Das in Kooperation zwischen JVA und Musikschule Herford durchgeführte Projekt „Kreative Zelle – Musik im Jugendstrafvollzug“ wurde von einer Jury des Verbandes der Musikschulen (VdM) als ein herausragendes Projekt ausgezeichnet. Unter dem Banner „Best Practice“ hat die VdM-Jury Projekte prämiert, die sich besonders durch Innovationskraft, Erreichung der Zielgruppe, Vorbildcharakter, Qualität der Umsetzung sowie Nachhaltigkeit auszeichnen. Das Projekt läuft seit 2014. Es wird vom Programm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) mit dem Bündnis “Kultur macht stark” finanziell gefördert.
Das Herforder Kooperationsteam mit den Musiklehrkräften Adriana Riemann (Gesang, Klavier, Gitarre), Roland Reuter (Drumset, Percussion, Schlagzeug), dem katholischen Gefängnisseelsorger Michael King (rechts im Bild) sowie dem Leiter der Musikschule Herford Thomas Steingrube (links im Bild), ist eingeladen, am 1. Oktober 2020 in der Kulturfabrik Koblenz eine Best-Practice Urkunde entgegenzunehmen. Schon am Freitag gab es ein Pressegespräch in der örtlichen Musikschule Herford. Aufgrund der Einschränkungen zur Corona-Pandemie wurde der Termin von der JVA in die Musikschule verlegt. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt, Friedrich Waldmann, unterstützt das Projekt im Jugendvollzug. “Musik ist insbesondere im Strafvollzug eine Ebene, auf der man die uns anvertraute schwierige Klientel emotional gut ansprechen und damit ins Gespräch kommen kann, aber auch eine Möglichkeit für unsere Inhaftierten, aus sich herauskommen zu können,” sagt Waldmann in einem Grußwort.
Inhaftierte junge Menschen profitieren durch die Arbeit der Musiklehrer in hohen Maße, nicht zuletzt indem sie durch den Musikunterricht – möglicherweise erstmals in ihrem Leben – eine intensive persönliche Zuwendung erfahren, sich dabei ernstgenommen fühlten und Vertrauen zu ihre eigenen Fähigkeiten entwickeln. Mit Fingerspitzengefühl, Engagement und Sensibilität, Empathie und Durchsetzungsvermögen gehen die Musiklehrer der Musikschule mit jugendlichen Inhaftierten um. Sie tragen als Honorarkräfte von außen mit großer Wertschätzung dazu bei, die Persönlichkeit straffällig gewordener Jugendlicher positiv zu beeinflussen. Sie erfüllen damit eine für unsere Gesellschaft wichtige und verantwortungsvolle Arbeit.
Es geht nicht darum nach Notenblatt zu spielen
Bis zu 10 jugendliche Inhaftierte können in der Anstaltskirche Freitagnachmittag und sonntags zu den Instrumenten greifen und musizieren. Dabei werden sie geschult und gefördert von der Musiklehrerin Adriana Riemann und Schlagzeuger Roland Reuter. “Es geht nicht darum, ein Musikstück nach Notenblatt zu spielen. Es geht darum Selbstbewusstsein zu bekommen. Da hat jeder seinen Part und niemand ist perfekt”, sagt Riemann. “Manche der Jungs haben ein super Taktgefühl”, ergänzt Reuter. Hier und da werden Erlebnisse aus der Haft und dem eigenen Leben erzählt. “Wir sind nicht nur Musiklehrer hier”, erzählt Reuter, “sondern auch Seelsorger und Zuhörer. Es macht Spaß mit den Jugendlichen, auch wenn diese hinter der Mauer sind.” Die zwei Monate, in denen die Musiklehrer wegen Corona nicht in die JVA kommen konnten, “waren ganz schön lang”, kommentiert ein Teilnehmer der Musikband. Sie haben sich trotzdem als Gruppe mit dem Gefängnisseelsorger treffen können.
Angesichts dessen, dass in der JVA Jugendliche mit sehr unterschiedlichen Geschichten und Kulturen zusammenkommen, ist ein Zusammenspiel nicht immer so einfach umsetzbar. “Da sagt ein Inhaftierter, dass er die RAP Musik doof findet und der andere kann keine Geduld aufbringen, wenn die Töne mal schräg sind”, erzählt der katholische Gefängnisseelsorger Michael King. Auf seine Initiative hin hat er 2014 die Musikschule Herford ins Boot geholt. Da traf es sich gut, dass bald schon das Förderprogramm “Kultur macht stark” mit unterstützte. Der Gitarrenlehrer, Michael Kiesewetter, war bis März 2020 mit von der Partie. Leider hat die Corona-Krise ihn im privaten Bereich gezwungen, den Dienst aufzugeben. Der Gitarrenkurs wird weitergeführt.
Versteckte Talente bei Gefangenen
In den letzten Jahren gab es Konzerte mit Leuten von draußen und vor anderen Gefangenen in der JVA-Kirche. Hamdi* beispielsweise lernte im Knast Klavier spielen. Er spielt nach Gehör, weil er keine einzige Note lesen kann. Oder da ist Daniel*, ein junger Russlanddeutscher. “Als Kind habe ich Geigenunterricht bekommen. Dann kamen die Drogen dazwischen.” Jetzt erinnert er sich wieder und spielt in der JVA Kirche stolz mit seiner Geige. Diese bekam er von seinen Eltern. Es wurde ihm genehmigt, dass ihm die Geige in der Anstaltskirche zur Verfügung steht. Eigens für das Pressegespräch schrieb Kamaal* – ein 17 jähriger Teilnehmer mit syrischen Wurzeln – ein Grußwort. “Durch die Musikband können wir uns mitteilen mit anderen Menschen. Es ist wie eine Therapie für die Seele. Wir kommen raus aus unserer alltäglichen Routine in eine Welt, in der wir entspannen und uns frei fühlen können”, führt der junge Gefangene in seinem handschriftlichen Text aus. “Natürlich bedanken wir uns bei Herrn King und den Musiklehrern Adriana, Roland und Michael. Durch sie haben wir es geschafft, Anerkennung zu erhalten.”
* Namen geändert
→ Artikel Herforder Kreisblatt
Der VdM ist einer von 30 bundesweit agierenden Verbänden und Initiativen, die einen Zuschlag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) für das Förderprogramm „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung (MusikLeben)“ erhalten haben. Der VdM verfolgt das Ziel, dass sich lokale Bündnisse für Bildung konstituieren und zielgruppenorientierte musikalische Bildungsmaßnahmen vor Ort durchführen. Die Maßnahmen sollen bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche zwischen drei und 18 Jahren bei deren Stärkenentwicklung unterstützen, so dass diese eine größere Eigenständigkeit, mehr Teamfähigkeit und insgesamt bessere Bildungschancen entwickeln. Mit einem Kooperationsvertrag unterstützt das Bonifatiuswerk Paderborn ebenfalls das Projekt “Musikband” mit der Förderung des Gitarrenkurses.