Neun Jugendliche des Jugendvollzuges warten gespannt im Küchen-Pavillon der Anstaltskirche in der JVA Herford, auf das, was ihnen beim zweitägigen „RAP-Projekt“ geboten wird. Eingeladen ist Danny Ohler aus Heidelberg, der an der Pop-Akademie in Mannheim studierte und RAP-Workshops in Knästen anbietet. Anfangs beäugen sie den 47-jährigen Referenten etwas skeptisch, es wird vermutet, dass er aus Algerien oder Marokko stammen könnte. Doch dem ist nicht so.
Danny Fresh, oder Daniel Ohler, stellt sich vor und erklärt, wie er sich nennt. Seine Großeltern stammen aus Rumänien. Sie sind Siebenbürger Sachsen, das heißt, sie fühlen sich als Deutsche. Schnell ist der Kontakt zu den inhaftierten Jugendlichen hergestellt. Sie machen die Taktübungen und die Mikrofon-Einführung aufmerksam mit. Spätestens nach der ersten Kaffee-Pause tüfteln sie am „Beat“ mit der digitalen „Controller-Maschine“. Hier sind tausend Arten von Musik-Schnipsel gespeichert und können per Knopfdruck zur Begleitmusik „komponiert“ werden.
Freestyle rappen
Abwechselnd sitzen jeweils zwei der Teilnehmenden ganz vorn an den Hauptgeräten: Dem Controller und dem Notebook mit entsprechender Software. Überraschtes Raunen geht durch die Gruppe, als Klaviertöne und ein „Schwertsound“ in den Beat eingearbeitet werden. Klavier und Geige sind am meisten gefragt. Sie können es kaum fassen, derartig unkomplizert und schnell „Musik“ zu erstellen, ohne je ein Instrument zu beherrschen. Ohler gibt entsprechende Hinweise, lässt die Jugendlichen aber selbst kreieren. Erste „Freestyles“ an Texten werden mit dem Mikrofon gerappt. Was gemeinhin unter dem Allerwelts-Rap verstanden wird, soll hier nicht vorkommen, das ist dem Leiter wichtig. Nicht die Verherrlichung von Drogen, sexistischen Äußerungen oder die Verunglimpfung von Menschen wie im „Gangster-Rap“ sollen Themen sein. Es geht um konkrete Life-Style Geschichten und Erzählungen aus dem Leben der Jugendlichen. Die Teilnehmenden haben die Botschaft verstanden. Auf Papier versuchen sie ihre Texte aufzuschreiben. Einer der Inhaftierten meint, er könne aufgrund sprachlicher Barrieren nicht schreiben. Das ist allerdings kein Hindernis-Grund. Das Aufschreiben in der jeweiligen Sprache kann eine interressante Möglichkeit sein, Ideen für den Sprechgesang mit dem selbst erstellten Beat festzuhalten. Jeder hat seine eigene Art, seine Inhalte mit Wörtern und Sätzen darin umzusetzen.
Selbstbewusstsein durch kreative Prozesse
„RAP ist mehr als Musik, es ist Ausdruck, Identität und Kreativität“, erzählt Danny. „Kreativität ist das, was nicht im Vorhinein geplant ist, sondern es entsteht im Tun“, fügt er hinzu. Die Gefangenen bestätigen das kopfnickend. Sie probieren sich aus, unterstützen sich gegenseitig, sind äußerst respektvoll und geben sich untereinander Tipps. „Vor dem Mikrofon zu stehen ist noch etwas anderes, als den Song nur im Kopf zu haben“, meint einer der Teilnehmer. Ohler versteht es, die Jugendlichen zu fördern und auf ihr eigenes Potenzial hinzuweisen. Beim Mittagessen mit dem regulären Knastessen der serbischen Bohnensuppe wird weiter gefachsimpelt.
Gemeinsamer RAP möglich
Am Ende gibt jeder der Teilnehmenden in der Runde eine freiwillige Rückmeldung. Diese fällt durchwegs positiv aus. „Ehrlich gesagt, am Anfang dachte ich, mit diesen Leuten kannst du kein RAP machen, doch ich bin überrascht, dass wir in der Kürze der Zeit einen gemeinsamen Song aufnehmen konnten“, sagt ein 19-jähriger. Mit Beifall wird jede Präsentation der neun Inhaftierten honoriert. Danny bleibt geduldig und steigert das Ergebnis weiter mit seiner ansteckenden Art, die Jugendlichen ernst zu nehmen sowie humorvoll-zugewandt zu fördern. Am Ende hören die Gefangenen ihren gemeinsamen Song mit „der Hook“, zu dem die sagen können: „Dieser kann jetzt so wie er ist veröffentlicht werden.“
Michael King
Hintergrund
Daniel Ohler, Geschäftsführer und Gründer von Raise Your Voice Productions, ist als Künstler unter dem Namen Danny Fresh aktiv. Er produzierte den Newsrap für bigFM. Als künstlerischer und pädagogischer Leiter des Gefängnisprojektes „Teamsong“ der DFB Kulturstiftung Sepp-Herberger zum Thema „Gewaltfreie Kommunikation“, gibt er Workshops vor allem im Jugendvollzug. Das Rap-Projekt der JVA Herford wird begleitet vom Erziehungswissenschaftlichen Dienst, der Gefängnisseelsorge und dem Musiklehrer Roland Reuter von der Musikschule Herford. Eine Kunst der ganz besonderen Art an einem Ort hinter Gittern.
Rückmeldung eines Teilnehmers
Wir haben uns in der Kirche der JVA Herford versammelt, um am RAP Projekt teilzunehmen. Anfangs wusste keiner von uns, was uns erwartet. Die meisten hatten keine hohen Erwartungen, außer vielleicht aus ihrem Haftraum raus zu kommen. Ich kann aber sagen, dass all unsere Erwartungen in einem hohen Maße übertroffen wurden.
Zu Beginn hat uns Danny mit der Technik vertraut gemacht. Einige kannten sich schon aus, z.B. mit der „Maschine“, dem Mixpad. Sie kennen es von YouTube-Videos, in denen Produzenten vorführen, wie sie Musik-Beats erstellen. Langsam aber sicher haben wir Teilnehmer verstanden wie das funktioniert. Wir fingen an, einen eigenen Beat zusammen zu stellen. Einige probierten bereits Texte dazu aus. Das klang schon ziemlich gut. Der Beat war ein Vierteltakt-Beat. Es war die Basis für unsere Begleitmusik. Diesen verfeinerten wir mit Klavier- und einem Schwert-Sound.
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Da fast jeder schon Einblicke in Rap-Stile hatte, rappten manche zur Einstimmung. Wir erzählten etwas aus unserem Leben. Da waren wir schon im Rap-Modus. Ich hatte nicht erwartet, dass die Jungs so verständnisvoll miteinander umgingen und sich gegenseitig ermutigten. Die Gruppendynamik war nach meiner Meinung hervorragend. Als wir alle ein paar Texte geschrieben hatten, haben wir sie nacheinander aufgenommen und mit Effekten ausgestaltet. Danny hat die Aufnahmen angepasst und digital an die richtige Stelle geschoben. Er zeigte uns, wie es besser klingen konnte. Die Jungs fanden das richtig gut.
Wir können es kaum abwarten, bis unserer Song veröffentlicht wird. Wir wollen es unseren Freunden und unseren Familien hören lassen. Insgesamt hat es sehr viel Spaß gemacht. Es war interessant, vor allem neue Kenntnisse zur Produktion von Beats zu bekommen. Ich würde gerne noch einmal an solch einen Workshop teilnehmen. Ich kann es kaum erwarten, bis Danny wieder in die JVA kommt. Hoffentlich noch bevor ich entlassen werde.
Saed