Ostermorgen. Früh. Eine Osternacht feiern wir am Ende der Nacht. Eine Dreiviertelstunde früher betrete ich die dunkle Kirche. Bleibe stehen. Wie angewurzelt. Ganz wenig Licht scheint von den Straßenlaternen in die Kirche. Meine Augen gewöhnen sich langsam. Ich sehe schwach die Umrisse. Noch ist es ruhig, noch ist kein Mensch da. Ich setze mich einen Augenblick.
Finde keine klaren Gedanken. Schaue nur. Bin müde. Am Vorabend habe ich mit einer anderen Gemeinde schon eine Osternacht gefeiert. Die Stunden Schlaf dazwischen sind wenig und die wenigen unruhig. Dieselbe Feier: Völlig anders, ob am Beginn oder am Ende der Nacht gefeiert, ob man sich danach schlafen gelegt hat oder in den Tag hineingegangen ist. Noch ist es dunkel. Gleich wird durch die farbigen Fenster das erste Licht hereinkommen, verhalten, immer stärker werdend. Wir werden zuschauen, dabei die Lesungen hören, die alten Geschichten. Jetzt hat die Stille das Wort. Die Stille habe ich am Karfreitag vermisst, anders als im ersten Corona-Jahr, in dem die Gottesdienste nicht gefeiert wurden. Da standen die Kirchentüren weit auf, Menschen kamen und gingen, blickten auf das Kreuz, verweilten, intensive Minuten lang. Spürbare Ehrfurcht. Schweigen. In diesem Jahr war am Karfreitag wieder eine einstündige Liturgie voller Worte. Ich fand es für mich unangemessen. Es wickelte sich ab, Wort für Wort, Handlung für Handlung. Mir war es zu viel. Ich wollte einfach nur schweigen.
Hört die Leidensgeschichte nie auf?
Und immer mehr frage ich mich, ob wir damals nicht auch „Kreuzige ihn!“ geschrien hätten, und ob es darum nicht scheinheilig ist, heute, mit dem gebührenden Abstand betroffen vom Leiden und Sterben Jesu zu hören, an dem ich ja genauso meinen Anteil habe. Denn für Jesus eintreten, in Form der heute vom Leiden gezeichneten Menschen, der heute misshandelten und gedemütigten, der heute missbrauchten und unbequemen Menschen, fällt mir schwer. Es fällt unserer Kirche schwer, die eher auf Selbsterhalt gesetzt hat – im Vertuschen der grausamen Missbrauchsverbrechen – und die damit nicht anders war (oder ist?) als die Frommen zur Zeit Jesu, denen er unbequem war, und die mehr um sich selbst und um ihren Stand fürchteten. Hört diese Leidensgeschichte nie auf?
Ich mag noch nicht aufstehen an diesem Ostermorgen, der mehr noch Nacht als Morgen ist. Die dunkle Kirche kommt mir vor wie eine Höhle, wie ein Grab und dann wieder wie ein bergender Schutzraum. Ist nicht so viel an Leben aus ihr gewichen, so viel an Kraft und Vitalität eingegangen? Wir waren nicht unbedingt viele in der Osternachtfeier des Vorabends, Jahr für Jahr werden es weniger, und die wenigen werden älter. Kirche, wie ich sie von klein auf kennengelernt habe, ist im großen Sterben. Wie sagte unser Bischof mit deutlichen Worten vor Jahren schon: „Die große Scheiße kommt erst noch.“ Hätte es niemand aufhalten können? „Musste nicht“ alles so kommen? Aber Halt. Ist es redlich, Kirche und ihr Sterben mit dem Sterben Jesu gleichzusetzen? Nein! Denn diese Kirche ist nicht Jesus, und in ihr gibt es so viel dem Evangelium Fernes. Es ist so weit, dass Menschen, um sich und ihren Glauben zu schützen, um ihre Jesus-Freundschaft zu schützen, keinen anderen Weg sehen, als aus der Kirche auszutreten. Habe ich den Zeitpunkt verpasst, den Augenblick nicht wahrgenommen, an dem meine Jesus-Freundschaft zerbrach zugunsten meines Verbleibens in der Kirche?
Nur singen bei Glück?
Jemand weiteres kommt in die Kirche, bleibt hinten stehen. Eine der Lektorinnen. „Ich komme gleich“, sagt sie mir leise, als ich sie mitnehmen möchte in die Sakristei. Ob sie ähnlich empfindet beim Blick in die dunkle Kirche? Auf der Suche, wie die Ostersonne aufgehen kann in unserem Dunkel, hören wir in diesem Jahr das Osterevangelium des Evangelisten Lukas, in dem der auferstandene Christus gar nicht auftaucht. Der, um den es geht, ist nicht da. Darum setzt auch bei den Frauen und bei den Aposteln kein Jubel ein, eher Ratlosigkeit, Verwunderung. Es gibt kein Osterlachen, kein Osterfeuer, kein Oster-Halleluja. Es gibt ganz viel Realismus. Erzählt wird vom Nicht finden, vom Erschrecken und zu Boden blicken. Ist unser Ostern-Feiern zu laut? Als mein Vater im Sterben lag, in der Osterzeit 1999, gab es kein Osterlied für uns. Können wir nur singen, wenn uns der Tod nicht zu nahe kommt, das Leiden uns nicht zu sehr selbst betrifft, es weit genug von uns entfernt ist? Können wir nur singen, wenn wir Glück haben, wenn es uns gut geht, wenn die Sonne scheint? Vermutlich. Aber ist unser Singen dann schon Ausdruck von Ostern? Vermutlich nicht. Plötzlich denke ich daran, dass wir gleich wieder wie in jedem Gottesdienst ein Zeichen aufgreifen: Wir brechen das Brot. Nur gebrochen nehmen wir wahr. Das tröstet mich.
Aus: Bernd Mönkebüscher | Es schmeckt nach mehr 1/2023
Ver-brechenAuf Biegen und Brechen
Ein-brechen
Bruch
Zerbrochen
Am Morgen schaue ich mein
ein-gebrochenes Auto an
breche zusammen
falle ge-brochen
zu Boden
jemand brach ein
in mein ganz PRIVATES
nahm mir meine
FREIHEIT
die ganz persönliche
für selbstverständlich
er- und ge-achtete.
Zusammen-brechen
Alleine-brechen
Ver-brechen
ein-ge-brochen
zer-brechen
zer-brochen
Ich will
brechen mit meinem
Zer-brechen
angesichts des Bruchs
Sich BIEGEN „Sehen Sie das mal nicht zu eng“ Ostern 2023
ohne zu BRECHEN
angesichts
zerbrochenenem Glas und
Blech
Biegsam werden
nicht zerbrechen.
meinen die, denen ich davon
erzähle
bin fast in Lachen
aus-ge-brochen.