Vor der Wiedervereinigung mussten Justiz und Strafvollzug der beiden deutschen Staaten aneinander angepasst werden. Verantwortliche entschieden, wer in der DDR zu Unrecht verurteilt worden war, wer freikommen sollte. Es gab Entscheidungen mit schrecklichen Folgen. In den gerade mal elf Monaten zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung standen die Zeichen auf Freiheit.
Tausende politische Gefangene kamen aus den DDR-Gefängnissen frei. Allerdings galten die Straferlasse aber teilweise auch für gefährliche Gewalttäter. Für sie öffneten sich die Tore der Haftanstalten – entweder, weil man sie begnadigte, oder, weil ihre Schuld nach den Gesetzen der Bundesrepublik abgegolten war. Einer von ihnen ist Klaus-Dieter S., ein Mann, der schon zu DDR-Zeiten eine Frau missbraucht und ermordet hatte. Er habe keinerlei Zeit gehabt, so S., sich auf die Entlassung ins wiedervereinigte Deutschland vorzubereiten – an einem Freitagnachmittag wurde ihm mitgeteilt, dass er am folgenden Montag entlassen würde.
Begnadigung oder Neubewertung?
S. überfiel in den 90er-Jahren in Westdeutschland mehrere Frauen und ermordete eine weitere. Bis heute sitzt er im Maßregelvollzug in einer forensischen Psychiatrie. Ein anderer Fall ist Herbert M., der bereits in der DDR in den 50er-Jahren ein fünfjähriges Mädchen tötete, später eine junge Frau. In der Wendezeit wurde er begnadigt, kam Ende September 1990 frei und tötete nur ein gutes Jahr später wieder: In der Silvesternacht 1991/92 sollte er auf zwei kleine Mädchen aufpassen, die vier und fünf Jahre alten Töchter einer Bekannten, und ermordete diese am Ende bestialisch. Ob Begnadigung oder Neubewertung der Straftaten. Antworten sucht die Dokumentation von zdf History mithilfe eines forensischen Psychiaters, aber auch bei den damals verantwortlichen Politikern. Der Gefängnisseelsorger, Johannes Drews, der damals bei der Dachbesetzung in der Strafvollzugseinrichtung (StVE) Brandenburg 1990 vermittelte, sieht die Dokumentation kritisch.
Falsche Gnade? Justizversagen in der Wendezeit
Diese These wird begründet mit der ausführlichen Darstellung von schwersten Straftaten und den Menschen, die sie begangen haben. Nicht beachtet wird, dass es zu jeder Zeit in jedem gesellschaftlichen System grausame Straftaten gegeben hat und gibt; heute Amoklauf, Terrorismus, Beziehungstaten… Nicht beachtet wird die Tatsache, dass der überwiegende Teil der Täter zu einem straffreien Leben gefunden haben, selbst solche, denen wir es nur wenig zugetraut hätten. „Gnade“ ist nach meinem Verständnis ein freies unverdientes Geschenk. Es war aber ein Recht der Gefangenen, dass die harten, überzogenen und politisch gefärbten Urteile korrigiert werden. „Justizversagen“: Unter den damaligen gesellschaftlichen Bedingungen, Zeit der Veränderung in fast allen Bereichen, ist das bestmögliche gelungen in dem Bemühen um Rechtsstaatlichkeit, selbst wenn dabei Fehler in die eine und die andere Richtung unterlaufen sind. “Von Leichtfertigkeit kann keine Rede sein”, sagt Drews.