Die markanten Königsfiguren von Ralf Knoblauch enstehen in seiner Holzwerkstatt in Bonn. Am Anfang stand ein Stück Treibholz, welches er vor vielen Jahren am Strand in Kroatien gefunden hat. Für ihn war in diesem Holzstück ein König. In seinem Urlaubs versucht er aus diesem Stück etwas herauszuholen und von seinem überflüssigen Holz zu befreien. Der Diakon und Königserschaffer erzählt.
Schnell merkte ich , dass es ein Leichtes war, über den König mit anderen ins Gespräch und dabei ohne Umscheife vom Smalltalk auf Grundsätzlicheres zu kommen. Es ist die Erinnerung an die eigene Menschlichkeit, an die Königswürde, die jedem von uns zu Teil ist und die von der grob gehauenen Skulptur ausgeht. Der König ist am Ende des Urlaubs da, und so nimmt die Königsgeschichte ihren Lauf. Seitdem beginnt für mich so jeder neuer Werktag in der Woche.
Würdigen oder entwürdigen
Stellen Sie sich vor, es ist sehr früh morgens. Der Tag erwacht erst aus der Nacht. Alles ist still. Licht ist gerade zu erahnen, allein Zeitungsboten sind schon unterwegs. Pflegende stehen langsam auf und Patienten, die nachts unruhig waren, fallen endlich in morgendlichen Schlaf. Auch bei mir im Pfarrhaus in Bonn ist alles noch ruhig und leise. Ich gehe zu dieser Zeit von montags bis freitags in meine Werkstatt. Dort bin ich mit mir selbst und der Stille alleine, die mich umgibt und sicher auch mit meinem Gott. In dieser Stunde entstehen in einem schöpferischen Prozess KönigInnen* aus sehr alten Eichenbalken, die früher im Fachwerk verbaut waren. Nach Jahrhunderten des häuslichen Dienens sind die Eichenbalken irgendwann aus der Funktion befreit worden. Im Material ist Geschichte spürbar, werden Verletzungen sichtbar.
Sie laden ein zum Dialog, zum Nachdenken, zur Reflexion über das Leben, über Werte, über Würde. Jede, jeder hat eine eigene Geschichte, die ich mit Menschen geteilt habe. Ich arbeite mich an den KönigInnen* ab, transformiere sie und haue ihnen ein heiteres Gesicht ein und gebe ihnen eine Krone mit. Alle König:innen werden dann mit Leinöl getränkt, was einer Salbung gleichkommt. Später, wenn die Figur bemalt wird, verblasst die Geschichte. In der Skulptur findet sie ihr vorläufiges Ende. Nur eine Hoffnung? Und dann verlassen sie das Pfarrhaus und erzählen selbst wieder eine Geschichte. Nicht unbedingt die, die sie hat entstehen lassen, aber eine, die damit zu tun hat. Menschen in prekären Verhältnissen, vulnerable Gruppen sehen sich in den Figuren. Nicht Sieger oder Leistungsträger. Die Menschen sehen diese Unscheinbaren, Spröden, Schiefen, Gebeugten, Verletzten – mit der Krone als Zeichen der Würde. Das verstehen alle. Dieses Bild vermittelt sich ohne religiöse Vor und Bekenntnisse. Es ist konfessionslos. Es verbindet, weil die Menschen ihre Wertschätzung für sich selbst und füreinander verstehen – über alle Unterschiede und Verhärtungen hinweg. Natürlich nur eine Hoffnung, aber eine greifbare.
Kein oben und unten
WÜRDE ist eine Lebensform. Kein Anlass ist zu banal, als dass er nicht Gelegenheit bieten könnten, jemanden zu würdigen oder zu entwürdigen. Indem ich mit Obdachlosen von oben herab kommuniziere, entwürdige ich sie schon. Meine KönigInnen stehen für alle Menschen – egal welcher Herkunft sie sind oder welchen sozialen Status sie haben. Sie mahnen zugleich, diesen Universalanspruch der Unantastbarkeit der Würde, nicht zu verdrehen, zu glätten oder umzuinterpretieren. Kein mehr oder weniger. Alle haben den gleichen Anspruch auf die Würde. Das führt im Bild meiner KönigInnen* zu einem Paradigmenwechsel. Es irritiert, verfremdet, lässt uns verunsichern. Ein König, eine Königin, die kein oben und unten kennt, keine Klasseneinteilung, keine Machtverteilung. König oder Königin zu sein, ist ein Geschenk. König oder Königin zu sein, ist jedoch auch eine große Aufgabe. Als KönigInnen* tragen wir Verantwortung für einander und für uns selbst. Wir sollten helfen, ermutigen, Trost spenden, Chancen geben, Geduld haben. Und wir sollen sensibel und wachsam sein, denn wir leben in einer Zeit, in denen die WÜRDE des Menschen an immer mehr Stellen bedroht ist.
Nicht schweigend zuschauen
Wir dürfen an dieser Stelle nicht schweigend zuschauen. WÜRDE ist ja nicht messbar – und doch ist es deutlich spürbar, ob sich ein Mensch seiner eigenen WÜRDE bewusst ist oder ob wir dem anderen seine eigene WÜRDE lassen. Unsere WÜRDE und unsere Verantwortung gebieten es, klare Positionen zu beziehen. Insofern ist 2024 in mehrfacher Hinsicht ein ganz besonderes Jahr. In Bonn haben vor 75 Jahren die Mütter und Väter des Grundgesetztes (GG) in einzigartiger Weisheit und mit großem Weitblick die Basis für die Demokratie in Deutschland geschaffen. Und 2024 ist ein Jahr, in dem die Demokratie auf dem Prüfstand steht: in Deutschland, Europa und den USA stehen Wahlen an , die unser Wertesystem weiter erschüttern können. Teile der Gesellschaft stellen die Gleichwürdigkeit eines jeden Menschen dabei zunehmend in Frage.
Vielleicht werden unsere Enkelkinder einmal fragen: „Warum hast du damals nichts gesagt?“ „Warum hast du damals nichts gemacht?“ So haben wir uns zu sechs Menschen in Bonn, inspiriert von den Königsfiguren, zusammengeschlossen. Wir engagieren uns unter der Leitidee „Würde – unantastbar“ für ein achtsames und wertschätzendes Miteinander in unserer Zivilgesellschaft. Es geht darum, genau hinzuschauen, auch auf die existentiellen menschlichen Grundbedürfnisse nach Sicherheit, Anerkennung, Arbeit, angemessenen Lohn und lebenswerten sozialen Beziehungen. Es geht um die Wertschätzung der Fähigkeiten, Grenzen und Möglichkeiten aller Menschen, die hier leben oder zu uns kommen.
Würdetafeln
Würdetafeln, die – wie die Königsfiguren – aus (Eichen) Holz gefertigt werden, wollen im Sinne einer „sozialen Plastik“ diese Botschaft der Würde und gegenseitigen Verantwortung für Frieden und Gerechtigkeit in die Welt tragen: überall dorthin, wo Menschen sich begegnen, wo sie miteinander leben, arbeiten und miteinander ins Gespräch kommen können. Zum Königsweg der Menschheit gehört es, sich die Würde jedes einzelnen Menschen immer wieder bewusst zu machen und dafür einzustehen, wenn diese mit Füßen getreten wird. Es geht um nichts weniger als darum, eine Verantwortungsgemeinschaft zu sein und zu werden, damit Teilhabe und Teilgabe jedes und jeder Einzelnen wirksam werden können. Es zeichnet die KönigInnen* aus, dass man sie nicht im eigentlichen Sinne besitzen kann. Sie nehmen Herberge an Orten, an denen der Hinweis auf die Würde eines jeden Menschen und auf die Gleichwürdigkeit aller Menschen einen Ausdruck braucht, und bei Menschen, die den KönigInnen* ihre Unterstützung in deren Sendung anbieten
Ralf Knoblauch