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Novellierung des Gesetzes in NRW zur Gefangenenvergütung

17. Juli 2024

Das Ministerium für Justiz in Nordrhein-Westfalen hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, indem die Gefangenenvergütung in den Landesjustizvollzugsgesetzen novelliert werden soll. Hintergrund ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 2023 zur Gefangenenvergütung (2 BvR 166/16, 2 BvR 1683/17). Darin stellte das Gericht fest, dass die bestehenden Regelungen zur Vergütung der Gefangenenarbeit in den Landesjustizvollzugsgesetzen nicht mit dem Resozialisierungsgebot des Grundgesetzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) vereinbar sind.

Der Gesetzentwurf sieht eine Reihe von Veränderungen vor. Der Hauptpunkt ist die Anhebung der Vergütungsgrundlage von 9 auf 15 Prozent der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV. Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe (BAG-S) wurde zu einer Stellungnahme aufgefordert. Insgesamt verpasst der Gesetzentwurf nach Auffassung der BAG-S die Chance, die Arbeit im Strafvollzug den allgemeinen Lebensbedingungen weiter anzupassen und einen Systemwechsel einzuleiten. Die Stellungnahme der Vorsitzenden der BAG-S, Alexandra Weingart, können Sie an dieser Stelle lesen.

§ 10 Vollzugsplanung

Die Aufnahme aller Behandlungsmaßnahmen in den Vollzugsplan ist positiv zu bewerten. Das BVerfG hat jedoch ein abgestimmtes und wissenschaftlich fundiertes Resozialisierungskonzept gefordert. Eine reine Auflistung von Maßnahmen wird dem nicht gerecht. Es fehlt dem Entwurf ein Konzept, welches die Behandlungsmaßnahmen nachvollziehbar zusammenführt.

§ 29 Beschäftigung, Pflicht zur Ausübung einer zugewiesenen Beschäftigung, freie Arbeit

Die Neuformulierung des Begriffs „Arbeit“ zu „Beschäftigung“ und die Betonung des Bildungsvorrangs sind begrüßenswert. Dennoch darf dies nicht nur in der Veränderung von Begriffen wiedergespiegelt werden. Wir fordern die Aufnahme der Schutzrechte, die mit dem ArbeitnehmerInnenstatus einhergehen, wie z.B. Kündigungsschutz, Anwendung von Tarifverträgen, Mitbestimmungsrechte und Zugang zu Sozialversicherung an dieser Stelle. Die Neuergänzung um das „Day by Day“-Prinzip im Bereich der Ersatzfreiheitsstrafen, wie es in anderen Bundesländern bereits gängig ist, stellt eine positive Entwicklung dar.

§ 32 Vergütung

Wenn inhaftierten Menschen durch Arbeit in Haft vermittelt werden soll, welchen Wert Arbeit hat, muss dieser Wert neben den förderlichen Faktoren der Arbeit auch in der Vergütung für die Betroffenen spürbar sein. Arbeit im Strafvollzug ist nur dann ein wirksames Resozialisierungsmittel, wenn die geleistete Arbeit angemessene Anerkennung findet. Diese drückt sich in monetären und nicht-monetären Vergütungen aus aber auch in der Aufnahme in die Rentenversicherung. Die Anhebung der Vergütungsgrundlage von 9 auf 15 Prozent der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV stellt eine Verbesserung der finanziellen Anerkennung der Arbeit von inhaftierten Menschen dar. Auch die Einführung transparenter Vergütungsstufen ist ein positiver Schritt. Dennoch widerspricht die Aufwertung des Bildungsbegriffes in § 29 an dieser Stelle, da Bildungsmaßnahmen nicht gleichermaßen, wie Arbeit vergütet werden.

Die Erhöhung der Vergütung muss für die inhaftierten Menschen die Möglichkeit schaffen, neben dem Konsum auch Unterhaltsleistungen zu bedienen, Schulden zu tilgen sowie Schadenswiedergutmachung zu leisten oder Ansparungen für die Zeit nach der Haft vorzunehmen. Sie muss mit dem Wert, den Erwerbsarbeit außerhalb des Vollzuges hat, vergleichbar sein. Die Aufnahme von weiteren Rechten für ArbeitnehmerInnen in die Neufassung des Gesetzes wird von uns begrüßt. So ist es aus unserer Sicht positiv, dass Überstunden gezahlt werden oder auch „Tätigkeiten unter erschwerenden Umgebungseinflüssen“ aufgenommen werden.

§ 32a Ausfallentschädigung

Die Einführung der Ausfallentschädigung ist ein begrüßenswerter Schritt. Insbesondere die Tatsache, dass Behandlungsmaßnahmen während der Arbeitszeit vergütet werden, ist positiv zu bewerten, da dies sicherstellt, dass Inhaftierte keinen Verdienstausfall erleiden.

§ 34 Zusätzliche Anerkennung von Beschäftigung

Grundsätzlich begrüßen wir die Anhebung der Freistellungstage von 8 auf 12 Tage. Allerdings erfahren wir aus der Praxis, dass diese Freistellungstage aus unterschiedlichen Gründen für die Betroffenen nicht spürbar sind. Bei Menschen mit einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe, deren Entlasszeitpunkt noch nicht feststeht, ist die Anrechnung nicht möglich, da sie einen Entlassungszeitpunkt voraussetzt. Die Freistellungstage sind auch dann nicht spürbar, wenn die Strafvollstreckungskammern bei der Bestimmung des Entlasszeitpunktes die Haftfreistellungstage erst verlängernd berücksichtigen, um sie dann wieder abzuziehen. Diese Regelung genügt in dieser Form nicht den Anforderungen des BVerfG, das in seinem Urteil zur Gefangenenvergütung ausdrücklich gefordert hat, dass die Anerkennung auch dann, wenn sie nicht allein in Geld, sondern zusätzlich durch nicht monetäre Vorteile erfolgt, einen Gegenwertcharakter für die geleistete Arbeit haben muss, der auch für die Gefangenen unmittelbar erkennbar ist. Der (teilweise) Erlass von Verfahrenskosten wird von uns positiv bewertet, da hier eine beginnende Schuldentilgung stattfinden kann. An dieser Stelle müssen auch Regelungen gefunden werden für die inhaftierten Menschen, die aufgrund eines Mangels an Arbeitsplätzen aber auch aufgrund physischer und psychischer Einschränkungen keine Beschäftigung erhalten.

§ 45 Medizinische Leistungen, Kostenbeteiligungen, Aufwendungsersatz

Die Einführung einer Kostenbeteiligung bei zahnmedizinischer Behandlung erscheint für die BAGS bei der momentanen Regelung problematisch, da zahnmedizinische Behandlungen sehr teuer sind und die Kostenbeteiligung für viele Inhaftierte, die über keine oder nur geringe finanzielle Mittel verfügen, kaum leistbar ist. Sollte eine Angleichung erfolgen, wäre hier die Regelung nach § 55 Abs. 2 SGB V umzusetzen.

Systemwechsel notwendig

Grundlage für die Ausgestaltung des Strafvollzuges ist der Dreiklang des Angleichungsgrundsatzes, Gegensteuerungsgrundsatzes und des Eingliederungsgrundsatzes. So sollen nach § 2 Abs. 1 StVollzG NRW (aktuelle Fassung) die Lebensbedingungen von Inhaftierten so weit wie möglich den allgemeinen Lebensverhältnissen angeglichen werden. Dies schließt auch die Vollzugsgestaltung des Bereichs „Arbeit und Beschäftigung“ mit ein. Darüber hinaus soll Arbeit im Strafvollzug eine angemessene Anerkennung finden, um Gefangenen den Wert regelmäßiger Arbeit für ein eigenverantwortliches und straffreies Leben in Gestalt eines für sie greifbaren Vorteils vor Augen zu führen. Aktuell ist Arbeit im Strafvollzug deutlich von einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zu unterscheiden. Die Arbeit begründet kein normales Arbeitsverhältnis mit in einem Arbeitsvertrag geregelten Rechten (Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, usw.).

Es ist weder eine gewerkschaftliche Vertretung noch eine betriebliche Organisation (wie z.B. Personalvertretung oder Betriebsrat) zugelassen. Dieses Sonderverhältnis setzt sich in der Form der Entlohnung fort, die nicht mit dem Arbeitgeber verhandelt wird, sondern sich nach der Eckvergütung richtet (§ 32 StVollzG NRW – aktuelle Fassung). Weiter werden für die Arbeit im Strafvollzug Beiträge für die Arbeitslosenversicherung gezahlt. Nicht gezahlt werden Beiträge für die Rentenversicherung und für die Kranken- und Pflegeversicherung. Zudem soll in Nordrhein-Westfalen im Unterschied zu anderen Bundesländern (Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen) die Arbeitspflicht weiterhin bestehen bleiben (§ 29 Abs. 1 StVollzG NRW). Für Gefangene, die im offenen Vollzug einer versicherungspflichtigen Beschäftigung außerhalb des Strafvollzuges nachgehen, gelten andere Regeln, nämlich die, denen alle anderen Arbeitsverhältnisse außerhalb der Gefängnismauern auch unterworfen sind.

Eigener Umgang mit Einkommen

Aus Sicht der BAG-S verpasst der vorliegende Gesetzentwurf die Chance, die Arbeit im Vollzug den alltäglichen Lebensbedingungen anzugleichen und damit die Anerkennung von Arbeit als wirksames Resozialisierungsmittel zu verorten. Ein geregeltes Arbeitsverhältnis ist eine wesentliche Bedingung für die Integration in die Gesellschaft und bietet die Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilhabe. Es ermöglicht nicht nur die Existenzsicherung, sondern auch die Möglichkeit der selbstständigen Planung des eigenen Lebens sowie der Absicherung von Krankheits-, Pflege- und der Altersvorsorge. Das System des Arbeitszwangs, welches unterstellt, dass straffällig gewordene Personen nicht arbeiten wollten, fehlende ArbeitnehmerInnenrechte und ein Vergütungssystem, welches einen selbstbestimmten und verantwortungsvollen Umgang mit dem eigenen Einkommen nicht zulässt, kann schwerlich das Vollzugsziel erreichen und den Wert regelmäßiger Arbeit für das Leben herausstellen. Hier ist ein Systemwechsel zu einem Bruttolohnsystem notwendig, nach dem Vorbild des Systems außerhalb des Strafvollzuges: Arbeitende Gefangene erhalten einen deutlich höheren (Brutto-)Lohn, von dem Beiträge für die Sozialversicherungen und auch Beiträge für Haftkosten, Schuldentilgung, usw. abzuziehen sind. Zugleich erfolgt eine Angleichung an den ArbeitsnehmerInnenstatus.

Ausbau Offener Vollzug

Wichtig ist den Ausbau des offenen Vollzugs weiter zu forcieren. Nordrhein-Westfalen weist im Bundesländervergleich die höchste Quote der Unterbringung im offenen Vollzug (28,6 Prozent, bundesweiter Durchschnitt 14,7 Prozent) vor.4 Dies ist zu begrüßen. Die Öffnung zu Arbeits- und Bildungsmaßnahmen außerhalb des Vollzugs verhindert eine Benachteiligung der inhaftierten Personen bei den sich rasch verändernden Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt, wobei insbesondere die Digitalisierung zu nennen ist. Eine besondere Förderung und Entwicklung ist zudem bei der Beschäftigungssituation von inhaftierten Frauen notwendig. Diese werden aufgrund der geringen Gefangenenpopulation momentan dahingehend benachteiligt, dass sie kaum Auswahl bei Arbeits- und Bildungsangeboten haben.

 

 

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