Die renovierte Anstaltskirche und ein Abteilungsflügel der Justizvollzugsanstalt Werl.
Den 8. Mai 1945 empfand die Mehrheit der Deutschen als Niederlage. Für die politischen Häftlinge in den Strafanstalten des Reiches, etwa wegen Hochverrates verurteilte Kommunisten und Widerstandskämpfer aus den besetzten Ländern, war die bedingungslose Kapitulation der Tag ihrer Befreiung. Die begann nach dem Einmarsch der Alliierten jedoch schon Tage und Wochen vorher, wenn auch die Entlassungen teils bis zum Juni 1945 dauerten.
Die Festschrift „100 Jahre JVA Werl 1908-2008“ hält zu den Tagen um den 8. Mai 1945 fest (S. 34f):
„Übereinstimmend berichteten Beamte jener Tage, dass die Häftlinge angsterfüllt aus den Zellenfenstern schrieen, wenn die alliierten Bomberverbände den Flugplatz nördlich der Anstalt bombardierten. Anstaltsleiter Dr. Faber war dadurch nicht zu beeinflussen, er saß mit seiner Familie im sicheren Bunker. Er ließ allerdings sein Dienstfahrzeug durch seinen Fahrer abends in den Stadtwald fahren, damit es nicht im Luftangriff zerstört würde. Wen wundert es, dass ein solcher Mann in den letzten Kriegsjahren Furcht vor dem Aufruhr der fast 2000 Zuchthausgefangenen und Sicherungsverwahrten bekam. So wurde eine Gruppe von SS-Leuten in die Anstalt verlegt und kriegsverwundete Soldaten der Wehrmacht verstärkten das Personal.
In einer so genannten „Abgabeaktion“ wurden seit Ende 1942 aus den deutschen Strafanstalten, u.a. auch aus Werl, Strafgefangene in Konzentrationslager zur „Vernichtung durch Arbeit“ überstellt. Für die „Abgabe“ ausgewählt wurden Gefangene, die in irgendeiner Weise auffällig geworden waren, als „asozial“, „geisteskrank“ oder „äußerlich asozial“ (körperlich missgebildet oder einfach nur hässlich) eingestuft waren.
Die Verpflegung der Gefangenen war im Hinblick auf die Munitionsproduktion auch in Kriegszeiten noch ausreichend, so dass fast 2000 körperlich nicht zu sehr entkräftete Häftlinge am 22. April 1945 mit einem in ganz Werl zu hörenden lauten Jubelschrei ihre amerikanischen Befreier begrüßten.
Anstaltsschlüssel auf den Haufen werfen
Der Anstaltsleiter Dr. Faber hatte sich rechtzeitig vor der Kapitulation abgesetzt. Sein Vertreter, ein Amtmann, der den Amerikanern vor der Übergabe der Anstalt den „deutschen Gruß“ entbot, erntete einen Schlag eines Soldaten. Die Justizbeamten wurden entwaffnet und mussten in einer für die internationale Presse mehrfach zu wiederholenden Prozedur ihre Schlüssel auf einen großen Haufen werfen. Die SS-Bewacher waren vor Übergabe der Anstalt geflohen.
Die Gefangenen wurden entlassen, ein ehemaliger angeblich wegen mehrfachen Betruges verurteilter Englisch sprechender Sicherungsverwahrter (SV) wurde als „stellvertretender Anstaltsleiter“ zum wesentlichsten Gesprächspartner der Amerikaner und entschied über Wohl und Wehe der gefangen genommenen Justizbeamten. Anstaltsleiter wurde wenige Tage nach Befreiung der kanadische Major Porrier, der nach Durchsicht der Akten die meisten Beamten nach einigen Wochen wieder mit der Bewachung der alten und bald auch neuer Gefangener betraute.“
Dr. Koepsel, ehemals Anstaltsleiter der JVA Werl und Präsident des Landesvollzugsamtes Rheinland
Das anschließende Kapitel der Festschrift handelt von der unmittelbaren Nachkriegszeit, vom Allied Prison, von den Besatzungsjahren. Bis Anfang 1947 waren in Werl 226 deutsche Kriegsverbrecher inhaftiert, 7 wurden in Werl erschossen, weitere 51 in die JVA Hameln verlegt und dort hingerichtet. Nach alliiertem Kriegsrecht wurden bald auch zahlreiche oft sehr junge Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene verurteilt, die in den Nachkriegsjahren Straftaten begangen hatten. 26 Polen, ein Türke und ein Italiener wurden hingerichtet. Die Exekutionen fanden in der Morgenfrühe statt. Einer von 10 Soldaten des Kommandos hatte eine Platzpatrone, so dass jeder denken konnte, er erschieße niemanden.
Besser ging es den im zweiten der Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunale verurteilten Wehrmachts-Generälen. Sie „bewohnten“ in Werl je zwei Zellen und hatten einen Gefangenen als „Knappen“ in einer weiteren Zelle. 1955 wurden sie sogar von Bundeskanzler Adenauer besucht. Alle wurden trotz langer Zuchthausstrafen frühzeitig entlassen.
Alfons Zimmer | JVA Bochum
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In dem bekannten Artikel wird die Angst der Gefangenen erwähnt, die der Bombardierung des unmittelbar benachbarten Militärflugplatzes schutzlos ausgeliefert waren. Tatsächlich sind am 19. April 1944 über 70 Gefangene ums Leben gekommen, und die Spuren der Einschläge sind am Gebäude noch zu sehen! Vor ein paar Jahren ist an der Belgischen Straße ein Bildstock mit der schmerzhaften Mutter aufgestellt worden, auf dem auch die getöteten Gefangenen genannt sind.
Die Vorzugsbehandlung der als Kriegsverbrecher verurteilten deutschen Offiziere durch den britischen Anstaltsleiter ist noch weiter gegangen: Sie hatten einen eigenen kleinen Garten und wurden von ihm – offenbar als „Kollegen“! – zur Teestunde eingeladen. Viele Grüße aus Werl.