parallax background

Keine Chance: Diskriminierung statt Resozialisierung

8. Juni 2024

In der Zeit von November 2005 bis Ende März 2013 habe ich als Gefängnisseelsorger in der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf gearbeitet. Zu einigen Gefangenen, die ich seinerzeit betreut habe, habe ich immer noch Kontakt. Vor vielleicht zwei Monaten rief mich einer dieser „Ehemaligen“ an. Ich nenne ihn der Einfachheit halber M.

Er sagte, dass in einer evangelischen Jugendhilfeeinrichtung in der Nähe von Bonn die Stelle eines Kochs frei sei. Er fragte, ob er seine Vergangenheit offenlegen solle. Ich riet ihm, in der Bewerbung offensiv seine Vorstrafe zu nennen; denn in der Jugendhilfeeinrichtung müsse er ohnehin ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen.

Kirche(n) nicht so weit

Einige Wochen später rief er noch einmal an. Er erzählte, dass das Bewerbungsgespräch gut verlaufen sei. Der Einrichtungsleiter habe seine Vorstrafe zur Kenntnis genommen und gesagt, er wolle ihn als Koch, er komme bestimmt mit den Kindern und Jugendlichen gut zurecht. Leider habe er aber nicht das letzte Wort. Das habe der Träger. Er sei aber zuversichtlich, dass der Träger seiner Einstellung zustimme. Eine Woche später erhielt ich von M. eine WhatsApp-Nachricht. M schrieb kurz und knapp: „Habe die Stelle nicht bekommen. Die Kirche sei wohl noch nicht so weit. Viele Grüße M“. Das tut mir sehr leid für ihn. Ich hatte M in Ossendorf kennengelernt. Ich war damals in Haus 5 untergebracht, für das ich als Gefängnisseelsorger zuständig war. Damals habe ich viele Gespräche mit ihm geführt. Er hat mir seine Unterlagen gezeigt. Er war wegen versuchten Mordes angeklagt.

Im Strafvollzug „mitspielen“

M. hat sich immer als unschuldig bekannt. Ich habe ihm geglaubt. Seine Anwälte hatten ihm Hoffnung gemacht. Aber er wurde des Mordversuchs schuldig gesprochen und – ich glaube – zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die Anwälte haben alle Rechtsmittel ausgeschöpft, aber leider ohne Erfolg. M. hatte sich entschieden, nachdem das Urteil rechtskräftig war, im Strafvollzug „mitzuspielen“, um nicht als uneinsichtig dazustehen und dadurch die Chance zu haben, eine gute Arbeit zu bekommen oder eine Umschulung machen zu können. Seine Stationen waren die JVAen Hagen, Geldern und Aachen. In Geldern hat er in der Küche gearbeitet und eine Ausbildung zum Koch gemacht. Vor kurzen wurde er aus der Haft entlassen. Egal ob schuldig und rechtskräftig verurteilt oder unschuldig und trotzdem rechtskräftig verurteilt: M. hätte eine Chance verdient, gerade in einer christlichen Einrichtung. M. hat auf mich immer den Eindruck eines Stehaufmännchens gemacht. Er hat immer gesagt: „Man muss positiv denken.“ Nicht dass eine derartige Diskriminisierung ihm das Rückgrat bricht!

Robert Eiteneuer

 

Feedback 💬

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert