Die blühende Kastanienallee am Bochumer Gefängnis „Krümmede“ war für die Résistance-Häftlinge, für alle Politischen im Mai 1945 die Straße in die Freiheit. „Welch ein Gefühl, als freier Mensch durch diese herrliche Kastanienallee zu wandern”, so der als Kommunist Inhaftierte und spätere Staatssekretär der DDR, Werner Eggerath (Bildmitte).
Ist von politischen Häftlingen im Nationalsozialismus die Rede, haben die meisten das Bild von Männern und Frauen mit rotem Winkel auf der Kleidung in den Konzentrationslagern vor Augen. Männer, die wegen politischen Widerstands in Konflikt mit dem NS-Staat gerieten, verbüßten jedoch auch in der Bochumer Strafanstalt Krümmede ihre Haft. Alfons Zimmer, als Pastoralreferent in den Justizvollzugsanstalten Bochum tätig, stieß vor sieben Jahren auf das Schicksal dieser Menschen, das er einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen möchte. Und dafür gibt es einen besonderen Anlass: Der Einmarsch der Amerikaner, der auch die Entlassung der aus politischen Gründen Inhaftierten aus der Krümmede einleitete, jährt sich am 10. April zum 75. Mal.
„Ich war selbst schon mehr als 20 Jahre in der Krümmede tätig, als ich erfuhr, dass hier im Nationalsozialismus auch politische Häftlinge einsaßen – darunter auch viele Belgier, Franzosen und Niederländer“, erinnert sich Zimmer und fügt an, „der letzte von diesen aus politischen Gründen Inhaftierten ist 2014 verstorben und ich konnte ihn leider nicht mehr kennenlernen. Immerhin habe ich mit Kindern und Enkeln früherer Gefangener gesprochen. Ich fühle mich verpflichtet, das, was ich erfahren habe, weiterzuerzählen, um die Erinnerung an diese Männer wachzuhalten.“ Aus diesem Impuls ist auch die von Zimmer initiierte Ausstellung „Schicksalsort Gefängnis. Opfer der NS-Justiz in der Krümmede“ entstanden, die im Jahre 2016 im Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte – Stadtarchiv zu sehen war.
Die Zeit vor der Befreiung war für Hunderte politische Gefangene – darunter neben Anhängern der Arbeiterparteien KPD und SPD auch Christen und Konservative – eine extreme Belastung. Aus Furcht, vor den Alliierten Rechenschaft ablegen zu müssen, unternahmen die Verantwortlichen Versuche, das Gefängnis zu räumen. Am Bahnhof Nord gab es viele Tote bei Jagdbomberangriffen. Pfarrer Josef Reuland, der wegen seiner kritischen Haltung zum Nationalsozialismus einsaß, erlitt noch am 29. März bei einem solchen Evakuierungsversuch einen Genickschuss, den er durch den Beistand von inhaftierten Ärzten überlebte.
Widerstand gegen Nationalsozialismus
Das Bild des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus ist noch immer stark durch das erfolglose Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 geprägt. Von den aus politischen Gründen in Bochum Inhaftierten ist dagegen nur von einem eine Gewalttat bekannt: André Rossel-Kirschen, Mitglied einer kommunistischen Jugendgruppe, hatte als 15-Jähriger 1941 in Paris einen deutschen Offizier erschossen. Rossel-Kirschen wurde Anfang Mai aus der Haft entlassen. Sein Vater und sein Bruder waren als Angehörige eines Terroristen erschossen worden, seine Mutter und seine Schwester hatten Auschwitz nicht überlebt.
Wie Rossel-Kirschen wurden die meisten Häftlinge aus Belgien, Frankreich und den Niederlanden Anfang Mai freigelassen. Die deutschen Politischen mussten dagegen noch bis Anfang Juni auf ihre Entlassung warten. „Es musste wohl erst geklärt werden, welche Häftlinge tatsächlich aus politischen Gründen einsaßen“, vermutet Alfons Zimmer, „Kriminelle wurden schließlich nicht entlassen.“ Zu diesen deutschen Gefangenen, die Anfang Juni auf freien Fuß kamen, zählte auch Werner Eggerath, der als Kommunist im Nationalsozialismus eine über zehnjährige Haftstrafe verbüßt hatte. Von 1947 bis 1952 war er Ministerpräsident des Landes Thüringen und brachte es in der DDR zu hohen Ehren. „Ich habe hohen Respekt vor Eggerath. Aber leider füllten sich auch im SED-Staat die Strafanstalten schnell mit neuen Politischen“, merkt Zimmer an.
Begegnungen mit Angehörigen
Im Bochumer Stadtarchiv, aber auch auf Gedenkseiten im Internet hat Pastoralreferent Alfons Zimmer Informationen über die politischen Häftlinge der Krümmede in der NS-Zeit gefunden. Besonders beeindruckt haben ihn aber die Begegnungen mit Angehörigen der ehemaligen Häftlinge. „Viele von ihnen beklagen, dass es an der Krümmede keine Gedenktafel für diese Gefangenen gibt“, hat Zimmer die Erfahrung gemacht und wünscht, „auch der 10. April müsste als Tag der Befreiung in der Gedenkkultur der Stadt verankert werden.“ Die blühende Kastanienallee an der Krümmede war für Eggerath, für die Résistance-Häftlinge, für alle Politischen im Mai und Juni 1945 die Straße in die Freiheit. Eggerath schreibt:„Welch ein Gefühl, als freier Mensch durch diese herrliche Kastanienallee zu wandern, unbeschreibliches, jauchzendes Beglücktsein.”
Nathalie Memmer | StadtSpiegel