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Mensch Jesus. Im Knast. Passt das wirklich?

28. August 2019

Die Ausstellung “Mensch Jesus” zu Gast in der JVA Bielefeld-Senne.

„Jesus im Knast – passt das? Dazu haben wir ganz bewusst ‚Ja‘ gesagt“, erklärt Mirko Wiedeking, katholischer Gefangenenseelsorger des Erzbistums Paderborn. Der Zuspruch zur Ausstellung „Mensch Jesu“ im Foyer des Hafthauses Senne gab ihm Recht. 25 Inhaftierte unterschiedlicher Hafthäuser der JVA Bielefeld-Senne nahmen am Aktionstag zur Ausstellung teil und befassten sich in unterschiedlicher Form mit den Bildern „einer ungewöhnlichen Tour durch den Alltag von Jesus Christus“.

Jesus wird oft nur als Kind, Gekreuzigter oder Entrückter wahrgenommen, selten aber als einfacher Mensch. Die Ausstellung „Mensch Jesus“ rückt den bemerkenswerten Menschen Jesus in neue, eher ungewöhnliche Perspektiven. Titel wie „Jesus, der Maßlose“, „Jesus, die Frohnatur“ oder „Jesus, der Fluchthelfer“ sorgten für eine erste Überraschung bei den Inhaftierten, die sich aber schnell auf die neue Blickweise einlassen konnten.

Häftlinge schätzen den Tag

„Gerade an diesem ungewöhnlichen Ort gehen wir zusammen mit den unterschiedlichsten Menschen auf die Suche nach der Bedeutung dieses einzigartigen Menschen für unser Leben“, sagte Wiedeking, der gemeinsam mit Daniela Bröckl und Lothar Dzialdowski (katholische Seelsorge) sowie Elisabeth Biermann und Michael Waterböhr (evangelische Seelsorge) den Aktionstag durchführte. „Herzlichen Dank für diesen Tag“, bedankte sich am Ende spontan ein Gefangener auch im Namen seiner Mitgefangenen. Er betonte, dass es für die Häftlinge nicht nur ein einfacher Tag aus dem Alltag gewesen sei, sondern ein Glaubenstag mit der Suche nach Gott. „Wir wissen zu schätzen, welches Angebot sie uns gemacht haben. Denn das müssen sie nicht tun, obwohl sie hier angestellt sind.“

Mit großer Offenheit gingen die Gefangenen in den Workshops mit dem Thema um, als sie ihr Lieblingsmotiv benennen sollten. „Jesus, der Entspannte“ – weil ich Entspannung suche und habe. „Jesus, der Grenzlose“ – weil ich in meinem Leben schon an vielen Ecken der Welt gewesen bin. „Jesus, der Allmächtige – weil ein Stück Gott auch in jedem von uns ist. „Jesus, der Reiseleiter“ – weil ich keine 08/15-Reisen mag, sondern gern etwas Außergewöhnliches sehe. „Jesus, der Vieltelefonierer“ – weil jeder rund um die Uhr online ist, man sich mehr mit anderen beschäftigt als mit dem Glauben an Gott. „Jesus der Mitbewohner“ – weil Jesus der beste Partner ist, den man haben kann. „Jesus, der Entschleunigte“ – weil ich den Vergleich zum Fahrzeug „Ente“ suche, mit der man langsam aber sicher fahren und erleben kann.“

Vertrauen zu Familie und Freunden behalten

Mit einer ganz besonderen Geschichte überraschte ein Gefangener, der sich für „Jesus, der Häuslebauer“ entschieden hatte: Er habe zweimal die Phase der Obdachlosigkeit mitgemacht und daraus die Idee entwickelt, sich ein Haus aus Strohballen und Lehm zu bauen. „Es ist billig und ökologisch, im Sommer kühl und im Winter warm.“ Mirko Wiedeking und Daniela Bröckl führten die Gruppe an verschiedenen Orte der Anstalt, um eine intensive Betrachtung u.a. der Bilder „Jesus, der Überraschungsgast“ vor dem Hafthaus, „Jesus, der Grenzgänger“ an der Schranke oder „Jesus, der Fluchthelfer“ vor der Umzäunung vorzunehmen.

Lothar Dzialdowski bot den Gefangenen an, sich über die Bibelstelle über den Sturm auf dem See (Mk 4,35-41) auszutauschen. Schwerpunkte waren hier Glauben und Vertrauen. Gerade als Inhaftierter habe der Begriff Vertrauen eine große Bedeutung. Denn das Verhältnis zur Familie oder Freunden stehe oft auf der Kippe, daher sei ein Satz wie „Wir stehen hinter dir auch in der jetzigen Situation“ ein Vertrauensbeweis. „Gott begleitet mich. Ich kann mich auf Gott verlassen“, hat ein Gefangener seinen Glauben auch in der Haft nicht verloren, und ergänzte: „Ich bin sehr dankbar für diesen Tag, der mich reich beschenkt hat.“

Jesus, mein Mitbewohner auch in der Haft

„Ich war sehr neugierig auf die Ausstellung. Nicht alles spricht mich an, manches finde ich auch gewagt“, geht Jens S. (Name von der Redaktion geändert) begeistert durch die Aufsteller und schaut auf die Bilder. „Ich bin katholisch und habe einen Zugang zum Glauben“, gesteht der 40-Jährige, der nun seit 8 Monaten im offenen Vollzug in Bielefeld, aber schon seit 17 Jahren in Haft ist. „Jesus, der Mitbewohner“, spricht ihn am meisten an. „Er ist auch in der Haft mein Mitbewohner, zu dem ich am Morgen und am Abend bete.“

Die Ausstellung löst auch bei ihm Fragen aus, wie wir Jesus heute wahrnehmen würden. „Jesus war damals in der Opposition und hat sich durch Widerstände nicht beirren lassen. Er war auf unglaublich vielen Arten aktiv, trotzdem war er ein Mensch wie Du und ich. Und er war sich immer im Klaren, war er tut und sagt“, hat Jens S. seinen Glauben nicht verloren. „Jesus, der Mitbewohner. Jesus sagte seinen Freunden, dass er sofort einziehen würde, wenn jemand mit ihm in einer WG wohnen wollte. Er bringt auch den Müll runter. (Johannes 14,23).“ – zu diesem Bild der Ausstellung findet Jens S. besonderen Bezug. Er habe in Ummeln auch eine Zeitlang ein Gemeinschaftszimmer gehabt, was sehr gut mit dem Mitbewohner funktioniert habe. Oft funktioniere es aber nicht so, wie man sich das wünscht.

„Meine Haft liegt in meiner Verantwortung, aber durch Gott habe ich wieder den richtigen Weg gefunden. Man muss sich stets mit dem eigenen Leben auseinandersetzen. Viele Fragen bleiben und machen neugierig. Der ganze Weg ist die Suche nach Gott. Er stellt mir Aufgaben, die ich erstmal lösen muss. Auch nach therapeutischer Beratung habe ich viele Dinge in Gottes Hand gelegt, wo es dann auch Lösungen gab. Ein Freund hat mal zu mir gesagt, wenn ich ein Problem habe, ‚gib es an Gott ab‘. Ich habe Gottvertrauen und bete“, so Jens S. Der 40-Jährige war und ist begeisterter Musiker und spielt „alles, was Tasten hat“. Seine Lebenserfahrung bringt er musikalisch auf den Punkt: „Auch wenn man in der Musik mal danebengehauen hat, muss man nicht aufgeben, sondern auf der Klaviatur des Lebens weiterspielen. Ich kann nur empfehlen, sich eine Aufgabe zu suchen und dabei an sich selbst zu arbeiten. Etwas finden, woran man auch Halt finden kann.“

Text/Fotos: Ronald Pfaff | Erzbistum Paderborn

 

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