Der Name Hans Küng ist nicht nur ein Lesestück in meinem Studium gewesen. Er ist viel mehr für mich. Seine zugewandte Menschlichkeit, seine Kritik und sein weltweiter Einsatz in der Aussöhnung der Religionen und Weltanschauungen haben mich gespannt seinen Weg verfolgen lassen. Ihm war nicht wichtig, die Unterschiedlichkeiten zu untergraben, sondern die verschiedenen Wahrheiten im Austausch existieren zu lassen. Religion muss Menschen befreien und nicht einengen. Da bleibt die Hinterfragung der eigenen Kirche nicht aus. Dialog bedeutet nicht an der einen Wahrheit festzuhalten, sondern die eigene Wahrheit zu bereichern.
Seine Suche nach der befreienden Wahrheit und Friedensstiftung in den Religionen und des Lebens eines jeden Menschen war seine Lebensaufgabe. Die bewegende Trauerfeier in der St. Johannes Kirche im Tübingen ist vom SWR live gestreamt worden. In der Traueransprache betont der ehemalige Student Küngs, Pfarrer Wolfgang Gramer, dass er an der falsch verstandenen Lehre einer Unfehlbarkeit des Papstes deutlich gerüttelt hat. Wegen Küngs Äußerungen dazu hatte ihm die katholische Kirche 1979 die Lehrerlaubnis entzogen. Papst Franziskus habe noch vor Weihnachten 2020 Küng Grüße und brüderliche Segenswünsche “in christlicher Gemeinschaft” übermitteln lassen. Als “halber Argentinier” habe er, Gramer, diese Botschaft verstanden, als “halber Deutscher” warte er “immer noch auf den konkreten Schritt aus Rom”. Gramer ist nach der Studienzeit mit Küng freundschaftlich verbunden.
Friedenstifter und Wahrheitssucher
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) würdigte in seiner Ansprache Küng als einen der großen geistigen Lehrer seiner Generation. Aus der Erschütterung des Entzugs der Lehrerlaubnis habe Küng einen Neubeginn gemacht. Der Wissenschaftler sei auch ein Seelsorger “in zentralen Sinnfragen des Lebens” gewesen, so Kretschmann. Der Ministerpräsident spricht bewegend aus, wie ich es ebenso ausdrücken würde. Küng war nicht nur in Theologenkreisen und Universitäten bekannt. Der Bruch mit der Kirche befreite ihn aus dem Korsett seiner eigenen Geschichte. In 30 Sprachen wurden seine Bücher übersetzt und grundlegende Nachschlagewerke sind Bestandteil vieler Bibliotheken.
Küng würde im Knast beeindrucken
“Es gibt keinen Weltfrieden ohne Religionsfrieden”, sagt Küng. Diese Botschaft kommt sogar hinter den Mauern eines Jugendvollzuges an. Hier ist im Brennglas präsent, was die Gesellschaft ausmacht. Hier kommen junge Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen mit knallharten Geschichten zusammen. Hans Küng kennt von den Gefangenen niemand. Das Wort “Theologie” ist für sie ein Fremdwort. Und doch haben junge Inhaftierte indirekt Küng kennengelernt. Dies besonders in der Ausstellung Weltethos, die in der Justizvollzugsanstalt gemeinsam mit den Fachdiensten und dem muslimischen Imam organsiert wurde. Religion spielt trotz des unwirklichen Ortes des Gefängnisses eine Rolle. Das hätte Hans Küng gefallen. Horizonterweiternd und befreiend hätte er mit den Gefangenen gesprochen. Und wenn er noch, wie damals als Professor in Tübingen, mit seinem alten schrottreifen Alfa Romeo angebraust gekommen wäre, hätte er die jungen Männer wohl auch beeindruckt. So wie mich in jungen Jahren, als ich von dieser seiner Vorliebe zu dem italienischen Auto gelesen habe.
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Mit dem Tod von Prof. Dr. Hans Küng verliert die theologische Wissenschaft einen anerkannten und streitbaren Forscher. In seinem Wirken als Priester und Wissenschaftler war es Hans Küng ein Anliegen, die Botschaft des Evangeliums verstehbar zu machen und ihr einen Sitz im Leben der Gläubigen zu geben. Ich denke dabei vor allem an seine Bemühungen hinsichtlich einer gelebten Ökumene, seinen Einsatz bezüglich des interreligiösen sowie interkulturellen Dialogs und an die von ihm gegründete Stiftung Weltethos mit ihren wichtigen Forschungen und Projekten zu Frieden, Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung.
Hans Küng hat es sich nie nehmen lassen, für seine Überzeugungen einzutreten. Auch wenn es diesbezüglich Spannungen und Konflikte gab, danke ich ihm in dieser Stunde des Abschieds ausdrücklich für sein jahrelanges Engagement als katholischer Theologe in der Vermittlung des Evangeliums. Der Dialog der Religionen im Bemühen um ein Weltethos war ihm ein großes Anliegen. Hans Küng war zutiefst vom Zweiten Vatikanischen Konzil geprägt, um dessen theologische Rezeption er sich bemüht hat.
In dieser Stunde erinnere ich auch an den Besuch von Prof. Dr. Hans Küng bei Papst Benedikt XVI. im September 2005 kurz nach dessen Wahl. Hans Küng hinterlässt ein reiches theologisches Erbe. Wir trauern um eine Persönlichkeit, die jetzt ihren Frieden in der Hand Gottes finden möge.
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing