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Es ist nicht an uns, Himmel oder Hölle zuzuteilen

25. November 2023

„Gott – jeder – ich“ steht geschrieben auf dem großen Bodenbild in der ehemaligen Klosterkirche „Unser Lieben Frauen“ im Magdeburger Kunstmuseum. Martin Assig schuf es 2018 mit verschlungenen Wegen, die überraschende Wendungen finden, dazwischen einzelne Worte. Es ist wie eine moderne begehbare Meditation in diesem mehr als 1000 Jahre alten Kirchenraum. „Gott – jeder – ich“, geschrieben inmitten der Pfade sich begegnender Lebenslinien – das beschreibt auch, wovon das Matthäus-Evangelium erzählt.

Beichtstuhl oder Abstellraum der Kirchengemeinde „Maria Hilf“ im Frankfurter Gallus-Viertel.

„Wenn der Menschensohn kommt“, so eröffnet es eine Deutung menschlicher Geschichte, die überraschend ungewöhnlich ist. Denn hier ist nicht mehr wichtig, was zeitlebens so viel ausmacht: getrieben zu sein von Ansprüchen, so oder so sein zu müssen und dieses oder jenes unbedingt haben zu müssen. Eine neue Perspektive tut sich auf mit dem „Menschensohn“. Das in biblischer Tradition in männlicher Form gebrauchte Wort meint eine Bewegung im Menschen von Gott her, die sowohl unser Denken in Geschlechterrollen wie unsere Kategorien von Leistung, Lohn und Strafe aufbricht. Im Christentum ist Jesus zum Menschensohn geworden, der in seinem Leben und seiner Hingabe Zeugnis gab von der göttlichen Gabe in jedem Menschen, einander und sich selbst versöhnlich und barmherzig zu begegnen. So wird die Barmherzigkeit im Kommen des Menschensohnes zum Maßstab menschlichen Unterwegsseins: was ihr einem von den Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan.

Abrechnen statt Barmherzigkeit

Gott ist nicht in unberührbarer Allmacht über den Wolken, sondern ganz unten im Geringsten, verletzlich, und leicht zu übersehen. Gott ist nicht entrückt in ewige Unendlichkeit, sondern erfahrbar in jedem Moment des Lebens. Gott ist im Geringsten, eine Gegenwart, die bedingungslos gelten lässt, was nach menschlichem Maßstab machtlos ist. Gott selbst kommt überraschend nah, so nah, dass die Zuhörenden des Evangeliums verwundert fragen: wann haben wir dich so gesehen? Gott öffnet den Blick für jede und jeden und auch ins eigene Selbst hinein für die Perspektive der Barmherzigkeit. So können wir uns in unserem Ausgesetzt-sein, im Leid und im Scheitern leiten lassen vom Mitgefühl. Das ist eine echte Herausforderung! Wie oft laufen wir aneinander vorbei und sehen nicht die göttliche Einladung zum Innehalten, gerade jetzt hilfreich da zu sein? Zudem scheint unser gewohntes Denken eher auf gegenseitiges Abrechnen programmiert zu sein als auf Barmherzigkeit. Das gilt insbesondere Gott gegenüber: geschehend eher noch harmlos mit dem Spruch „Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort“, nicht mehr harmlos aber im selbstgerechten Steinewerfen auf diejenigen, die wir für gottlos halten.

Nicht Himmel oder Hölle zuteilen

So wird hier nicht nur Barmherzigkeit offenbar, sondern auch Missachtung, im Evangelium getrennt auf rechter und linker Seite. Natürlich haben wir alle jeweils beide Seiten in uns selbst, denn „die Grenze zwischen Gut und Böse verläuft durch das Herz eines jeden Menschen“ (Solschenizyn). Müssen am Ende vor Gottes Angesicht tatsächlich Menschen ganz auf der linken Seite landen und weggehen zur ewigen Strafe? Oder gilt auch dann noch, was Jesu Botschaft ist, dass Gott bedingungslos Liebe ist? Es ist nicht an uns, Himmel oder Hölle zuzuteilen. Das Matthäusevangelium bietet uns das Bild eines Hirten, der, wie es wörtlich übersetzt heißt, Schafe und Ziegenböcke voneinander trennt. Das haben die Hirten in jener Zeit allerdings nicht zur Bestrafung getan, sondern aus Sorge um die Ziegen, die nicht das Fell der Schafe haben und deshalb für die kalte Nacht einen warmen Stall brauchen. Die Ziegen aber stehen im Evangelium für die auf der linken Seite…

Christoph Kunz | Matthäus 25, 31-46

 

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