Das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge 1934 – 1939 (Folge 13).
Nach derzeitigem Forschungsstand saßen im Zeitraum von 1934 bis 1939 mindestens 32 jüdische Häftlinge im damaligen Zuchthaus Herford ein, von denen 16 in der auszugsweise im Online-Archiv der Arolsen Archives einsehbaren Häftlingspersonalakte von Paul Bloch genannt werden. Nachdem die Verfolgungsschicksale von ihm und sechs weiteren jüdischen politischen Häftlingen in Folge 12 der Artikelserie über das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge dargestellt wurden, soll nun in der vorliegenden Folge auf die übrigen neun in jener Personalakte genannten jüdischen Häftlinge näher eingegangen werden, die am 9. Juni 1936 zusammen mit Paul Bloch im Zuchthaus Herford inhaftiert waren.
Moritz Brunner
Moschek Broner, der später seinen Namen in Moritz Brunner ändern ließ, wurde am 25. März 1897 oder am 25. April 1897 in Zgierz/Piotrków/Russland geboren und wohnte später in München-Gladbach (heute: Mönchengladbach) und Düsseldorf. Von Beruf war er Schneider, Polsterer und Hausierer. Brunner, der 1932 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) gewesen war, wurde wegen des Verdachts, sich nach 1933 illegal politisch betätigt zu haben, festgenommen und von München-Gladbach aus am 27. Mai 1935 als Untersuchungshäftling in das Gerichtsgefängnis Hamm eingeliefert. Am 4. Juni 1935 wurde er vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamm wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren verurteilt (Aktenzeichen: 6 O Js 12/35); ihm war die Unterstützung der Arbeit der illegalen Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) in Rheydt vorgeworfen worden.
Zwecks Strafverbüßung wurde er 13 Tage später von Hamm aus in das Zuchthaus Münster überführt. Wie eine im Online-Archiv der Arolsen Archives einsehbare Liste ehemaliger Häftlinge der Strafanstalt Münster dokumentiert, gehörte auch Moritz Brunner zu den zahlreichen Gefangenen, die von jenem Zuchthaus aus zur weiteren Strafverbüßung in das Zuchthaus Herford überstellt wurden. Wahrscheinlich wurde er zusammen mit 21 weiteren im Zuchthaus Münster inhaftierten Strafgefangenen jüdischen Glaubens am 21. September 1935 von dort wegen eines anstaltsinternen Vorfalls zur weiteren Strafverbüßung in die Strafanstalt Herford verlegt; von dieser Maßnahme waren unter anderem auch Markus Haber, Ludwig Hess, Bernhard Hoffstadt und Emanuel Roman betroffen.
Von wann bis wann er in Herford seine Strafe verbüßen musste, konnte bis jetzt noch nicht ermittelt werden. Es ist aber belegt, dass er dort am 9. Juni 1936 zusammen mit Paul Bloch und anderen jüdischen Strafgefangenen inhaftiert war. Am 21. Dezember 1937 ordnete die Gestapo in München-Gladbach die “Schutzhaft” für Moritz Brunner an. Dieser wurde nach Verbüßung seiner Strafe nicht entlassen, sondern noch keine drei Wochen später, am 8. Januar 1938, als „Ausweisungshäftling – Jude” in das KZ Dachau eingeliefert, wo er die Häftlingsnummer 13306 erhielt. Von dort wurde er am 23. September 1938 in das KZ Buchenwald eingeliefert; dort bekam er die Häftlingsnummer 6648 zugeteilt. Am 18. April 1939 wurde er von Buchenwald nach Allenstein überführt und am 11. Mai 1939 nach Polen abgeschoben. Einige Zeit später kehrte Moritz Brunner nach Deutschland zurück; noch vor Ende des Zweiten Weltkriegs starb er in Köln.
Markus Haber
Der Buchhalter und Jude Markus Haber, der am 18. Oktober 1908 in Bernstein/Polen geboren wurde und die polnische Staatsangehörigkeit besaß, war nach Deutschland ausgewandert und wohnte später in Duisburg. Seiner Häftlingskarteikarte zufolge wurde er als Untersuchungshäftling 1935 vom Gerichtsgefängnis Duisburg aus wegen Verdachts auf Vorbereitung zum Hochverrat in das Gerichtsgefängnis Hamm eingeliefert. Weil er sich nach 1933 als Verbindungsmann des Duisburger KPD-Bezirksleiters betätigt und sich auch an der Herstellung illegaler kommunistischer Druckschriften beteiligt hatte, wurde er am 23. August 1935 vor dem OLG Hamm wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer Zuchthausstrafe von vier Jahren verurteilt (Aktenzeichen: 6 O Js 22/35).
Etwa eine Woche nach seiner Verurteilung wurde er am 2. September 1935 vom Gerichtsgefängnis Hamm in das Zuchthaus Münster überführt. Bereits knapp drei Wochen später, am 21. September 1935, wurde er zusammen mit 21 weiteren jüdischen Häftlingen vom Zuchthaus Münster aus in das Zuchthaus Herford eingeliefert. Wie lange er dort inhaftiert war, ließ sich bis jetzt nicht ermitteln; fest steht hingegen, dass er am 9. Juni 1936 zusammen mit Paul Bloch und anderen jüdischen Strafgefangenen dort einsaß. Das weitere Verfolgsschicksal von Markus Haber ließ sich bisher nicht ermitteln.
Alex Philipp
Der jüdische Kaufmann Alex Philipp wurde am 22. September 1881 in Köln geboren, wo er auch später noch wohnte. Am 29. Juni 1934 wurde er vom Reichsgericht in Leipzig wegen Verrats militärischer Geheimnisse und hochverräterischer Umtriebe zu einer Zuchthausstrafe von 12 Jahren und zu zehn Jahren Ehrverlust verurteilt; das geplante Strafende war der 29. Dezember 1945. Über Philipp existiert im Bundesarchiv eine Prozessakte, die aber im Rahmen der vorliegenden Arbeit noch nicht ausgewertet werden konnte. Wie die bereits mehrfach erwähnte Liste ehemaliger Häftlinge der Strafanstalt Münster belegt, gehörte auch Alex Philipp zu den vom Zuchthaus Münster in das Zuchthaus Herford überstellten Häftlingen; möglicherweise geschah dies am 21. September 1935.
Im Juni 1939, also kurze Zeit vor der Umwandlung des Zuchthauses Herford in ein Jugendgefängnis, wurde Alex Philipp in das Zuchthaus Hameln überführt, aus dem er am 2. Dezember 1939 in das Zuchthaus Brandenburg-Görden überstellt wurde. Etwa zwei Jahre später, am 16. Dezember 1941, wurde er (zusammen mit elf Gefangenen, darunter vier weitere jüdische Häftlinge) vom Zuchthaus Brandenburg-Görden erneut in das Zuchthaus Hameln überführt Nachdem er dort etwa weitere elf Monate seiner Strafe verbüßt hatte, wurde er von dort zusammen mit 25 anderen jüdischen Häftlingen und einem “Zigeuner” in die Strafanstalt Celle verlegt. Am 22. Mai 1943, also noch vor seinem geplanten Strafende, wurde er von dort in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Sein weiteres Schicksal ist bisher nicht bekannt; vermutlich wurde Alex Philipp, der weder im 2006 vom Bundesarchiv herausgegebenen „Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945“, noch in der Online-Version dieses Gedenkbuchs erwähnt wird, im KZ Auschwitz ermordet.
Ludwig Hess
Der Mechaniker Ludwig Hess, geboren am 3. Mai 1913 in Frankfurt/Main und dort auch wohnhaft, war von 1929 bis 1933 Mitglied der KPD gewesen. Er gehörte keiner Religionsgemeinschaft mehr an, wurde jedoch in verschiedenen Haftdokumenten als „Jude“ oder “Halbjude” bezeichnet. Ludwig Hess, der im „Dritten Reich“ in Frankfurt Widerstand gegen das NS-Regime geleistet hatte und auch in dem Buch von Barbara Mausbach-Bromberger “Arbeiterwiderstand in Frankfurt am Main” erwähnt wird, wurde am 23. Februar 1935 festgenommen. Wegen Vorbereitung zum Hochverrat wurde er am 17. Mai 1935 vor dem Oberlandesgericht Kassel im selben Verfahren wie Emanuel Roman (Aktenzeichen: 0 Js 52/35) zu einer Zuchthausstrafe von fünf Jahren verurteilt; sein geplantes Strafende wurde auf den 24. Februar 1940 festgelegt. Auch er gehörte zu den 22 im Zuchthaus Münster inhaftierten Strafgefangenen jüdischen Glaubens, die am 21. September 1935 vom Zuchthaus Münster in das Zuchthaus Herford verlegt worden waren. Dort war er mit den jüdischen politischen Gefangenen Paul Bloch und Richard Rosendahl in einer Zelle eingesperrt, die normalerweise nur für einen Häftling vorgesehen war. Wie die Häftlingspersonalakte von Paul Bloch belegt, war Hess mindestens bis zum 9. Juni 1936 im Zuchthaus Herford inhaftiert. Weitere Haftstationen von Hess waren das Bezirkskrankenhaus des Straf- und Gerichtsgefängnisses Düsseldorf-Derendorf, die Strafanstalten Frankfurt und Kassel und das Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen.
Seine Häftlingskarteikarte des Zuchthauses Lüttringhausen weist nicht nur einen in der rechten oberen Ecke mit einem roten Stift vorgenommenen Vermerk “Jude” auf, sondern außerdem den Stempel “Moorunfähig”, das heißt, dass Hess für die Überstellung in eines der berüchtigten Moorlager des Emslandes (wie zum Beispiel Börgermoor und Esterwegen) als nicht geeignet eingeschätzt worden war. Die Häftlingskarteikarte weist ferner einen handschriftlichen Vermerk auf, dass Hess auf Anordnung der Geheimen Staatspolizeileitstelle Frankfurt/Main nach Strafverbüßung in “Schutzhaft” zu nehmen und in das Polizeigefängnis Frankfurt/Main zu überführen sei. Vermutlich wurde er am 3. September 1940 über das Polizeigefängnis Frankfurt/Main als „jüdischer Schutzhäftling“ in das KZ Dachau eingeliefert, wo er die Häftlingsnummer 16948 erhielt. Am 12. Juli 1941 wurde er von dort in das KZ Buchenwald überstellt, wo er die Häftlingsnummer 8427 zugeteilt bekam. Am 17. Oktober 1942 wurde er von dort in das KZ Auschwitz überführt und erhielt dort die Häftlingsnummer 68486. Später war er als politischer jüdischer „Schutzhäftling“ noch im KZ Mittelbau, wo er die Häftlingsnummer 106756 bekam und als Pfleger beschäftigt war. Vermutlich gegen Kriegsende befand er sich als “Schutzhäftling” im KZ Dora. Ludwig Hess überlebte zwar das “Dritte Reich”, starb aber bereits am 29. Januar 1949 in Frankfurt.
Alfred Oppenheim
Der Kaufmann Alfred Oppenheim, der dem mosaischen Glauben angehörte, wurde am 14. November 1906 in Düsseldorf geboren, wo er auch später noch wohnte. Oppenheim, der als Jugendlicher der zionistischen Jugendbewegung angehört hatte, versteckte 1933 einen von Verfolgung bedrohten Freund aus der Jugendbewegung. Durch ihn hatte er Kontakt mit der illegalen KPD und beteiligte sich an deren Widerstand gegen das NS-Regime. Zusammen mit der jüdischen kaufmännischen Angestellten Sally Katzenstein stellte er regelmäßig dem sogenannten AM-Apparat, dem Nachrichtendienst der KPD, sowohl seine Düsseldorfer Wohnung als auch einen PKW zur Verfügung. Beide wurden später von der Gestapo festgenommen.
Alfred Oppenheim wurde am 17. Juni 1935 wegen Verdachts auf Vorbereitung zum Hochverrat von der Polizei Düsseldorf als Untersuchungshäftling in das Straf- und Gerichtsgefängnis Düsseldorf-Derendorf eingeliefert. Vor dort wurde er am 23. April 1936 nach Hamm überführt. Am 8. Mai 1936 wurde er wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer Zuchthausstrafe von sechs Jahren und außerdem zu vier Jahren Ehrverlust verurteilt; das geplante Strafende wurde auf den 2. Juni 1941 festgesetzt. Nach Auskunft vom Landesarchiv NRW, Abteilung Ostwestfalen-Lippe, Detmold, wurde er am 25. Mai 1936 in das Zuchthaus Herford eingeliefert und am 20. Juni 1939 in das Zuchthaus Siegburg überführt. Während der dortigen Haft heiratete er am 6. April 1941 Martha Cohn.
Laut seiner Häftlingskarteikarte des Zuchthauses Siegburg wurde Oppenheim zwei Monate nach seiner Heirat, am 6. Juni 1941, von dort in das Polizeigefängnis Düsseldorf überführt, da er vier Tage vorher seine Zuchthausstrafe verbüßt hatte. Einige Zeit später wurde er in das KZ Neuengamme bei Hamburg deportiert; über seinen Tod schreibt Hildegard Jakobs von der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf: “Alfred Oppenheim verstarb am 24. Juni 1942 als Häftling des Konzentrationslagers Neuengamme in der Euthanasie-Anstalt Bernburg an der Saale. Er wurde im Zuge der sogenannten Aktion ’14 f 13′ als ‘arbeitsunfähig’ ausgesucht und ermordet.”
Bernhard Hoffstadt
Auch der Jude Bernhard Hoffstadt, der am 5. März 1915 geboren wurde und in Köln-Ehrenfeld wohnte, hatte nach 1933 Widerstand gegen das NS-Regime geleistet. Deshalb wurde er vor dem Oberlandesgericht Hamm im Verfahren O.J. 838/34 wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt. Den ersten Teil seiner Strafe verbüßte er im Zuchthaus Münster; zusammen mit 21 weiteren dort inhaftierten Strafgefangenen jüdischen Glaubens wurde er am 21. September 1935 in das Zuchthaus Herford verlegt. Nach Auskunft des Landesarchivs NRW, Abteilung Ostwestfalen-Lippe, Detmold, begann Bernhard Hoffstadts Strafzeit am 4. Juli 1934 und sollte am 4. Juli 1938 enden; tatsächlich wurde Hoffstadt aber bereits am 4. Oktober 1937 entlassen. Sein weiterer Lebensweg konnte bisher noch nicht ermittelt werden.
Emanuel Roman
Der Jude Emanuel Roman, der am 22. November 1883 in Frankfurt/Main geboren wurde und dort auch später noch als Schuhmacher wohnte und arbeitete, hatte keiner politischen Partei oder Organisation angehört. Aber auch er hatte nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten Widerstand gegen das NS-Regime geleistet und befand sich deshalb ab dem 13. März 1935 in Haft. Wegen Vorbereitung zum Hochverrat wurde er zu einer Zuchthausstrafe von sechs Jahren verurteilt; sein geplantes Strafende wurde vermutlich auf den 13. März 1941 festgelegt. Einen Teil dieser Strafe musste er im Zuchthaus Kassel-Wehlheiden verbüßen.
Auch er gehörte zu den zahlreichen Häftlingen, die vom Zuchthaus Münster aus zur weiteren Strafverbüßung in das Zuchthaus Herford überstellt wurden. Von dort wurde er zusammen mit weiteren dort inhaftierten Strafgefangenen jüdischen Glaubens am 21. September 1935 in das Zuchthaus Herford verlegt. Wie lange er in jener Strafanstalt seine Strafe verbüßen musste, ließ sich bisher nicht ermitteln; aber spätestens im Zusammenhang mit der bevorstehenden Umwandlung dieser Strafanstalt in ein Jugendgefängnis im Sommer 1939 muss er in ein anderes Zuchthaus verlegt worden sein, möglicherweise in das Zuchthaus Kassel-Wehlheiden. Nach Ende der Strafverbüßung (13. März 1941) wurde Emanuel Roman aber nicht freigelassen, sondern noch am selben Tag in “Schutzhaft” genommen. Am 8. Mai 1941 wurde er als „politischer Jude“ von der Stapo Frankfurt in das KZ Buchenwald eingeliefert, wo er die Häftlingsnummer 1443 erhielt. Bereits vier Tage später kam er dort um; nach offiziellen Angaben starb er am 12. Mai 1941 um 6.35 Uhr angeblich an “Versagen des Herz- und Kreislaufsystems”. Seit 2017 erinnert in Frankfurt/Main, Heiligkreuzgasse 22, ein „Stolperstein gegen das Vergessen“ an Emanuel Roman.
Bernhard (Baruch) Schreier
Bernhard (Baruch) Schreier, der am 9. Januar 1894 in Gwozdziec/Polen geboren wurde und nach dem Ersten Weltkrieg nach Frankfurt/Main gezogen war, betrieb dort einen Zigarrenladen. Schon lange vor 1933 hatte er sich in der Gewerkschaftsbewegung betätigt. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 engagierte er sich in Frankfurt in der Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO). Er war deren Kassierer und soll angeblich als Bezirksleiter mit allen kommunistischen Funktionären in Frankfurt in Kontakt gestanden haben. Außerdem war er an der Verbreitung illegaler Schriften beteiligt. Schreier, der im März 1935 festgenommen worden war, wurde im November 1935 im Prozess gegen Glaab und andere durch Urteil des Strafsenats des Oberlandesgerichts Kassel zu einer Zuchthausstrafe von acht Jahren Zuchthaus verurteilt; außerdem erfolgte die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von zehn Jahren.
Nach einer von der Stadt Frankfurt am Main online veröffentlichten „Stolperstein“-Biographie über Bernhard (Baruch) Schreier verbüßte dieser seine Strafe in Kassel-Wehlheiden, später im Zuchthaus Werl, im Zuchthaus Herford und bis 1942 wieder in Kassel-Wehlheiden; die jeweiligen Haftzeiten werden allerdings nicht genannt. Bekannt ist aber, dass Schreier am 9. Juni 1936 zusammen mit Paul Bloch und 15 anderen jüdischen Strafgefangenen im Zuchthaus Herford inhaftiert war. Der erwähnten „Stolperstein“-Biographie zufolge wurde er am 1. Dezember 1942 als „Schutzhäftling” in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert; er kam dort oder in einem anderen KZ ums Leben, während es seiner Frau gelang,1939 zusammen mit den beiden Kindern nach England zu flüchten. Seit 2010 erinnert vor dem Haus Bäckerweg 19 in Frankfurt-Nordend ein „Stolperstein gegen das Vergessen“ an Baruch Schreier.
Siegfried Steineberg
Der Jude Siegfried Steineberg wurde am 8. Dezember 1906 in Hartenfels/Westerwald geboren (in mehreren Quellen heißt es fälschlich Hardenfels oder Hardenfeld). Nach dem Besuch der Volksschule in Wollenberg (heute ein Ortsteil der Stadt Rappenau im Landkreis Heilbronn) absolvierte er eine Lehre bei der Düsseldorfer Lokal-Zeitung. Danach war er ab 1923 als kaufmännischer Angestellter in einem Düsseldorfer Lebensmittelgroßhandel beschäftigt. Steineberg, der in der jüdischen Gemeinde Düsseldorf aktiv war, gehörte dem jüdischen Sportverein Makkabi an. In dem Buch von Konrad Kwiet und Helmut Eschwege heißt es über ihn unter anderem: “Steineberg hatte zwar vor 1933 der Revolutionären Gewerkschaftsopposition, nicht aber der KPD. angehört. […] Zusammen mit seinem Freund Erwin Simons wurde er im Sommer 1935 an der Rheinbrücke bei Zons gefaßt, als er die Verbindung mit dem KPD-Funktionär Johann Scheer aufnehmen wollte.”
Etwas anders fällt die Darstellung in dem “Gedenkbuch der Landeshauptstadt Düsseldorf: Zur Erinnerung an die jüdischen Opfer 1933-1945” aus: “Politisch engagierte sich Siegfried Steineberg in der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Am 23. Juli 1935 wurde er auf der Graf-Adolf-Straße in Düsseldorf verhaftet. In der Gestapo-Akte wird folgendes über ihn vermerkt: Als Ende Dezember 1934 die Leitung der KPD-Widerstandsgruppe Düsseldorf-Bilk verhaftet wurde, habe Steineberg die Arbeit weitergeführt. Das von Karl Vogt verfasste Widerstandsflugblatt ‘Jugend, wir rufen Dich!’ sei von ihm verbessert und vervielfältigt worden. Außerdem habe er 100 Flugblätter ‘Pressedienst’ und 200 Aufrufe zum 1. Mai 1935 herausgegeben.”
Am 26. August 1935 wurde Steineberg wegen Verdachts auf Vorbereitung zum Hochverrat als Untersuchungshäftling in das Gerichtsgefängnis Düsseldorf-Derendorf eingeliefert; von dort wurde er am 5. Dezember 1935 nach Berlin überführt. 14 Tage später, am 19. Dezember 1935, wurde er vom II. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm in einem Prozess mit insgesamt zwei Angeklagten wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer Zuchthausstrafe von sechs Jahren verurteilt. Wie Steinebergs Häftlingskarteikarte des Strafgefängnisses Berlin-Plötzensee zu entnehmen ist, wurde sein geplantes Strafende auf den 19. August 1941 festgesetzt. Nach Auskunft vom Landesarchiv NRW, Abteilung Ostwestfalen-Lippe, Detmold, wurde Siegfried Steineberg am 10. Februar 1936, also knapp zwei Monate nach seiner Verurteilung, in das Zuchthaus Herford eingeliefert, wo er – abgesehen von kurzen Unterbrechungen – bis zum Juni 1939 inhaftiert war. Während seiner dortigen Haft schrieb er am 16. August 1936 einen sehr zuversichtlichen Brief an die mit ihm befreundete Familie Blumenberg; der Brieftext ist dem Beitrag von Hildegard Jakobs über Siegried Steineberg entnommen:
„Vielen Dank für Ihre bisherige Mühe für mich und für Ihre netten Briefe, mit denen ich mich stets sehr gefreut habe. Können Sie sich eigentlich von mir vorstellen, dass ich mal den Mut sinken lasse oder verzage? Ich glaube nicht! Das mag Ihnen schon Beweis genug sein, dass es immer gut geht. Lebenserfahrung hängt nicht vom Alter allein ab, Glück und Zufriedenheit aber oft von den Lehren dieser Erfahrungen. Der Mensch, der weiss, was er will, ehrlich und fest ist, geht erhobenen Hauptes durchs Leben. – Ich fühle mich stärker als je und auch gesunder. – Einmal war ich schon 8 Tage von hier weg als Zeuge in Hamm und nächste Woche fahre ich nochmals etwa 8 Tage als Zeuge zum Volksgericht nach Berlin, zum höchsten deutschen Gericht, von dem auch ich verurteilt worden bin. Sie können sich danach vorstellen, was für ein schwerer Junge ich bin!“.
Der Brief befindet sich heute in Steinebergs Gestapoakte im Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland, Duisburg; daraus ist zu schließen, dass er der Briefzensur zum Opfer gefallen war und deshalb nicht an den Empfänger ausgeliefert wurde. Nach einer Häftlingskarteikarte von Siegfried Steineberg wurde dieser von Herford aus am 19. August 1936 in die Strafanstalt Berlin-Plötzensee eingeliefert und am 2. September 1936 wieder nach Herford zurück überführt. Im Zusammenhang mit der bevorstehenden Umwandlung dieser Strafanstalt in ein Jugendgefängnis wurde er am 20. Juni 1939 von dort dem Zuchthaus Siegburg überstellt. Nach der Haft wurde er am 19. August 1941 in „Schutzhaft“ genommen und drei Tage später in das Düsseldorfer Polizeigefängnis überführt, um von dort am 18. November nach Mauthausen deportiert zu werden. Am 22. November 1941 wurde er in das Konzentrationslager Mauthausen eingeliefert, wo er die Häftlingsnummer 1592 zugeteilt bekam. Bereits am 2. Dezember 1941 wurde er dort angeblich “auf der Flucht erschossen”. Vor dem Haus Friedenstraße 18 in Düsseldorf erinnert seit einigen Jahren ein „Stolperstein gegen das Vergessen“ an Siegfried Steineberg.
Armin Breidenbach
Quellen und Literatur
- Arolsen Archives, Online-Archiv: Verschiedene Dokumente
- Bilz, Fritz: Erich Sander – Fotograf und unbeirrbarer Widerstandskämpfer (1903 bis 1944), in: NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln (Hrsg.): August Sanders unbeugsamer Sohn. Erich Sander als Häftling und Gefängnisfotograf im Zuchthaus Siegburg 1935 – 1944, Berlin 2015, S. 197 – 234
- Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945, bearbeitet und herausgegeben vom Bundesarchiv, 2. Aufl., Koblenz 2006, Band I – IV
- Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin: Schriftliche Auskunft vom 4.7.2024
- Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt/Main: Schriftliche Auskunft vom 19.4.2024
- Keller-Holte, Mario: Schriftliche Auskunft vom 26.2.2024
- Kwiet, Konrad und Eschwege, Helmut: Selbstbehauptung und Widerstand. Deutsche Juden im Kampf um Existenz und Menschenwürde 1933 – 1945, 2. Aufl., Hamburg 1986
- KZ-Gedenkstätte Mauthausen: Datenbankauszug zu Siegfried Steineberg (Stand: 22.8.2023)
- Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland: Gerichte Rep. 331, Nr. 1 -10: Gefangenenkartei der Strafanstalt Remscheid-Lüttringhausen zur NS-Zeit
- Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen, Münster: Schriftliche Auskunft vom 8.7.2024
- Landesarchiv NRW, Abteilung Ostwestfalen-Lippe, Detmold: Schriftliche Auskünfte vom 26.3.2024 und 8.5.2024
- Landeshauptstadt Düsseldorf – Der Oberstadtdirektor (Hrsg.): Verfolgung und Widerstand in Düsseldorf 1933 – 1945, Düsseldorf 1990
- Mausbach-Bromberger, Barbara: Arbeiterwiderstand in Frankfurt am Main. Gegen den Faschismus 1933 – 1945, Frankfurt am Main 1976
- Schabrod, Karl: Widerstand an Rhein und Ruhr 1933 – 1945, Hrsg.: Landesvorstand der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1969
- Wever, Dieter: Schriftliche Auskünfte vom 10.2.2021 und 21.2.2021
- Stadtgeschichte Frankfurt | Gedenkbuch Düsseldorf Oppenheim, Steineberg
- Stolpersteine Frankfurt, Opfergruppen | JVA Münster | Offenes Archiv | Rheinische Geschichte
- Stolpersteine WDR | Bundesarchiv, Gedenkbuch
- Stolpersteine erinnern an ehem. Häftlinge des Zuchthauses – Folge 1
- Über das Zuchthaus Herford ist bisher nur wenig bekannt – Folge 2
- Widerstand gegen das NS-Regime führte zu hohen Zuchthausstrafen – Folge 3
- Einlieferung von Häftlingen in das Zuchthaus Herford – Folge 4
- Zeitungen im „Dritten Reich“ über Prozesse gegen Antifaschisten – Folge 5
- Über Ort und Dauer der Inhaftierung keine Informationen – Folge 6
- Der Direktor des Zuchthauses Herford: Dr. Josef Wüllner – Folge 7
- Kommunistische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 8
- Solinger Kommunisten als Strafgefangene im Zuchthaus Herford – Folge 9
- Sozialdemokratische Häftlinge im Zuchthaus Herford – Folge 10
- Sozialdemokrat Fritz Steinhoff im Zuchthaus Herford – Folge 11
- Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil I) – Folge 12
- Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil II) – Folge 13
- Jüdische Widerstandskämpfer im Zuchthaus Herford (Teil III) – Folge 14