Die drei ersten Plätze: JSA Regis-Breitingen (Sachsen), mittig die JVA Herford und rechts die JVA Rockenberg (Hessen).
Ein bundesweites Laufprojekt wird in der Hansestadt Herford durchgeführt. Das besondere Sportevent findet hinter den Mauern der JVA im Jugendvollzug statt. Rund sechzig junge Inhaftierte aus ganz Deutschland reisen als Mannschaften in Gefangenentransport-Bullis an. Unter anderem Mannschaften aus den nordrhein-westfälischen JVAen Iserlohn, Köln, Wuppertal-Ronsdorf und Heinsberg, der Jugendanstalt (JA) Schleswig, der bayerischen JVA Laufen-Lebenau, der sächsischen Jugendstrafanstalt (JSA) Regis-Breitingen sowie aus der rheinland-pfälzischen JSA Schifferstadt.
Junge Menschen mit verschieden farbigen Trikots bevölkerten den Berufsschul- und Werkhof der JVA Herford. Ein ungewöhnliches Bild im geschlossenen Vollzug. Die vielen schweren Innentore am Versorgungsweg dicht an der Mauer sind geöffnet worden. Hier kommt ansonsten kein Gefangener außerhalb des Sicherheitszaunes hin. An jedem der Tore stehen Justizvollzugsbeamte. Die PädagogInnen, der Erziehungswissenschaftliche Dienst sowie die Gefängnisseelsorge unterstützen das Projekt durch ihr Dasein. Sie sind in Zivil gekleidet und nur das Namensschild sowie das Personensicherungsgerät (PSG) verraten, dass es sich um ein/e MitarbeiterIn der gastgebenden JVA Herford handelt. „irgendwie vergisst man hier, dass man im Gefängnis ist“, sagt ein Gefangener grinsend.
Auf andere Gedanken kommen
Mit dem Projekt “Jugend bewegt sich über Grenzen” stellen sich junge Inhaftierte aus dem Jugendvollzug sowie junge Erwachsene aus der niedersächsischen JVA Vechta dem Laufprojekt. Die vergangenen acht Wochen haben Gefangene für ihr Lauftraining genutzt. Einmal die Woche konnten sie für den Staffelmarathon trainieren. „Man hat das Gefühl, nicht hinter Gittern zu sein. Auch wenn ich die Mauer vor Ort sehe“, berichtet ein Inhaftierter aus der hessischen JVA Rockenberg. Sport sei für ihn eine wichtige Stütze. “Es tut einfach mal gut rauszukommen aus dem eigenen Saft und ich sehe andere Leute. Auch wenn das Innerhalb eines Gefängnisses bleibt. Vielleicht ist es gut zu sehen, wie es in anderen JVAen läuft und man ist froh dort zu sein, wo man ist.“ sagt ein 19-jähriger aus der JVA Wuppertal-Ronsdorf.
Solidarisches Mitlaufen
Die Gefangenen der anliegenden Abteilung schlagen heftig auf ihre Feinvergitterung. So entsteht ein Höllenlärm, als die weiblichen Inhaftierten der JVA Iserlohn und der JVA Köln aus dem Frauenvollzug eintreffen. Jeweils in 5er Gruppen laufen sie mit den „Jungs“ zusammen 21 Kilometer rund um die JVA innerhalb der Gefängnismauern. Bis zuletzt läuft Clara von der JVA Iserlohn die letzten drei Runden. Sie ist mit ihrer Mannschaft Letzte geworden. Doch sie gibt nicht auf. Immer wieder gesellt sich ein Betreuer oder einer der anderen Gefangenen dazu und läuft eine weitere Runde mit.
Besondere Anreise
Ins Leben gerufen haben das Projekt der ehemalige Sportlehrer der hessischen JVA Rockenberg, Dierk Bublitz, und der Olympiasieger Dieter Baumann. Seit 18 Jahren organisieren sie gemeinsam das Event innerhalb der Mauern – jedes Mal in einer anderen JVA. Die komplizierte Planung und die weiten Anreisen mit besonderen Sicherheitsmaßnahmen nehmen sie in Kauf. Zwölf JVAen des Jugendvollzuges haben dieses Mal teilgenommen. “Auch wenn es anstrengend ist, die Veranstaltung innerhalb der Grenzen hat etwas besonderes für die Jugendlichen. Sie merken, dass sie ernst genommen werden und im Mittelpunkt stehen”, sagt Dierk Bublitz. Er hofft, dass die jungen Menschen diese Erfahrung in ihr Leben nach Haft mitnehmen. Die Mannschaften der südlichen JVAen Schifferstadt und Laufen-Lebenau bleiben über Nacht in der JVA Herford. Sie tauschen sich abends an den Haftraum-Fenstern über wichtige Details ihrer Inhaftierung und die Unterschiede der einzelnen JVAen aus.
Gutes Teamgefühl
Der Olympiasieger, Dieter Baumann, moderiert den Tag am Mikrofon und spornt alle bis zur letzten Läuferin an. Baumann errang im 5000-Meter-Lauf zwei olympische Medaillen. Bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul lief er zu Silber, bei den Spielen 1992 in Barcelona gewann er die Goldmedaille. Gewonnen hat am Ende beim JVA Staffellauf das Team aus Herford, zur Freude der gastgebenden JVA. Das Erreichen des Wander-Pokals steht nicht im Vordergrund, sondern das gemeinsame Erleben. Zum Ende läuft die Mehrzahl der TeilnehmerInnen solidarisch die letzte Runde mit der Läuferin aus Iserlohn mit. „Das ist schönes Bild am dunklen Ort des Knastes“, sagt ein Sportbeamter ergriffen. Baumann ergänzt: “Bei der Siegerehrung habe ich zu jedem Team einpaar Worte gesagt. Da war beispielsweise ein Gefangener, der ist kurzzeitig umgefallen. Kein Wunder, hatte er doch in wenigen Monaten 25 kg abgenommen, wie er mir erzählte. Und er ist mit seiner Mannschaft auf dem 6. Platz gelandet“, berichtet Baumann, der aus Tübingen stammt.
Michael King