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Im Gefängnissystem arbeiten, obwohl queerfeindlich

16. Mai 2024

Die Initiative #OutInChurch hat Geschichte geschrieben. Aus Zoom-Konferenzen einzelner Kirchen-MitarbeiterInnen* wurde die Reportage der ARD „Wie Gott uns schuf“ gedreht, ein gemeinnütziger Verein gegründet sowie das kirchliche Dienstrecht verändert. Doch die Aufarbeitung von Diskriminierung, das Achten anderer Geschlechtsidentitäten sowie die Änderung der Sexualmoral und des katholische Amtsverständnis lassen auf sich warten. Pfarrer Bernd Mönkebüscher aus Hamm erzählt aus eigener leidvoller Erfahrung.

Die Frage nach der eigenen Rolle und Verantwortlichkeit im System „Kirche“ ist berechtigt. Ich stelle sie mir als Priester jeden Tag, etwa im Bezug auf den Ausschluss von Frauen von den Weiheämtern nur weil sie Frauen sind. Trage ich nicht, auch wenn ich diese vatikanische Entscheidung kritisiere, sie dennoch mit, in dem ich mich habe weihen lassen oder „dabei bleibe“? Lebt nicht „das System“ genau davon? Damals, 1992, als ich geweiht wurde, war mir vieles nicht bewusst. Kritische Fragen hatten in der Theologie kaum Platz, die Frage nach der Frauenweihe etwa oder nach queeren Menschen.

Berufswunsch war da

Als Jugendlicher, als junger Erwachsener hatte ich keine Sprache für meine Gefühle, darum kann ich noch nicht mal sagen, wann mir klar wurde, schwul zu sein. Seit der Studienzeit ist es mir bewusst. Doch gesprochen wurde darüber nicht. Es war kein Raum dafür. Mitstudenten wurden deshalb vor die Tür gesetzt. Ja, mir war da das eigene Hemd näher. Darum verneinte ich im Scrutinium die übliche Frage des Bischofs: „Sind Sie schwul?“ Dass die Frage gestellt würde, darüber unterhielt man sich im Konvikt, aber man lachte sie weg. Lachen, laut lachen, sich nicht verraten, Sicherheit vortäuschen, Heterosexualität suggerieren. Wie hoch die Anzahl schwuler Männer unter den Priestern oder in der Kirche generell war, war mir damals nicht bewusst. Der Berufswunsch war da, ich wollte mit Menschen den Glauben leben und feiern und hatte die Hoffnung, es würde mit der Kirche wieder aufwärts gehen. „Neue Besen“…

Andere Gründe der Entlassung

Heute muss ich sagen, mein Schweigen aus Angst, wenn queere Menschen entlassen wurden, war falsch. Aber mitunter bekam ich es gar nicht mit, oder es wurden andere Gründe kommuniziert. Das ist ja heute noch so. Im Mühen um die Aufarbeitung der Schuldgeschichte wurde vom neu gegründeten Arbeitskreis „Queersensible Pastoral“ im Gespräch mit der Bistumsleitung des Erzbistum Paderborn noch im letzten Jahr mitgeteilt, aufgrund ihrer sexuellen Orientierung seien zwei Menschen nur gekündigt worden. Ansonsten seien es andere Gründe gewesen und aufgrund von Personenschutz könne man nicht mehr dazu sagen.

Beförderung von Diskriminierung queerer Menschen

Dass queere Menschen ihre eigene Identität, ihre Partnerschaften oder Menschen, mit denen sie eine sexuelle Beziehung hatten oder haben, verleugnen, kann ich bestätigen. Da spielt das Zölibatsthema hinein, das größte Tabuthema in der Kirche. Dem Zölibat wird ja nicht nur die Eucharistie geopfert sondern auch Menschen. „Schattenfrauen“ bei heterosexuellen Priestern, „Schattenmänner“ bei homosexuellen Priestern.

Und ich merke an mir selbst die Versuchung, das System höher einzustufen als offen zu sich zu stehen. Ein Outen erschien mir erst 2019 möglich, damals als einzelner. Ich bekam von Kollegen wenig Resonanz, wohl aber hintenherum signalisiert, ein Nestbeschmutzer zu sein. Man könne sich doch gut einrichten in der Kirche. Schließlich ginge das ja keinen was an. Das sagten und sagen die, die teilweise in meinen Augen beziehungsunfähig sind, aber dafür wechselnde Sexpartner haben. Von manchen werde ich gemieden, ich verunsichere sie. Ich merke, dass es ihnen nicht recht ist, dass ich von ihnen weiß. Das System bewirkt, dass eine offene Rede immer noch nicht geht.

In mir selbst gefangen

Ob es bei #OutInChurch Menschen gibt, die Trans*Personen für einen Orden ablehnen, weiß ich nicht. In der Entstehungszeit der Initiative war uns wichtig, uns nicht auseinander dividieren zu lassen. So scheiterte die Doku „Wie Gott uns schuf“ fast daran, weil sie ursprünglich nur über schwule Priester berichten sollte. Wir waren dazu nicht bereit, weil das Thema so groß ist, Gemeinde- und Pastoralreferent*innen, Krankenschwestern und Pfleger, Professor*Innen, Diakone, Religionsleher*Innen und Trans*Menschen von der Diskriminierung in gleicher Weise betroffen sind. Das Outen queerer evangelischer Geschwister vor Jahrzehnten habe ich zu meiner Schande nicht mitbekommen: Ich war in mir gefangen. Ja nicht auffallen, ja nicht als schwuler Mann erkannt werden. Also ständig die eigenen Bewegungen kontrollieren, darauf achten, dass meine Augen keinem Mann hinterherschauen, zumindest nicht auffällig.

Queerfeindliches System

Das Outen queerer Menschen hat #OutInChurch bestärkt, sogar initiiert, vor allem #Actout der 185 Schauspieler*Innen. Es war der Anlass, das der Hamburger Kollege Jens Eherecht-Zumdsande und ich chatteten und uns einig waren: das hilft uns, das brauchen wir in der katholischen Kirche auch. Und es sind Kontakte und Verknüpfungen entstanden, auch ökumenisch. Die Frage von Menschen außerhalb des kirchlichen Systems, weshalb wir uns in einem System engagieren, dass immer noch queerfeindlich ist und zur Queerfeindlichkeit beiträgt, stelle ich mir – und ich glaube die meisten, wenn nicht alle in der Initiative. Es hat etwas Masochistisches. Du stößt als queerer Katholik in der Szene auf Unverständnis, und du bist in einem System sozialisiert, dass mit Unverständnis und Ablehnung auf die Szene reagiert. Wie massiv war und ist die Ablehnung weltweit etwa von der vatikanischen Verlautbarung Fiducia supplicans. Ich kann für mich sagen, dass die selbstkritischen Fragen, die ich an mich selber richte. Für nicht wenige war es im Jahr 2021 in Raum Kirche endlich eine Möglichkeit, auf Gleichgesinnte zu treffen und das immer noch von einer Angst begleitet, dass ein Drittel der Teilnehmenden nicht mit Klarnamen und verpixelt teilnahmen. Ich wünsche mir eine direkte Kommunikation, ein Podium, es wird immer noch zu wenig und zu wenig offen geredet.

Bernd Mönkebüscher, Hamm

 

3 Rückmeldungen

  1. 📚 Rey sagt:

    Am 17. Mai 1990 strich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Homosexualität aus ihrem Diagnoseschlüssel für Krankheiten. Seit 2005 wird der Tag in Erinnerung an dieses Datum als Internationaler Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (engl. International Day against Homophobia, Biphobia, Interphobia and Transphobia, kurz: IDAHOBIT) begangen. Es wird weltweit auf die noch immer nicht vollständig überwundene Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen aufmerksam gemacht, deren sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität nicht der „heterosexuell geprägten Norm“ entspricht.

    „175er“ – so wurden homosexuelle Männer jahrzehntelang abwertend genannt. Der Paragraph 175 des Strafgesetzbuches stigmatisierte und illegalisierte gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Männern. Mit der Reform des Strafgesetzbuches im Jahr 1969 wurde der Paragraph 175 zum ersten Mal in der Bundesrepublik geändert. Homosexualität unter erwachsenen Männern über 21 war nun keine Straftat mehr. 1973 wurde das Alter auf 18 Jahre herabgesetzt. Als Sonderregelung blieb damit weiter bestehen, dass Jugendlichen nicht mit 16 Jahren die Reife für gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zugestanden wurde. Erst nach der Wiedervereinigung am 11. Juni 1994 wurde der Paragraf endgültig aus dem Strafgesetzbuch entfernt.

    Die katholische Kirche folgt bislang alten gesellschaftlichen Rollenbildern. Die Kirche muss sich viel offener als bisher der Sexualität zuwenden – fordert der Essener Weihbischof Ludger Schepers. Er ist Queer-Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz. „In der Frage der Sexualmoral muss sich insgesamt in der katholischen Kirche etwas ändern. Und das bedeutet natürlich auch, dass im Katechismus andere Dinge stehen müssen, als sie jetzt stehen“, sagt Schepers in einem Interview der Rheinischen Post. Dem widerspricht der Vatikan.

    In 66 Staaten wird Homosexualität noch strafrechtlich verfolgt, in 12 Ländern droht sogar die Todesstrafe. Machne davon setzen die Todesstrafe teilweise um: Iran, Nigeria, Saudi Arabien, Somalia, Jemen. Eine rechtliche Möglichkeit ist die Todesstrafe in Afghanistan, Brunei (Südostasien), Mauritius, Katar, Pakistan, Uganda und in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Vielerorts sind staatliche Behörden an der Unterdrückung von LSBTIQ* beteiligt, verweigern ihnen jeglichen Schutz vor Anfeindungen und Gewalt.

  2. Pit sagt:

    Ich kann die Argumentation nachvollziehen. Wenn man Kritik als pastorale MitarbeiterIn innerhalb der katholischen Kirche äußert, bekommt man die Rückmeldung, warum man denn darin noch arbeitet und man nicht längst aus diesem, mit sektiererischen Tendenzen behafteten System, aussteigt. Manche sprechen einem sogar das katholisch sein ab. Einige haben “ihre“ Nische gefunden, in der sie gut leben können. Als Kleriker gibt es trotz Zölibat „Schattenverbindungen“, die die Ungerechtigkeit deutlich machen.

    Wie im Justizvollzug müssen wir mit den Widersprüchen leben und sie leider aushalten. Aber vielleicht sind es genau die kleinen Hoffnungen von Menschen, die anders denken und die Paroli bieten. Es bleibt nach wie vor die Lösung eines Austritts. Und damit verbunden einer beruflichen Neuorientierung.

  3. Katrin sagt:

    Der Artikel ist mal wieder gut… er traut sich, zu sagen, was er denkt. Aber das System, von dem er immer wieder sagt, es sei missbräuchlich in sich und nicht gesprächsbereit für… und sogar masochistisch in Sachen queer, da stützt er durch sein Bleiben doch weiterhin ohne Konsequenzen das System. Aus all seiner Einsicht klare Konsequenzen zu ziehen wäre vielleicht weiterbringend? So bleibt das Leben in dieser widersprüchlichen Church.

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