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Jedes Wort von Theologen schon vorher gewusst…

21. Juni 2022

Wer sich von schlimmen Erfahrungen der Menschen mitschockieren lässt, wird selbst sprachlos und gewinnt gerade darin die Fähigkeit zu einer sensiblen Sprache. Wer sprachlos werden kann, kann bedeutsam sprechen. Mangelndes Einfühlungsvermögen dagegen kommt gar nicht so weit zu verstummen und zu stottern. Wer keine Sprachnot zulässt, kommt in eine andere Sprachnot, nämlich nicht mehr authentisch reden zu können. 

Glaubenssprache – (K)eine Lebenshilfe?

Der christliche Glaube beruft sich auf einen Gott, der in Christus bis zum Äußersten einfühlsam ist, so sehr, dass dieses „Wort Gottes“ selbst am Kreuz zu verstummen vermag. Christliche Seelsorge und Verkündigung darf daraus Kraft und Kriterium für Worte finden, die sich rühren lassen und berühren. Es ist nicht selten ein Problem in den Kirchen, dass viele Menschen erfahren, wie wenig das gepredigte und seelsorgerliche Wort das Niveau ihrer eigenen Erfahrungen und Brüche erreicht, aber auch nicht die Tiefen und Untiefen Gottes. Die Verkündigungssprache wird dann schnell, so „wahr“ sie in ihrer Wortbedeutung sein mag, zum beliebig wiederholbaren, erfahrungsentfernten und langweiligen Klischee. Sie beschwichtigt, entschärft und verdrängt, was sie verstärken und schützen sollte. Die Diarrhö dieser Sprache wirkt obstipativ. Hans Scholl hat am 17. August 1942 an der Ostfront in seinem Russlandtagebuch im Abschnitt „Über Schwermut“ geschrieben: „Es zieht mich manchmal schmerzlich hin zu einem Priester, aber ich bin misstrauisch gegen die meisten Theologen, sie könnten mich enttäuschen, weil ich jedes Wort, das aus ihrem Munde kommt, schon vorher gewusst hatte.“

Das Gegenteil wäre: Dass Menschen einen Ort finden, wo sie Rat suchen und querdenkende, überraschend phantasievolle Gesprächspartner antreffen, wo liebenswürdige-Ironie und geistreicher-Witz zu Hause sind, wo man ruhigen Herzens werden kann und Güte spürt, wo mehr zugehört wird als gesprochen, mehr Mitgefühl gezeigt wird als Pathos, wo mehr Fragen gestellt als Antworten gegeben werden, wo viel Neugierde herrscht im Hinhören auf Geschichten der Einzelnen, wo man Belesen heit und geistig-geistliche Offenheit antrifft und keine Ignoranz und Besserwisserei, wo die Menschen und die Hauptamtlichen der Kirche zu sagen wagen, dass sie mit etwas überfordert sind und nach einiger Zeit einfach keine Kraft mehr zum Zuhören und Reden haben und so ihre eigenen Grenzen zeigen, wo man Menschen nicht dauerhaft an sich zu binden versucht, sondern loslässt, gegen andere, vielleicht bessere GesprächspartnerInnen. Kurzum: Die Kirche als ein Ort, wo die Menschen nicht die Verwaltung Gottes, sondern die Öffnung für Gott spüren, für die Zukunft, die Gott bereithält Und die die Gegenwart beeindruckt.

Zu seinen Gunsten antworten?

So täuscht unser reiches Sprachgefüge des Glaubens darüber hinweg, pass es dennoch nicht verfügbar ist für die suchenden, ansatzhaften und manchmal ursprünglich evidenten oder schmerzlich vermissten Erfahrungen Gottes im Auf und Ab des Lebens. Dies gilt insbesondere für Erfahrungen seiner Abwesenheit, seiner Sperrigkeit und Andersartigkeit. Es geht also darum, die Glaubenssprache offen zu halten und diesem Offenhalten mit aller Vorsicht Ausdruck zu verleihen. Also nicht nur für die Benennbarkeit Gottes einzustehen, sondern über die Grenzen hinaus das Geheimnis Gottes offenzuhalten.

So ist danach zu fragen, ob denn die kirchlichen Deuteprozesse tatsächlich sowohl die Komplexität und die Tiefe menschlicher Erfahrung wie auch die entsprechende Komplexität Gottes und seines über alles hinausgehenden Geheimnisses erreichen bzw. berühren, ob Glaube und darin Gott selbst dicht an das Lebendige rühren. Vieles in meiner theologischen und pastoralen Ausbildung Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre war darauf angelegt, Gott und den Glauben zu „verteidigen“. Diese Haltung der Apologie und der Defensive reichte bis in seelsorgerliche Begegnungen hinein, wo Menschen mit schlimmen Erfahrungen konfrontiert wurden und ich mich unter dem Druck fühlte, ich müsste mich anstelle von Gott und zu seinen Gunsten antwortgebend verhalten. Erst nach einiger Zeit setzte sich die befreiende Haltung durch, dass ich zuerst auf der Seite der Leidenden (und nicht auf der Seite Gottes) zu stehen und mit ihnen die Unergründlichkeit des Geschehens Gott gegenüber mit zu vertreten habe (vgl. Fuchs 1982; Ebner/Fischer 2001 ; Schönemann 2009).

Keine Sinngarantie

Je mehr ich Gott in der Seelsorge rechthaberisch zum Sieg verhelfen wollte, desto weniger musste ich mich der Situation und dem Menschen und damit der Empathie aussetzen. Die Unangreifbarkeit, die Immunisierung Gottes zeigt sich auch darin, Gott möglichst rein als Überwölbung einer guten Sicht der Welt und eines guten Handelns anzusehen: fraglos gut und das Gute begründend, dualistisch abgesetzt von allem Schlechten. Gottes Wille ist identisch mit dem, was Menschen guttut. Er gilt als große Sinngarantie. Die biblischen Erzählungen und Texte bieten das Gegenteil einer solch einschichtigen Harmonie des Guten. Vielmehr fällt dieses Überwölbungshafte immer wieder in sich zusammen. Von Sinngarantie kann nicht die Rede sein, vielmehr von einer Haltung, die Gott selbst nicht aus der vielfältigen Komplexität, Sinnlosigkeit und Fragwürdigkeit menschlicher Erfahrungen entlässt. Gott ist nicht nur eine Problemlösung, er ist auch das zentrale Problem des Lebens und des Denkens. Die biblische Klage vermisst das Gute und klagt es ein. Gott erscheint nicht als fraglos gut, sondern es ist gerade die Frage der Klagepsalmen, warum Gott denn tatsächlich nicht als gut erlebt wird. Sicher: In dieser Fragwürdigkeit wird selbst wieder an einen Gott geglaubt, der dies alles hört und (hoffentlich!) nicht weghört.

Der Spiritualität, Gott derart ins Wort fallen zu dürfen, entspricht ein Menschenbezug, der von leidenden Menschen her und mit ihnen ins schöne bzw. schlüssige Wort fällt und zerstörerische Verhältnisse, aber auch eine davon unbeeindruckte Gottesverehrung unterbricht. Es steht noch aus, ähnliche Auswirkungen – aber mit entgegengesetzten Vorzeichen – in der Erfahrung unvorstellbaren Glücks, Vorallem in der Liebe, zu bedenken: die Unterbrechung des normalen Denkens, das abgrundtiefe Staunen und die beglückende Grundlosigkeit. Auch das Wunderbar-Beseligende versetzt in die Entrücktheit von Bisherigem.

Prof. em. Dr. Ottmar Fuchs

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Ottmar Fuchs war von 1998 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2014 ordentlicher Professor für Praktische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Fuchs studierte Philosophie und Theologie an den Universitäten Bamberg und Würzburg. Nach der Priesterweihe 1972 arbeitete er als Kaplan in der Pfarrei St. Michael in Nürnberg sowie als Studentenpfarrer und Mentor für die LaientheologInnen in Bamberg. 1977 promovierte er beim Pastoraltheologen Rolf Zerfaß an der Universität Würzburg mit der Dissertation Sprechen in Gegensätzen. Meinung und Gegenmeinung in kirchlicher Rede.

1981 folgte die Habilitation für Pastoraltheologie, ebenfalls in Würzburg. Zum Wintersemester 1981/82 wurde er ordentlicher Professor für Pastoraltheologie und Kerygmatik in Bamberg. 1998 wechselte er auf den Lehrstuhl für Praktische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen, wo er von 2000 bis 2004 das Amt des Dekans der Katholisch-Theologischen Fakultät bekleidete. Im Frühjahr 2021 bekannte er: „Für mich persönlich war und ist der Übertritt zur altkatholischen Kirche eine wachsende Versuchung.“

 

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