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Einander und uns selbst nicht auf einen Sockel stellen

24. September 2023

Königinnen- und Königsfiguren, geschaffen von dem Holz schnitzenden Ralf Knoblauch, sind unterwegs, um an den verschiedensten Stellen im Land für das zu stehen, was den Menschen ausmacht: seine königliche Würde in all der Vielfalt, in der er erschaffen ist. Eine Würde, für die der Mensch nichts leisten muss, die er sich nicht verdienen kann und die er auch nie verlieren kann – eine Würde, die ihm in göttlicher Schöpfung geschenkt ist.

Und doch: wie oft fehlt mindestens ein Zacken in der Krone, oder sie fällt gleich ganz vom Kopf? Wie oft wird sie auch von anderen heruntergestoßen? Die Menschenwürde scheint verletzlich angesichts vielfachen menschenunwürdigen Umgangs sowohl miteinander wie in einem Menschen selbst. Da sind Abgrenzungen und Spaltungen unter Menschen in Gesellschaft und Politik und Abwertungen in Religionen aufgrund des Geschlechts oder der Lebensweise. Aber auch in sich selbst werten Menschen sich ab in Selbstvorwürfen, wenn die eigenen Ansprüche mit der Wirklichkeit des Lebens kollidieren. Nie scheint zu genügen, was ist – immer braucht es mehr, mehr an Leistung, Arbeit, Geld, Einfluss, um endlich glücklich sein zu können. So steigern sich die Ansprüche, und die Versuche zu sichern, was erreicht ist, werden immer anstrengender. Bis irgendwann, womöglich durch einen Bruch in dieser Lebensführung, oder auch erst am Ende des Lebens, die Einsicht tief aus dem Innern auftaucht, dass Glück sich tatsächlich erst einstellt, wo wirklich losgelassen wird, getragen von dem großen Vertrauen, schon längst eine Geliebte, ein Geliebter zu sein.

Das Murren der Anderen

Für diese Einsicht wirbt das Gleichnis Jesu von den arbeitenden Menschen im Weinberg. In biblischer Tradition war für Jesus der Weinberg ein Symbol für die Beziehung des Menschen zu Gott: ein Bild, das die Wirklichkeit Gottes im menschlichen Miteinander aufleuchten lässt. Das Matthäusevangelium erzählt, wie der Weingutbesitzer über den ganzen Tag Leute für die Arbeit im Weinberg rekrutiert und ihnen am Ende den vorher vereinbarten Lohn von jeweils einem Denar auszahlt. Das entsprach dem zum Leben notwendigen Betrag einer Familie an einem Tag. Aber das Murren unter denen, die von früh an gearbeitet hatten, nur um abends den gleichen Lohn zu erhalten wie die, die erst zum Schluss kamen, ist groß – verständlich in der Haltung des Abrechnens. Doch mit Gott ist nicht zu rechnen! Diese Botschaft ist eine Zumutung, wo Glauben für etwas Abzuleistendes gehalten wird, wo Bedingungen aufgestellt werden, ob und wie jemand teilhaben darf am Glaubensvollzug. Andererseits ist es sehr tröstlich, wenn es vor Gott kein Rechnen und Richten mehr braucht. Wo immer wir fehlen, wo wir zu spät kommen, wo wir den eigenen Ansprüchen oder denen von außen nicht genügen, da sind wir dennoch gewürdigt und getragen in der Güte Gottes. Das eröffnet neue Wege und ermutigt sie zu gehen.

Nimm das Deine und geh…

Jesus hat aus dieser Wahrheit gelebt: Gott ist Güte, bedingungslos schenkt er sich selbst dem Menschen. Das ist die Würde des Menschen in seinem ganzen Lebensvollzug. Alle erhalten im Gleichnis Jesu den einen Denar – der steht für das Leben selbst, das wir bekommen, um es zu leben und zu gestalten. „Nimm das Deine und geh!“ heißt es wörtlich. Was uns Gott so verfügt, sind wir selber. Mit allem, was unser Leben konkret ausmacht: die Erbanlagen, das Schicksal, die Freiheit, das Gelernte, die Sippe, die Umwelt. Immer ist Leben zugleich Zumutung wie Geschenk. Zugleich aber steht der Denar auch für Gott selbst, der sich uns in diesem Leben schenkt. So ist bereits alles in uns, um gut zu sein – zu den anderen und zu uns selbst. Wie wäre es, dieses auf den ersten Blick vielleicht verstörende Gleichnis Jesu immer wenn es eng wird im Leben als eine Einladung zum Ausstieg aus dem Abrechnungsmodus hinein in den weiten Raum der Güte zu nehmen?

Nicht Schatten verbergen wollen

Nun soll am Dom in Essen die überlebensgroße Statue des Kardinal Franz Hengsbach nach Missbrauchsvorwürfen gegen ihn entfernt werden. Ja, wir sollten einander und uns selbst nicht auf einen Sockel stellen angesichts unseres Gut-seins, all die Schattenseiten verbergend. Der einzige Sockel, mit dem wir alle verbunden sind, ist nicht von uns selbst gemacht, sondern in der Schöpfung uns geschenkt: die Würde des Menschen. Sie ist kostbar, heilig, und widersteht jedem sich verbiegen und einander erniedrigen, weil sie unantastbar ist. Sie ist der Grund, auf und aus dem wir leben, durchatmet, stets sich verändernd, Licht und Dunkel verbindend. Von daher fließt die Heilkraft in die Abgründe menschlichen Lebens. Und lässt Leid wandeln.

Christoph Kunz

 

1 Rückmeldung

  1. Maximilian sagt:

    Jetzt also auch noch der Kardinal Franz Hengsbach. Wie oft bin ich an dieser Statue vorbeigegangen und mich beschlich das Gefühl, dass dieser Würdenträger seine Schattenseiten haben muss. Es sind nicht nur irgendwelche dunkle Stellen, sondern dahinter steckt System. „Der Zahn der Zeit von damals“, so könnten einige die jetzt beurteilte Situation des Missbrauchs abtun. Aber es geht um sexuelle Gewalt an Minderjährigen, um deren Vertuschung und andauernde Scheinheiligkeit. Es sind nicht einzelne Priester, die „schwach“ wurden. Das System Kirche zieht oder erzieht Männer zu solchen Taten, so dass sie selbst Täter werden können. Die Überhöhung der mächtigen Kleriker, die Verehrung Marias als die keusche Frau, die zölibatäre verpflichtende Lebensform sowie die weiterhin gültige Sexualmoral der Katholische Kirche.

    Ich mag das ganze Hin- und Her seit der MHG-Studie (die Abkürzung beruht auf den Orten der Universitäten des Forschungskonsortiums Mannheim, Heidelberg und Gießen, das mehr als 38.000 kirchliche Personalakten von Klerikern aus den Jahren 1946 bis 2014 überprüfte) nicht mehr hören. „Niemand arbeitet so intensiv an der Aufarbeitung wie wir“, meint gar der Kardinal Reinhard Marx aus München-Freising. Das „auf den Sockel heben“ der Würdenträger passiert nicht nur durch die Struktur. Die Menschen sind irgendwie doch angetan vom Pomp und Glorie der Katholischen Kirche. „Wie menschlich doch der Pfarrer ist“ sagt eine Frau in einer Gemeinde zum relativ jungen Mann im Talar-Hemd, der die lateinische Messe propagiert. Wie nett ausgedrückt, ist dieser Pope doch quasi Amt darauf verpflichtet menschlich zu sein? Menschlich zeigte sich Kardinal Hengsbach und andere Würdenträger in den Übergriffen nicht mehr. Die aktuell amtierenden Bischöfe geben sich als Aufklärer – zwar schockiert und betroffen – doch an die Hintergründe dieser Misere geht man nicht ran. Da ist man Rom und der „Weltkirche“ verbunden. Es sind sektiererische Tendenzen. Das Oberhaupt sagt, wo es lang geht und nicht das Evangelium Jesu.

    Der Sturz des Denk-Mals am Dom in Essen wird daran nichts ändern. Auch nicht die Hinweistafeln in der Krypta im Heiligen Dom zu Paderborn. In der Eucharistiefeier kann ich nicht mehr für die Bischöfe, die Priester und Diakone beten. Diese Worte bleiben mir im Halse stecken. Nach all den Auseinandersetzungen im sogenannten Reformprozess der deutschen Kirche mit dem Synodalen Prozess, siegen die Konservativen. Es werden Ereignisse relativiert und schöngeredet. Die Katholische Kirche muss an die Wand gefahren werden, bevor sich tiefgreifend etwas ändert. Bleibt nur der konsequente Austritt aus dieser Kirche. Das hilft.

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