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Gefangene der JVA Wolfenbüttel fertigen Würde-Holztafeln

28. Mai 2024

„Würde unantastbar“: Häftlinge brennen Grundgesetz-Worte in Holz. Das Resultat geht in die ganze Republik. Was hinter der Idee steckt.
Langsam drückt Häftling Eugen* den Brennstempel auf das helle Holz. Eine Sekunde, zwei Sekunden, dann hebt der schmale Mann mit dem schütter werdenden Haar das Eisen wieder.  „Würde unantastbar“ steht auf dem bierdeckelgroßen Quadrat, das aus alten Paletten geschnitten wurde.

Der 55-Jährige schiebt die Ärmel seines Gefängnis-Pullovers über verblichene Tätowierungen, greift nach einem Farbeimer, nimmt einen kleinen Stempel, der eine Krone zeigt, und drückt ihn zwischen die beiden Worte. „Fertig“, sagt Eugen über den schmalen Rand seiner Brille hinweg. 761 Exemplare dieser „Würdetafeln“ hat er in der Arbeitstherapie der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel in den vergangenen Wochen bereits hergestellt. Die Bestellungen kommen aus der ganzen Republik: Duisburg, Peine, dem Allgäu. „Dass die Idee so gut ankommt, freut mich“, sagt der katholische Gefängnisseelsorger Markus Galonska. Die Tafel sollen die Würde eines jeden Menschen betonen – auch die der Häftlinge. Denn gerade ihnen, sagt Galonska, der seit vier Jahren in der JVA tätig ist, spreche man jene Würde oft ab. Selbst im Knast blickt man auf manche Mitinsassen herunter. Gefangene wie Eugen, der seit „genau 80 Monaten“ hinter Gittern sitzt, wie er auf Nachfrage sagt. Seine Taten waren schwerwiegend, die Folgen beschädigten das Leben der Menschen, die damit in Berührung kamen.

Delikt und Mensch trennen

Doch auch hinter dem „Täter“ steht ein Mensch, betont Galonska: „Delikt und Mensch, das trenne ich. Die Straftaten können abscheulich sein, das entschuldige ich auch nicht. Aber seine Würde kann ein Mensch niemals verlieren. Die Würde ist der Grund dafür, dass er bereuen und sich ändern kann.“ Genau das sollen die Holztafeln unterstreichen. „Ich hoffe, dass man darüber ins Gespräch kommt, wenn man sie irgendwo sieht.“ Die bisherigen Abnehmer kommen meist aus kirchlichen Kreisen. Aber auch andere Vollzugsanstalten, ein Krankenhaus und Privatleute hätten bereits Exemplare bestellt. Die Idee stammt vom Bonner Künstler Ralf Knoblauch, dessen Anfrage auf dem Tisch des Gefängnisseelsorgers landete. Der Holzbildhauer und Diakon will mit den Tafeln für ein achtsames und wertschätzendes Miteinander werben. Passend zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes, dessen erster Artikel oft zitiert wird, den Knoblauch aber bedroht sieht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Und aller Bürger.

Arbeit gehört zur Würde dazu

Galonska erschien das Thema wichtig. In der JVA wird Arbeit angeordnet. Gleichzeitig könne sie ein Privileg sein. Ein Mittel, um Menschen ihre Würde zurückzugeben. Er sprach den Leiter der Arbeitstherapie an, die in der ehemaligen Anstaltstischlerei untergebracht ist. Wäre das nicht etwas für euch? Thorsten Meyer beredete den Vorschlag mit seinen Schützlingen: zwölf Inhaftierte, die an das Berufsleben herangeführt werden sollen. Weil sie – etwa aufgrund einer Suchterkrankung oder anderer Hemmnisse – in den Betrieben der JVA nicht zurechtkommen. Die Außenseiter unter den Unterprivilegierten. In der Therapie sollen sie ein geregeltes Leben kennenlernen. Meyer mochte die Idee sofort. „Dass die Tafeln von jenen gefertigt werden, denen man nichts Gutes nachsagt, macht sie besonders.“ Jedes Exemplar sei ein Unikat: Einzigartig, wie der Mensch, der sie schafft. Mit zwei Seiten: Glatt auf der einen, rau auf der anderen.

Was Häftlingen die Arbeit bedeutet

Welche Bedeutung die Arbeitstherapie hat, merkt Meyer an Weihnachten: Besonders dann erreichen ihn Dankesbriefe von Ehemaligen aus der Freiheit. „Dem einen oder anderen hat die Zeit bei uns geholfen für das Leben danach.“ Knastseelsorger Galonska ist überzeugt: Die Arbeit gibt Selbstachtung. „Und nur wer sich selbst achtet, achtet auch andere.“ Häftling Eugen ist jedenfalls stolz. „Es ist schön zu sehen, was man mit den Händen erschaffen kann.“ In 15 Monaten kommt er auf freien Fuß. Kurz vor Weihnachten also. Vielleicht erhält Arbeitstherapeut Thorsten Meyer auch von ihm einen Brief. Gestempelt mit einer Krone und zwei wichtigen Worten.

Erik Westermann, Braunschweiger Zeitung  | * Name geändert

 

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