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Hilfloses Zucken des überholten festgefahrenen Machtapparats

3. März 2024

Vieles scheint sich in unserer Gesellschaft und den Kirchen aufzulösen. Vor allem in bisher für irgendwie selbstverständlich gehaltenen Sicherheiten: sich auf eine stabile Demokratie verlassen können – anzunehmen, dass Gewaltlosigkeit der Friedensweg ist – in der Kirche eine wertschätzende Unterstützung zum Glauben finden – das Vertrauen in sich selbst, dass alles gut wird.

Dazu der verstörende Ruf Jesu im Evangelium: „Löst diesen Tempel auf!“ (Übersetzung Fridolin Stier). Es ist ein Aufruf, aus allem Festgefahrenen in die leibhaftige und somit wandelbare Erfahrung Gottes zu kommen. Denn der Tempel Gottes ist der Mensch. Ein Aufruf, den immer wieder zu hören gut tut. „Löst diesen Tempel auf“, sagte der Wanderprediger aus Galiläa an der wichtigsten Heiligen Städte des Landes. Er veranstaltete einen Aufruhr im Jerusalemer Tempel und verjagte die Händler und Geldwechsler des religiösen Markttreibens. Jesus war gefährlich geworden für die Glaubenswächter in ihrem Bemühen um Tradition und Machterhalt.

Jeder Mensch selbst Tempel Gottes

Tatsächlich war der Jerusalemer Tempel im Jahre 70 durch die römischen Besatzer zerstört worden, doch geht es im einige Jahrzehnte später entstandenen Johannesevangelium nicht um dieses einschneidende Ereignis, sondern um die Überzeugung, dass Gottes Wirklichkeit in Jesus von Nazareth offenbar wird. „Als er von den Toten auferweckt war, erinnerten sich seine JüngerInnen, dass er dies gesagt hatte, und sie glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesprochen hatte“ – so erinnert das Evangelium mit dem Bericht von der sogenannten Tempelreinigung an die Menschwerdung Gottes in Jesus. Gott kommt nicht in Tempeln, heiligen Büchern und anderen religiösen Gegenständen vor, und schon gar nicht in den Geschäften damit, sondern in der Leibhaftigkeit des Menschen. Jesus, und – so wird es offenbar in seiner Lebenspraxis der Hingabe – jeder Mensch ist selbst ein Tempel Gottes.

Loslassen von Festgefahrenem

Jesu Aufruf, das Allerheiligste aufzulösen, um es dann völlig verwandelt wieder erstehen zu lassen, war eine starke Provokation hinsichtlich der persönlichen Glaubenshaltung. Denn er meinte nicht den altehrwürdigen Steinbau in Jerusalem, sondern die Verwirklichung Gottes durch den Menschen. Erst im Loslassen von allem Festgemachten und damit im sich einlassen in absolutes Vertrauen öffnet sich ein Zugang zu dieser weiten, alles umfangenden und zugleich in uns nahen göttlichen Dynamik. Nicht selten erfahren wir diese Öffnung hin auf ein Wozu in den Krisenzeiten unseres Lebens: wenn zusammenbricht, was bisher als wichtig galt, wenn Verwundung und Krankheit den gewohnten Lebensstandard einschränken, wenn das Sterben zum endgültigen Loslassen zwingt. Im Annehmen dieser Krisenzeiten als einer besonderen Intensivierung des Lebens und im sich Überlassen in ein tiefes, tragendes Vertrauen geschehen Wandlung und Heilung.

Hilfloses Zucken

Sehr aktuell ist diese Botschaft des Evangeliums für den Leib, der wir als Kirche Christi sind. Menschen sind aus den Kirchen ausgetreten angesichts des Missbrauchs und des Umgangs damit. Oft fühlen sich Menschen in den Kirchen nicht mehr angesprochen, sie erleben Bevormundung, Abwertung und Diskriminierung statt einer ermutigenden Frohen Botschaft. Synodale Prozesse voller Kreativität und Gestaltung werden von Seiten des Vatikans ausgebremst. Machtkämpfe lähmen, und viel Energie wird verschwendet in gegenseitigen Vorwürfen. So manches Veto aus Rom zu neuer kirchlicher Gestaltung vor Ort in den Gemeinden erscheint wie ein hilfloses Zucken eines längst überholten, weil festgefahrenen Machtapparates. Und wer nur darauf wartet, bis dieser wieder in Bewegung kommt und endlich dieses oder jenes erlaubt, wird dabei selbst fest – anstatt sich in der eigenen Gemeinde in Bewegung zu setzen und zu gestalten.

Not-wendige Wandlung

„Löst diesen Tempel auf“ könnte dann bedeuten, den Mitgliederrückgang, die Vergeblichkeit des Festhaltens an vermeintlich naturrechtlichen Gewissheiten, das nicht mehr Gebrauchtwerden und alle anderen manchmal auch schmerzhaften Erfahrungen einer in ihrer Selbstsicherheit verunsicherten Kirche als im eigentlichen Sinn not-wendige Wandlung anzusehen. Und dabei ist, ohne zu wissen, wohin der Weg führt, mit dem Evangelium Jesu daran zu erinnern, dass der Mensch selbst Tempel Gottes ist. Das weckt die Lust sich neu aufzumachen und miteinander pilgernd das Heilige zu entdecken – jenseits der festgefahrenen Gleise.

Christoph Kunz | Joh 2, 13-15

 

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