Dass der Haftalltag hinter den Mauern von Justizanstalten für öffentliche Augen häufig unsichtbar bleibt, ist für Menschen, die in Gefängnissen leben oder dort arbeiten, kein ungewöhnliches Phänomen. Durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie ist der Austausch zwischen „Drinnen“ und „Draußen“ zeitweise fast gänzlich zum Erliegen gekommen.
Für die Arbeit in den Ethikkomitees bedeutet dies seit den ersten Verordnungen zum Infektionsschutz landesweit die Einstellung der meisten Aktivitäten über einen langen Zeitraum. Es konnten keine Workshops, keine Komiteesitzungen oder sonstigen Austauschrunden stattfinden. Ethische Fragen und Themen hingegen traten und treten durch die neuen Umstände umso mehr zu Tage. Diesen Gesprächsbedarf aufgreifend gibt es seit dem Frühjahr 2021 nun online-Foren, um ethische Themen über Fachgrenzen hinweg und in einem Raum des offenen Austauschs zu beleuchten und sichtbar zu machen. Veranstaltet werden diese von der Arbeitsgemeinschaft Ethik der Katholischen Gefängnisseelsorge in Deutschland e.V. in Zusammenarbeit mit der Professur für Christliche Sozialethik der Universität Würzburg.
Ethische Fragen des Vollzugs im digitalen Raum
In jeweils anderthalb Stunden wird ein Thema mit einem kurzen Input vorgestellt und gerahmt, welches dann anhand von kurzen Impulsfragen in Kleingruppen, so genannten Breakout-Rooms, mit den Erfahrungen der Teilnehmenden unterfüttert wird. Im anschließenden Plenum werden diese zusammengeführt und weitergedacht. So konnten in bislang neun Foren verschiedene Themen behandelt werden, darunter familienorientierter Vollzug, Religionsfreiheit, coronabedingte Maßnahmen, Lebensältere und Sterben im Vollzug, psychische Auffälligkeiten und Gewalt. Das Anliegen ist, die Probleme aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten, Erfahrungen und Schwierigkeiten zu benennen, aber insbesondere das eigene Handeln zu reflektieren und weiterzuführen, um nicht in einem Lamento über die Gegebenheiten stehen zu bleiben. Die Erfahrungen mit diesem Format bislang zeigen, dass es vielfältige Möglichkeiten gibt und diese bereits umgesetzt werden, mit verschiedensten Konflikten und Schwierigkeiten umzugehen. Trotzdem wird in allen Bereichen deutlich, dass die einzelne Person an Grenzen des Systems und der Institution stößt, die nur schwer zu überwinden sind.

Im Justizvollzug gibt es klare normative Grundlagen – Rechtsnormen, an denen sich das vollzugliche Handeln auszurichten hat. Es gibt Normen und Vorschriften, Traditionen, Werte und Überzeugungen, die das Handeln bestimmen. Manches mal stehen sie in Spannung zueinander. Was sind die Werte der Akteure, was die der Organisation, welches sind die des Umfeldes, der Gesellschaft, der Politik?
Ethik | Theologie

Von der destruktiven Kraft meiner Scham
Inhaftierten ist oft die Erfahrung einer liebevoll umsorgenden Familie in ihrer Kindheit fremd geblieben. Manche haben ungeheuer viel Missachtung erfahren, wurden gedemütigt, geschlagen und missbraucht. Das hat bleibende Folgen in den Straftaten ...

Macht und Ohnmacht – theologisch betrachtet
Wenn Petrus Ceelen das Glaubensbekenntnis betet, gerät er ins Stammeln. Nicht nur bei dem Satz: "Ich glaube an die heilige katholische Kirche." Gleich am Anfang kommt er in Schwierigkeiten, wie er immer ...

Eine Zukunft des Gefängnissystems denken?
Ist es möglich, das bestehende Gefängnissystem von einer Zukunft her zu denken, in der ein veränderter Begriff von ausgleichender Gerechtigkeit den Umgang einer Gesellschaft mit straffällig gewordenen Menschen prägt? Die Handreichung der ...

Ort der Komplexität und der Kontingenz im Gefängnis
Die Gefängnisseelsorge steht auf der Schwelle zweier Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die eine bedeutet Freiheit, die andere Gefangenschaft. Beide Welten sind aufeinander bezogen und doch hermetisch voneinander abgeschottet. Nur wenige ...

Sprachlos vor Corona? Ein großes Trotzdem
Wir sind im harten Lockdown mit denselben Einschränkungen wie der Lockdown im Frühjahr 2020. Nur der Profisport darf weitermachen. Es ist nach meinem Eindruck absehbar, dass dieser Lockdown im Blick auf die ...

Restorative Justice: Sozialethische Perspektiven auf das Konzept
Der deutsche Justizvollzug ist eine besondere Institution, deren Charakter maßgeblich von ihrer Funktion geprägt ist: So ist gemäß Paragraf § 2 StVollzG des Bundes das Vollzugsziel, dem alle weiteren Aufgaben bei- bzw. ...

Männer, die den Platz „des Herrn“ einnehmen und ihn repräsentieren
Warten bedeutet Vorbereiten, gespannt sein, Vorfreude. Warten teilt sich in unterschiedliche Phasen auf: Ankündigung des Kommens, Überlegungen zum Empfang, zum Bewirten, was auch immer. Ein Spannungsbogen entsteht. Er wird um so größer, ...

Pastoralpsych. Assoziationen zur fragwürdigen Praxis des Ablasses
Existentielle Grunderfahrungen des Lebens, wie Leben und Tod, Bindung und Trennung, Schuld und Vergebung, beschäftigen die Menschen seit jeher. Sie finden Ausdruck im reichhaltigen Schatz der „Traditionals“ der Menschheit, in den Ritualen, ...

Biblische Spurensuche: Gnade vor Recht – Was (ge-)Recht ist
Ein Spannungsfeld wird deutlich, sobald die Bibel zu „Gnade/Barmherzigkeit“ und „Recht/Gerechtigkeit“ mit Blick auf Gott/das Gottesbild befragt wird. Die beiden biblischen Gottesaussagen markieren die Pole eines zentralen Spannungsverhältnisses, das nicht nur zu ...

Gefängnisseelsorge als ein theologischer Anders-Ort
Gefängnisseelsorge steht - wie sollte es anders sein – in der Nachfolge Jesu Christi, der sich in seinem Leben weder durch gesellschaftliche Ausgrenzungsmechanismen noch durch Gesetze, wenn sie nicht menschengerecht waren, in ...

Schuld und Sühne – Aufarbeitung im Knast
Der eine dealt mit Drogen, der zweite ist ein Betrüger und der dritte hat ein Geschäft ausgeraubt. Wer in Deutschland ein Verbrechen begeht, wird bestraft, sagt die Jurisdiktion. Gott vergibt uns unsere ...

Der Hoffnung mehr trauen als alten Gewohnheiten
Die Freunde Jesu waren als Fischer zurückgekehrt, um wieder fischen zu gehen, wie in alten Zeiten – als wenn nichts gewesen wäre. So wird es uns von einigen Jüngern Jesu im letzten ...

Liebt eure Feinde: Der erste Feind bin ich selbst
„Liebt eure Feinde“ – das Gebot schlechthin von Jesus kommt ausgerechnet am Wahlsonntag zum neuen Bundestag im Evangelium. Wo es doch in diesen aufgeheizten Tagen so wichtig scheint, mit aller Macht auf ...

Gibt es eine Ethik des Wollens im Knast?
In unserer heutigen Welt greifen Rechtsnormen in alle Lebensbereichen des einzelnen Menschen ein. Rechtsnormen können das Leben schützen aber auch komplett zerstören. Hier muss nun gefragt werden, ob Rechtsnormen nur plausibel sein ...

Nicht um beste Plätze: Christsein geht ohne Konjunktiv
Die MystikerInnen* lehren uns in der Nacht des Menschseins das aufgehende Licht zu sehen. Als Klinikseelsorger der Kirche macht mich diese Stelle im Markus-Evangelium besonders betroffen: „Wer bei euch groß sein will, ...

Herausforderung christlicher Sozialethik: Homo Hygienicus
Der Philosoph Matthias Burchardt hat mehrfach die Entstehung und Durchsetzung eines neuen Sozialtyps konstatiert, des so genannten „Homo Hygienicus“. Die Herausbildung dieses Typs hat für ihn einschneidende Konsequenzen für den Einzelnen wie ...

Wider die Moralisierung Gottes. Das „Wenn-Dann“ durchbrechen
Nicht nur mit den Missbrauchsfällen in den Kirchen, aber da abgründig und endgültig, haben Menschen massenweise ihr Vertrauen in Menschen, die in Kirchen verantwortlich sind, verloren. Der Absturz erfolgte von einer schwindeligen ...

Logik des Kampfes: Der Esel und die weiße Fahne
Es gab weltweite Aufregung um ein Interview mit dem Papst, das er einem lokalen italienischen Sender gab. Darin ging es um die Bedeutung der Farbe Weiß in verschiedenen Kontexten. So wurde er ...
Arbeitsgemeinschaft Ethik
Die Initiative zu diesem Format geht von der Arbeitsgemeinschaft Ethik aus, die sich aus GefängnisseelsorgerInnen aus ganz Deutschland zusammensetzt und wissenschaftlich von Prof. Dr. Michelle Becka und Katharina Leniger, beide von der Professur für Christliche Sozialethik der Katholisch-Theologischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, begleitet wird. Sowohl die inhaltliche Vorbereitung als auch die organisatorische Durchführung wird von der Gruppe getragen. Die Arbeitsgemeinschaft bietet zudem regelmäßig zweitägige Workshops zur Arbeit in Ethikkomitees an, die jedoch auf Grund von Dienstzeiten und der deutschlandweiten Anreise nicht immer von allen Interessierten genutzt werden können. Der digitale Vernetzungsraum hat sich somit als fruchtbar und als Erweiterung des Angebots insbesondere für Interessierte an ethischen Fragen erwiesen, die selbst nicht in einem Ethikkomitee mitarbeiten (können). Insofern soll das Angebot auch weiterhin aufrechterhalten werden und geht im Herbst in eine dritte Runde.
Interessierte können sich per E-Mail an katharina.leniger(at)uni-wuerzburg.de in den Mailverteiler aufnehmen lassen und erhalten regelmäßig Informationen zu diesem Angebot. Die Teilnahme an einzelnen Terminen ist möglich, Kosten entstehen keine.




