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Was gäben Inhaftierte für eine Leiter, die Zäune und Mauern überwindet

21. November 2022

In einer Justizvollzugsanstalt werden die Arbeitsleitern jedes Jahr geprüft. Sie sind hinter Mauern verschlossen und nur unter direkter Aufsicht im Gebrauch. Ein solcher Aufwand für die Montage von zwei Leitern in und an der Stadtkirche St. Lamberti in Münster erinnert daran: Kletterspezialisten sind im Einsatz, der Kirchplatz ist abgesperrt, Teile des Prinzipalmarktes mitten in der City müssen für die Arbeiten mit einem Sicherheitsdach geschützt werden. Die „Himmelsleiter“ der Wiener Künstlerin Billie Thanner.

Die Kunstinstallation kommt vom Stephansdom in Wien, wo sie 18 Monate hing. Die Künstlerin erinnert an den biblischen Traum des Jakob, der von einer solchen Leiter träumt, auf der Engel auf- und absteigen. „Meine Installation soll den persönlichen Weg des Menschen zu Gott darstellen – ein Weg über die Stufen der Tugenden, etwa Achtsamkeit, Respekt, Selbstlosigkeit, Vergebung oder Liebe – Sprosse für Sprosse “, so sagt die Künstlerin.

Die Jakobsleiter überwindet eine Distanz, die bis dahin unüberwindlich schien. Gott war für die Menschen so weit weg, wie für Inhaftierte die „Welt draußen“. Foto: Andreas Nicklas. Mehr lesen…

Inhaftierte würden in eine Leiter investieren

Was würden Inhaftierte für solch eine solche Leiter investieren, die die Zäune und die Mauern eines Gefängnisses überwinden könnten? Eine Flucht alleine reicht nicht aus. Das ändert nichts an der Lage, in der sich ein Mensch hinter Gittern manövriert hat. Untersuchungshäftlinge können das sehr gut nachvollziehen. Herausgerissen aus der Welt und hinter einer anscheinenden eigenen Parallelwelt gelandet. So erzählt Omar, dass er völlig unberechtigt inhaftiert wurde. Er wird einem Sexualdelikt bezichtigt. Am liebsten würde er eine Leiter besteigen und abhauen. Doch er muss sich seiner Situation stellen. Nach sechs Wochen die erlösende Nachricht: Er darf das Gefängnis verlassen. Die Vorwürfe sind nicht bekräftigt.

Doch nicht immer geht das so aus. Manche haben „Mist“ gemacht und werden zurecht verurteilt. Eine Leiter hilft da nicht mehr. Sie müssen ihre Leiter zu sich selbst finden. Was führte dazu, dass sich dies oder jenes ereignete? Welche Anteile habe ich daran? Kann ich eine Empathie für Geschädigte entwickeln? Manches Mal braucht es Jahre bis jemand an den Punkt kommt. Der Blick nach oben, andere Blickwinkel einzunehmen, kann ein Teil der Lösung sein.

Ein wagemutiges Kunstprojekt

Das Kunstprojekt in Münster kann solch einen Blickwinkel vermitteln. Der Transport der einzelnen Leiter-Teile, Neubauten von Elementen, Sicherheitsfragen und die begleitenden Veranstaltungen gehörten dazu. Etwa 130.000 Euro wird das Projekt kosten, das bis in den März 2023 präsentiert wird. Der Großteil wird durch unentgeltliche Leistungen verschiedener Fachleute und Sponsoren gedeckt. Die Pfarrei bringt etwa 20.000 Euro ein. Welche Stromkosten wird die Installation benötigen? Angesicht der Energiekrise ein wagemutiges Projekt. Zwölf Meter Leiter werden im Inneren der Kirche leuchten, bis zu 36 Meter sind es am Kirchturm, die nachts mit gelben LED´s erhellt werden. Mit geringen Energiekosten, wie Pfarrer Hans-Bernd Köppen betont: „Die Leuchtmittel sind so energiesparend, dass wir nur etwa 50 Cent pro Tag zahlen werden.“ Bei der Präsentation der Aufbauarbeiten dankte er den vielen Unterstützern des Projekts, das ein „weit sichtbares Zeichen der Beziehung zwischen Himmel und Erde, zwischen Endlichen und Unendlichen“ setzen werde.

Hochzuklettern bedeutet ebenso tief zu fallen

Der Blick nach oben in den Himmel beschäftigen einige Gefangene. Wie schön haben es die Vögel, diese können wegfliegen. Gitter und Mauern verhindern die Freiheit. Doch welche Freiheit gewinne ich, wenn ich aus der verknoteten Situation flüchte? Welche Freiheit ist gemeint? Die Leiter zu besteigen bedeutet, mich in Gefahr zu begeben. Hochzuklettern bedeutet ebenso, tief zu fallen. Davon können Inhaftierte Geschichten erzählen. Aus illusorischen Vorstellungen meinen einige, sie könnten schnelles Geld machen. Sie wären der King auf Erden. Doch das Leben läuft nicht so. Das müssen viele erst lernen. Die Karriereleiter zu besteigen, bedeutet nicht, sein eigenes Leben zu meistern. Daher ist die Kunstaktion an der Stadtkirche St. Lamberti ein gutes Spiegelbild, seine Visionen zu hinterfragen.

Michael King, JVA Herford

 

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