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Aus unserer selbst erschaffenen Knechtschaft befreien

5. Mai 2024

„Aimless Love“, „Ziellose Liebe“ nennt der New Yorker Lyriker Billy Collins eines seiner Gedichte. Es erzählt vom sich verlieben von Moment zu Moment, in den Zaunkönig, die tote Maus, die die Katze unter den Esszimmertisch gelegt hat, in die Näherin an ihrer Maschine und in eine Tasse Brühe. Und er schreibt: „Das ist die beste Art zu lieben, ohne Wiedergutmachungen, ohne Geschenke oder unschöne Worte, ohne Misstrauen oder Schweigen am Telefon.“

Schriftliche Gesprächsanträge von Inhaftierten an die Gefängnisseelsorge.

Ziellose Liebe will nicht irgendwo hin, sie gilt dem Moment, sie heißt willkommen, sortiert nicht und ordnet nicht ein, sie lässt einfach zu, was ist, und entdeckt darin genug sich zu verlieben. Billy Collins beschreibt die Liebe in seinem Gedicht vielmehr als ein Empfangen als ein Tätigsein, sie ist genährt im Bewusstsein der Verbundenheit mit allem, was lebt, und wird entfacht in der Hingabe. Es scheint auf den ersten Blick nicht nahezuliegen, eine solche ziellose Liebe mit der Liebe Gottes zu vergleichen, von der das Johannesevangelium erzählt. Und doch: Jesu Art, die Liebe Gottes zu leben, ist Hingabe. Sie ist bedingungslos und wirkt unabhängig von unseren Zuordnungen in richtig und falsch oder rein und unrein, und sie bedarf keiner Gegenleistung. Diese Art zu lieben eröffnet einen Raum der Verbundenheit in Wertschätzung und Mitgefühl.

Den rechten Weg weisen

Deshalb waren die Begegnungen mit Jesus für viele Menschen so heilsam, sie konnten wieder ganz sein, aufgehoben aus erlittener Ausgrenzung und leidvoller Demütigung. „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe“, sagt Jesus, „Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird… (Denn) nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt, dass ihr euch aufmacht“. Von dieser Zusage herkommend nennen die ersten Christen einander „Geliebte“, anerkennend in sich selbst und angesichts der anderen Person, dass bei aller Bedingtheit und in allem Scheitern die Kraft der Liebe unzerstörbar anwesend ist. Aber, so klingt es aus kirchlichen Traditionen, Gottes Liebe ist nicht ziellos, sie will uns doch den rechten Weg weisen, damit wir umkehren und uns bemühen, gut zu sein und rein, um dann einmal, wenn es so weit ist, mit himmlischen Freuden beschenkt zu werden. Um das sicherheitshalber auch kontrollieren zu können haben wir die vielfältige Wirklichkeit des Lebens aufgeteilt in oben und unten, Mann und Frau, rein und unrein, Heilige und Sünder, Kleriker und Laien.

Alles unter Kontrolle haben

Das Ergebnis ist ein System von Herrschaft und Unterdrückung – vom Erfahrungsraum einer bedingungslosen Liebe weit entfernt, stattdessen in Missbrauch führend. Vielleicht ist es unser so naheliegendes Bedürfnis, alles und alle unter Kontrolle zu haben, das uns hindert, einfach liebevoll da zu sein, um uns von Moment zu Moment in dieses manchmal so herausfordernde Leben zu lassen, entdeckend, dass schon alles da ist, was es braucht, gut zu sein. „Ich nenne euch nicht mehr Knechte… vielmehr habe ich euch Freundinnen und Freunde genannt“, sagt Jesus. Wenn das keine Einladung ist, uns aus all der selbst erschaffenen Knechtschaft in uns selbst und im Miteinander zu befreien und uns freundschaftlich verbunden neu auf den Weg zu wagen. Die Haltung dazu ist die der ziellosen Liebe. Sie zu leben bedarf keiner Anstrengung, nur immer wieder der bewussten Erinnerung, dass wir alle, die wir leben, von Gott aus derselben mütterlichen Erde geformt und von göttlichem Atem durchwirkt sind.

Christoph Kunz | Joh 15, 9 – 17

 

1 Rückmeldung

  1. Bernd sagt:

    Mehr und mehr sehe ich die römisch-katholische Kirche in einem goldenen Käfig. Von innen werden die Gitter schön poliert mit viel Aufwand und Energie. Jeden Tag neue Aufsätze von TheologInnen*, was man alles machen müsste, meist brav im Gefängnis, das ja gesetzt worden ist. Angeblich von Gott selbst. Der will nur Männer im Weiheamt… Das Leben ist draußen vor. Also werden Gefängnisse zusammen gelegt.

    Nach einem wunderbaren Predigtwochenende von Frauen in Pastoralverbund Hamm verstehe ich nochmal weniger, warum das Weiheamt auf Männer beschränkt ist. Potential wird übersehen und nicht wahrgenommen. Stattdessen dürfen wir beraten, wie Immobilien reduziert werden. Ich glaube, unsere Kirche stände geschlechtergerecht anders da, hätte mehr Potential, mehr Glaubwürdigkeit. Und ein Rückbau von Gebäuden, der unumgänglich ist, stieße auf anders Verständnis und würde anders mitgetragen.

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