Aus einem Jugendknast hinter Mauern und hohen Zäunen können nur schräge Töne kommen, so mag manch einer denken. Die jungen Menschen, die in der Justizvollzugsanstalt Herford „einsitzen“ kommen aus unterschiedlichen Kulturkreisen. Da treffen verschiedene Töne, Überzeugungen und harte Geschichten aufeinander. Es sind Jugendliche wie „draußen“ auch, nur dass sie von einem Gericht zu einer Haftstrafe verurteilt wurden. Strafe alleine kann im Jugendvollzug aber nicht im Vordergrund stehen. Musik ist eine Art des Zuganges zu jungen Menschen mit ihren Erlebnissen und Erfahrungen.
Der Titel „Kreative Zelle – Musik im Jugendstrafvollzug“ war die Idee des Schlagzeug-Lehrers Roland Reuter. Er stand zum ersten Mal in seinem Leben als Gast in einer Zelle und spürte wie es ist, eingesperrt zu sein. Die drei Musiklehrer der Musikschule Herford, die dieses Projekt begleiten, haben mit verschiedenen Projekten bereits Erfahrungen mit der Zielgruppe „Jugendliche im Strafvollzug“ gewonnen. Unter den jugendlichen Gefangenen konnten Begabungen ausgemacht werden, die sich in beeindruckender Weise mit Sprache, Rhythmus und Musik (insbesondere im Stilbereich Hip Hop) kreativ auseinandersetzten. Sie nehmen Bezug zu ihrer Situation, ihrer Umgebung und ihrer Geschichte.
„Ich komme zur Musikgruppe, weil es für mich ein Stück Freiheit ist“, betont ein Jugendlicher der JVA Herford. Er ist Schlagzeuger, spielt aber auch schon einmal Bass. Er kennt sich aus mit der Anlage und dem Equipment in der Anstaltskirche. Dies ist der Ort, an dem sich wöchentlich bis zu 10 Gefangene Musik machen können ohne dass ein Vollzugsbediensteter dabei ist. „Hier kann ich meinem Geist freien Lauf lassen“, erzählt der Jugendliche und greift sich die Bassgitarre.
Nicht immer geht es so harmonisch zu. Jeder möchte seinen Stil anbringen, möchte Aufmerksamkeit, möchte so schnell wie möglich „spielen lernen“. Hinter so manchem steckt ein großes Talent, dass er noch nie entdeckt hat. „Du hast eine tolle Stimme“, sagt Gesangslehrerin Adriana Riemann und ermutigt die Jugendlichen nicht vorschnell aufzugeben. Einige erfahren zum ersten Mal, dass sie etwas können und dass sie angenommen sind.
Mit gezielter Förderung erhalten die selbstkreierten Songs nicht nur den Schliff zur Bühnentauglichkeit. Darüber hinaus werden beim gemeinsamen Musizieren außerdem soziale Fähigkeiten entwickelt: Sich gegenseitig zuhören, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen und den anderen anzunehmen, wie er ist. Die Teilnehmer erfahren eine bisher noch nicht erlebte Intensität von gewährter Aufmerksamkeit und Zuwendung für ihre Person und ihre Begabung. Damit kann das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten gesteigert und wichtige Impulse zur Persönlichkeitsentwicklung gegeben werden.
„Am Rande bekomme ich immer wieder so manche Geschichten der junge Leute mit“ sagt Gitarrenlehrer Michael Kiesewetter. „Dies ist erschreckend, aber ich nehme die Gefangenen als Menschen wahr, die Fehler gemacht haben. Sie werden wieder entlassen und von daher trage ich ein Stück weit zu ihrer „Resozialisierung“ bei. Da hört man dann schon mal arabische Klänge in der Anstaltskirche. Jemand schreibt einen Rap-Text und trägt diesen stolz vor. Oder es entwickelt sich ein gemeinsamer Song, an dem alle Gefallen finden. Jugendliche schnappen sich ein Instrument, das sie vorher noch nicht kannten.
Dem Haftalltag ein wenig zu entfliehen, ein Stück Freiheit zu erleben, mag für manche der Teilnehmer ein Motiv sein, einen „Antrag“ für die Teilnahme an der Musikband zu schreiben. „Alles muss man hier per schriftlichem Antrag beantragen“, sagt ein anderer und grinst. „Auch wenn es hart ist im Knast zu sein, die Musik ist mein Leben.“
Michael King | JVA Herford