus Herford inhaftiert; sie überlebten alle nicht das Kriegsende. Seit einigen Jahren erinnern „Stolpersteine gegen das Vergessen“ an sie.

Alfred Sigismund, der am 24. Juli 1902 in Remscheid geboren wurde, wurde wegen Verstoßes gegen den § 175 zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren verurteilt, die er unter anderem vom 28. Oktober 1937 bis August 1938 im Zuchthaus Herford verbüßen musste. Nachdem er seine Strafe verbüßt hatte, wurde er in die Konzentrationslager Sachsenhausen und Neuengamme überstellt; 1943 kam er im KZ Neuengamme um.

In Remscheid erinnert vor dem Haus Auf’m Heidchen 17 ein „Stolperstein gegen das Vergessen“ an Alfred Sigismund. (Foto: Armin Breidenbach)

Heinrich Wahle, der am 6. November 1897 in Bochum geboren wurde und dort auch später noch wohnte, war seit 1936 inhaftiert. Nach Strafverbüßung wurde er in das KZ Sachsenhausen überführt, wo er am 17. Juli 1942 umkam.

Alfred Kremer, am 3. Februar 1900 in Elberfeld geboren, wurde  wegen Verstoßes gegen den § 175 zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Nach seiner Haft im Zuchthaus Herford wurde er in die Konzentrationslager Sachsenhausen und Dachau deportiert; er starb am 20. Januar 1941 im KZ Dachau.

An Alfred Julius Richard Kremer erinnert in Wuppertal, Klotzbahn 12, ein „Stolperstein gegen das Vergessen“, der allerdings nicht benennt, dass Kremer wegen seiner Homosexualitär verfolgt wurde.

Der Remscheider Johann Max Franzen hat biographische Skizzen von 22 homosexuellen NS-Opfern aus dem Bergischen Land herausgegeben, unter anderem auch von den erwähnten Herford-Häftlingen Alfred Kremer, Julius Schmidt und Alfred Sigismund.

Als einziger der bisher fünf ermittelten homosexuellen Häftlinge im Zuchthaus Herford überlebte der Lehrer Walter Timm das „Dritte Reich“. Über ihn hat der Historiker Bernhard Gelderblom eine biographische Skizze im Internet veröffentlicht.

Armin Breidenbach | Titelfoto: Flagge Gedenkstätte Buchenwald


Quellen und Literatur

  • Arolsen Archives, Online-Archiv: Verschiedene Dokumente
  • Bülow, Carola von: Der Umgang mit der nationalsozialistischen Justiz mit Homosexuellen, Diss. Oldenburg 2000. Online einsehbar.
  • Die Vergessenen aus dem Bergischen Land, hrsg. von Johann Max Franzen, Remscheid 2023
  • Fleermann, Bastian: Ulmer Höh’. Das Gefängnis Düsseldorf-Derendorf im Nationalsozialismus, Düsseldorf 2021
  • Herforder Kreisblatt vom 26.6.1939
  • Gelsenzentrum | Stolpersteine Velbert, Kremer, WDR, Sigismund | Totenbuch Buchenwald
  • Stolpersteine erinnern an ehem. Häftlinge des Zuchthauses – Folge 1
  • Über das Zuchthaus Herford ist bisher nur wenig bekannt – Folge 2
  • Widerstand gegen das NS-Regime führte zu hohen Zuchthausstrafen – Folge 3
  • Einlieferung von Häftlingen in das Zuchthaus Herford – Folge 4
  • Zeitungen im „Dritten Reich“ über Prozesse gegen Antifaschisten – Folge 5
  • Über Ort und Dauer der Inhaftierung keine Informationen – Folge 6
  • Der Direktor des Zuchthauses Herford: Dr. Josef Wüllner – Folge 7
  • Kommunistische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 8
  • Solinger Kommunisten als Strafgefangene im Zuchthaus Herford – Folge 9
  • Sozialdemokratische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 10

  • Sozialdemokrat Fritz Steinhoff im Zuchthaus Herford – Folge 11
  • Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil I) – Folge 12
  • Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil II) – Folge 13
  • Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil III) – Folge 14
  • Jüdische Häftlinge im ehemaligen Zuchthaus Herford – Folge 15
  • Vor 80 Jahren: Ehem. Häftlinge im KZ Sachsenhausen erschossen – Folge 16
  • „Gewöhnliche“ kriminelle Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 17
  • Ausländische und staatenlose Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 18
  • Online-Archiv erleichtert die Suche nach Häftlingen – Folge 19
  • Häftlinge des Zuchthauses Herford im KZ Auschwitz ermordet – Folge 20
  • Homosexuell liebende Menschen als Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 21
  • Zur Zwangssterilisation nach Düsseldorf verlegt – Folge 22

 

1 Rückmeldung

  1. Jürgen Wenke sagt:

    Es freut mich sehr, dass Herr Breidenbach seit vielen Jahren bei seinen Forschungen immer auch die Verfolgung von Homosexuellen in der NS-Zeit sehr aufmerksam und fundiert im Blick hat. Unser Austausch bei den Forschungen hat schon gute Ergebnisse noch besser gemacht. Herzlichen Dank, Herr Breidenbach.

    Für alle, die noch mehr zu Julius Schmidt aus Velbert, Alfred Kremer aus Wuppertal, Heinrich Wahle aus Bochum und Alfred Sigismund aus Remscheid wissen möchten oder Interesse an der Erinnerungsnamenstafel im Krematorium des ehemaligen KZ Buchenwald haben, empfehle ich die Ergebnisse auf
    http://www.stolpersteine-homosexuelle.de und
    https://www.stolpersteine-homosexuelle.de/tafel-buchenwald
    https://www.stolpersteine-homosexuelle.de/wp-content/uploads/2025/01/Tafelentwurf-fuer-Buchenwald-2012-1.jpg

    Jürgen Wenke, 1.3.2025

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