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Katholikentag spiegelt die Widersprüchlichkeit wieder

29. Mai 2024

Konträr ist das Programm und der erste Eindruck des Katholikentages. Die Welt hier hat mit der Erlebnis- und der Erfahrungswelt eines Inhaftierten kaum etwas gemeinsam. Vielleicht gibt es hier und da noch eine heimliche Faszination gegenüber dieser scheinbar klar definierten Welt der Amtskirche. Fremd ist sie mir geworden – die „katholische Welt“.

Ich fühle mich nicht in der Lage, als Gefängnisseelsorger diese Atmosphäre, wie sie mir hier in Erfurt begegnet, im Knast zu vermitteln oder umgekehrt den katholischen Verantwortlichen und Obrigkeiten die Knast-Welt nahezubringen. Zu fremd ist sie mir geworden – die „katholische Welt“. Damit meine ich die Begrenztheit und die Engstirnigkeit mancher „Würdenträger“ oder so mancher Gruppierungen auf der Kirchenmeile. Der Stand der Gefängnisseelsorge „hat nichts Frommes“, so drückt sich ein mdr-Reporter aus, als der den Stand besucht. Die Welt drinnen spiegelt sich draußen und umgekehrt. Hinter den Mauern kann man sich aber nicht hinter Glaubenswahrheiten verstecken.

Musik durchbricht die Be-Grenzungen in Gesellschaft und Kirche(n).

Welt des jungen Inhaftierten

Vor einigen Tagen hatte ich einen begleiteten Ausgang mit einem jungen Inhaftierten zu einer Wohneinrichtung für Haftentlassene. Kaum eingestiegen ins Dienstauto, noch vor der Schleuse der JVA, holt dieser seine Sonnenbrille heraus, drückt den Schalter des Beifahrerfensters herunter und lehnt seinen Ellenbogen weit aus dem Fenster. Das ist seine Welt. So kennt er es und fühlt sich darin wohl. Endlich mal raus aus den Mauern und mal zeigen, wer man ist. Der Weg in eine andere Art der Realität wird für diesen jungen Erwachsenen noch ein sehr weiter sein.

Man wähnt sich der Wirklichkeit nahe

Vergleichsweise kommt es mir so vor, als wenn dieser Weg zwischen der kirchlichen Realität und einer, die sich völlig anderes strukturiert und definiert, für die Würdenträger der Kirche ebenfalls ein sehr weiter ist. Das gegenseitige Beglückwünschen zur Ernennung als Bischof in „Brüderlichkeit“ und das angebliche „Hören“ auf die Menschen, erlebe ich ähnlich, wie bei diesem Gefangenen. Man wähnt sich den Menschen nahe. Aber da werden zu viele Wirklichkeiten ausgeblendet. Auf dem Katholikentag im mitteldeutschen Erfurt wird es deutlich. Die Dominanz der Präsenz fundamentalistischer und neuevangelisierender Gruppen ist enorm. Sie haben durchaus Erfolg mit ihrer „Frohen“ Botschaft. Sie gibt angeblich Sicherheit und Klarheit. Doch sie schließt ebenso Menschen aus, die der gesetzten „Norm“ nicht entsprechen.


Ich glaube daran

Zurück in die Wohngruppe für Haftentlassene: Ein älterer Bewohner spricht mit dem 20-Jährigen jungen Inhaftierten und erzählt von seinen Sucht-Erfahrungen und den Gründen seiner Straffälligkeit. Da plötzlich entsteht eine gemeinsame Basis, auf der die Welt sich vielleicht neu erfinden könnte. Wie schön wäre es, wenn die Amtskirche und ihre Obrigkeiten sich tatsächlich für neue Welten und andere Wahrheiten öffnen könnten. Nur so entsteht hier und da eine gemeinsame Basis, auf der Neues entstehen kann. Es gibt sie auch auf dem Katholikentag. Menschen, die bodenständig und offen sind. Allerdings sind diese nach meinem Blickwinkel eher im Hintergrund. Doch sie gibt sie. Solch ein Katholikentag hat durchaus Sprengkraft: Politisch und gesellschaftlich. Doch die Wirkkraft innerhalb der Katholischen Kirche verpufft.

Michael King

 

1 Rückmeldung

  1. Christoph Kunz sagt:

    Rituale und Bräuche hat dem Menschen zu dienen
    „Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat“, so kündet es das Markusevangelium (Mk 2, 23 – 28) in der Botschaft Jesu. Seine Überzeugung war: Religion mit ihren Ritualen und Bräuchen hat dem Menschen zu dienen, nicht umgekehrt. Sie will unterstützend und ermutigend begleiten, was im Menschen schon ist: bedingungslos von Gott geliebt zu sein. So öffnet eine gesunde Religion für die Wirklichkeit Gottes im Menschen und bietet Raum und Unterstützung für eine lebendige Gestaltung dieser so geheimnisvoll nahen wie unvorhersehbaren göttlichen Bewegung. Wir, die wir im Dienst der Religion unterwegs sind, sind im besten Fall Begleitende und Ermutigende, solche, die entdecken und sich überraschen lassen, die nicht urteilen, sondern zulassen, und die auch im Verlorenen noch um den Zauber göttlicher Anwesenheit wissen.

    Offen alternativ und konservativ
    Während des Katholikentages in Erfurt konnte ich in einigen wunderbaren Begegnungen erfahren, wie es ist, wenn der Sabbat für den Menschen da ist. Da öffnet sich eine Stadt, in der zwar viele Kirchen, aber wenige Menschen christlich sind, mit ihren Straßen und Häusern, den Bussen und Bahnen und ganz oft den Herzen der Menschen für all die in ihrem katholisch Sein doch eher fremdartigen Gäste. Und, als wäre es völlig normal, suchen Besucher*innen an den Veranstaltungsräumen die als „Unisex“ gekennzeichneten Toiletten auf, ohne Angst, obwohl da doch gerade massiv am gewohnten Naturgesetz der Geschlechtertrennung in Mann und Frau gerüttelt wird. Überhaupt sind in der Hauptstadt eines Landes, in dem gerade auch politisch ein Abrutschen in menschenunwürdige und demokratiefeindliche Haltungen zu befürchten ist, viele bunte Menschen unterwegs, die offen alternative und queere Lebensweisen zeigen.

    Heilsame Begegnungen
    „Zukunft hat der Mensch des Friedens“ ist das Motto des Katholikentages, darin sind Zusage und Vision zugleich. Das eröffnet Wege jenseits aller Grabenkämpfe um festgefahrene Meinungen herum. Es lässt ahnen, dass immer Wege sind, auch, wo wir bis eben noch dachten, jetzt geht nichts mehr. Kirche verändert sich, vieles bricht ab, manches bricht auf. Naheliegend sind die Versuche festzuhalten, was war und als ewig gültig schien. Doch sind dies eigentlich Ver-suchungen, die in die Leblosigkeit der Sackgassen selbstgemachter Heilsvorstellungen führen. So wichtig auch unser Bemühen um Strategien für eine erneuerte Kirche ist, bleibt doch für die Glaubwürdigkeit das Entscheidende unsere Haltung in all dem, was wir tun. Und das ganz alltäglich und jeden Tag neu. Da wächst die Ahnung, dass da tatsächlich geheimnisvoll eine heilsame Bekräftigung wirken will, wo auch immer jemand gerade vom Leben mitgenommen ist. Dann können Begegnungen ein Sabbat werden für die Menschen.

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