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Gefängnisseelsorge stellt sich dem Thema „Pädokriminalität“

11. Mai 2023

Die Evangelische Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland tagt zum kontroversen Thema der „Pädokriminalität“ in der Sportschule Wedau in Duisburg. Als Referent mit dabei ist Prof. em. Christian Pfeiffer, der aus kriminologischer Sicht aus seinen Studien als ehemaliger Direktor des Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) berichtet. Ein schweres Thema nicht nur für die Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt innerhalb der eigenen Kirche.

Prof. Christian Pfeiffer geht zurück in die Geschichte ins Jahr 1976. Damals hatte er Kontakt in die Welt der Pädophilen. „Das ist eine verrückte Zeit gewesen. Das Märchen der Selbstliebe ging aber nicht auf. Es war keine Wohltat für Kinder den Zärtlichkeiten der Erwachsenen ausgesetzt zu sein“, erläutert der ehemalige niedersächsische Justizminister der SPD in den Jahren 2000-2003. Schon früh wäre der Kontakt zu den Inhaftierten unheimlich lehrreich gewesen. Der Jurist promovierte 1984 mit dem Thema „Kriminalprävention im Jugendgerichtsverfahren“. 1985 wurde er auf eine Professur für Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzugsrecht an der Universität Hannover berufen. 1985 wurde er stellvertretender Direktor des KFN, von 1988 bis 2015 war er dessen Direktor.

Dunkelfeldstudien durchgeführt

Gesicherte Forschungsergebnisse erzielte er 1992 über den Sexuellen Missbrauch in einer Dunkelfeldstudie. Reale Einblicke erhielt er mit den schriftlichen versiegelten Befragungen. 2011, 19 Jahre später, ist die Erkenntnis, dass Kinder und Jugendliche, die mehr Liebe und Anerkennung seitens ihrer Eltern bekommen hätten, weniger dem Risiko ausgesetzt sind, Betroffene sexualisierter Gewalt zu werden. „Geschlagene Kinder würden irgendwann zurückschlagen“, sagt Pfeiffer. Insgesamt wäre die schweren Straftaten zurückgegangen. Auf die Frage nach der Aufarbeitung in der Katholischen Kirche wird Pfeiffer emotional: Bischof Kardinal Marx hätte 2012 zuerst eine Studie in Auftrag gegeben, diese dann aber wieder zurückgezogen. Alle Daten und Erkenntnisse sollten zur Genehmigung der Kirche vorgelegt werden. Dies wäre einer Zensur und einer Scheinforschung gleichgekommen. Der emeritierte Professor wird noch deutlicher. In einem Atemzug könne man nicht nennen, dass es in der evangelischen Kirche gleichermassen sexualisierte Gewalt gibt. In jedem System gibt es die Gefahr von Machtübergriffen. Aber in der Katholischen Kirche gibt es eine Dimension, die es in der Evangelischen Kirche nicht gibt. Namentlich erwähnt Pfeiffer der Zölibat und den nicht vorhandenen Frauenanteil im Klerikerstand. Daher sei dies nicht vergleichbar.

Der kulturelle Teil: Dorothee Schaper mit ihrem kabarettistischen Alter Ego Schmitz präsentierte sich am Eröffnungsabend der Tagung in Duisburg.

Fast 90 TeilnehmerInnen aus dem Bundesgebiet und dem benachbarten Ausland nehmen an der Tagung in Duisburg teil.

Prof. em. Christian Pfeiffer bei seinem Vortrag im Gespräch zum Thema „Pädokriminalität aus kriminologischer Sicht“.

Dr. Anna Konrad erläutert von ihrer sexualwissenschaftlichen Arbeit aus Ursachen und Risikofaktoren für Dissexualität.

Therapeutische Begleitung wichtig

Das 74. Jahrestreffen ist international ausgerichtet. So nehmen VertreterInnen aus Österreich, der Schweiz, Ungarn, Tschechien, Niederlande und Dänemark teil. Als Vertreter der Katholischen Gefängnisseelsorge in Deutschland e.V. ist Michael King von der JVA Herford vor Ort. In einem Vortrag mit Dr. Anna Konrad, wird gefragt, was wir über Menschen mit pädophilen Neigungen wissen. Dr. Konrad ist Psychologische Psychotherapeutin am Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité Berlin. Für das Projekt „Dunkelfeld“ (PPD) liegt der Fokus ihrer Tätigkeit mit den Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen. Es ist Teil des 2011 gegründeten Präventionsnetzwerks „Kein Täter werden“, das nach gemeinsamen Qualitätsstandards arbeitet. Ziel ist es, ein bundesweites, flächendeckendes therapeutisches Angebot zu etablieren. Im Rahmen der Therapie erhalten die betroffenen Personen Unterstützung, um mit ihrer pädophilen oder hebephilen Neigung leben zu lernen, diese zu akzeptieren und in ihr Selbstbild zu integrieren.

Gefängnisseelsorge und pädokriminelle TäterInnen*

SexualstraftäterInnen im Gefängnis haben keinen guten Stand. Oft suchen sie bei der Gefängnisseelsorge Schutz und Halt. In der Wahrnehmung ihrer Würde, ohne den Blick auf Betroffene sexualisierter Gewalt zu verlieren, gilt es, sie als Mensch wahrzunehmen. In diesem Rahmen sollen keine kollaborative Strukturen gefördert werden. So manche Widersprüche und Abgründe halten GefängnisseelsorgerInnen aus, ohne vorschnell Lösungen parat zu haben. Die sozial-systemische Komponente darf nicht „Mitspielen“ im Sinne einer Co-Abhängigkeit sein (Soziologe Hartmut Rosa). In zehn Workshops kreativer und vertiefender Art können die fast 90 teilnehmenden GefängnisseelsorgerInnen aus dem gesamten Bundesgebiet den Themenkomplex weiter beleuchten. Der offizielle Abend mit Gästen aus Justiz und den Kirchen rundet die gelungene Jahrestagung der Evangelischen Gefängnisseelsorge in Deutschland ab.

Michael King

 

3 Rückmeldungen

  1. 📚 King sagt:

    Anna Mirijam Kaschner ist Mariannhiller Missionsschwester (congregatio pretiosi sanguinis, Ordenskürzel: CPS) und seit 2009 Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz. Das ist ist die Bischofskonferenz aus Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden. Kaschner ist geboren und aufgewachsen im Erzbistum Paderborn. Immer wieder meldet sie sich zu den Entwicklungen der Katholischen Kirche in Deutschland zu Wort. Sie schreibt zur Missbrauchs-Tafel in der neuen Paderborner Krypta:

    Weil ich an einen gerechten Gott glaube
    „Also eine Erziehungsmaßnahme für resistente Kleriker? Schaut man in die sozialen Medien, so kann man lesen, dass es gut sei, im Sinne der Aufklärung des Missbrauchs, diese Schuldtafel anzubringen. Aufklärung also. Aber gehört zu einer Aufklärung nicht auch, dass sich die angeklagten Personen erklären können, Stellung nehmen und auch um Vergebung bitten können? All dies ist den beiden Kardinälen nun leider nicht möglich. Und da sie sich durch ihren Tod nun einmal der weltlichen Gerichtsbarkeit entzogen haben, muss man sie wohl noch nachträglich irgendwie „bestrafen“ – und sei es eben durch eine „Missbrauchstafel“.

    Allerdings kann man durchaus fragen, warum dann konsequenterweise nicht an jedem Grab eines pädophilen Familienvaters, eines jeden Vergewaltigers, eines jeden Lehrers, der noch vor 50 Jahren seine Schüler verprügelt hat und an jedem Grab einer Mutter, die ein oder mehrere Kinder abgetrieben hat, genau solche Schuldtafeln zu finden sind? Wahrscheinlich, weil sonst jeder Friedhof einem Schilderwald gleichen würde.

    Als Christ kann man darauf nur antworten: Weil ich an einen gerechten Gott glaube, der nicht nur die Lebenden, sondern eben auch die Toten richten wird. Somit ist jene Missbrauchstafel in der Krypta des Paderborner Domes am Grabe der beiden Kardinäle letztlich nichts anderes als ein Zeichen des tiefen Unglaubens, dass Gott eben nicht gerecht ist und die beiden Kardinäle nicht zur Rechenschaft ziehen wird. Dies müssen daher die Bistumsleitung samt Metropolitankapitel und jeder Besucher der Krypta des Domes in die eigene Hand nehmen.“

    Öffentliche Würdenträger
    Klar, könnte man meinen, die Tafel wäre fehl am Platz. Aber ich denke, die Kleriker und Bischöfe haben und hatten eine Verantwortung und man kann nicht einfach sagen, dass Gott schon gerecht über sie urteilen möge. Es geht um das Hier und Jetzt. Um das Nichtverschweigen und Vertuschen. In diesem Sinne ist die Tafel richtig. Es geht nicht um das Bestrafen der Toten. Der Satz „Aus heutiger Sicht“ ist ein Schlag ins Gesicht. Die dort begraben Männer sind öffentliche Würdenträger. Sie sind nicht für ihre Un-Taten belangt worden. Ehrenvoll sind sie im Hohen Dom bestattet.

    Demgegenüber sind andere Menschen, die sich schuldig machten und starben, irgendwo auf einem Friedhof. Deshalb finde ich es gut, wenn man öffentlich den Missbrauch und das Vertuschen anprangert und dokumentiert. Ich kann die Meinung der Schwester nicht teilen. Dort liegen (Mit-)Täter, die nicht in der Weise mit ihrer Scheinheiligkeit und Zweideutigkeit weiter gewürdigt werden sollen. Warum werden jetzt Plätze, Altenheime und gar Stiftungen von Pfarrern und Bischöfen unbenannt? Weil die Gründer und Stifter gar nicht so fromm und gottesfürchtig waren. Und das aus damaliger Sicht genauso wie im Heute.

    Eine Woche nach der feierlichen Eröffnung der für 2,5 Millionen Euro sanierten Krypta im Paderborner Dom wurde ein Hinweisschild zerstört. Sie soll zeitnah wieder aufgestellt werden.

  2. Bernd Mönkebüscher sagt:

    Sagen wir mal so: Ich verstehe es nicht. In Kürze werden in der Krypta im Paderborn noch ein QR-Code in der Grablege weitere Informationen bieten. Aus heutiger Sicht…

    Laut dem Zwischenergebnis einer Studie zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum haben Jaeger (Amtszeit 1941-1973) und Degenhardt (1974-2002) gravierendes Fehlverhalten im Umgang mit Missbrauchstätern unter den Geistlichen gezeigt. Die Kardinäle hätten Beschuldigte geschützt und ihnen teils auch schriftlich ihr Mitgefühl bekundet. Betroffenen gegenüber hätten sie dagegen keine Fürsorge gezeigt.

    Das sind für mein Empfinden nicht nur AUS HEUTIGER SICHT schwere Fehler. Sie sind es zu jeder Zeit. IMMER sind es schwere Fehler, wenn Beschuldigte geschützt und gepudert und Betroffene nicht gesehen werden.

  3. Möller Nadine sagt:

    Nach mehrjährigen Bauarbeiten wurde die grundrenovierte Krypta im Paderborner Hohen Dom vorgestellt. Eine Erinnerungstafel macht auf das Fehlverhalten der ehemaligen Erzbischöfe im Missbrauchsskandal aufmerksam.

    Das Erzbistum Paderborn hat in der für 2,5 Millionen Euro restaurierte und umgestaltete Krypta des Domes eine Hinweistafel angebracht, die an Verfehlungen der einstigen Paderborner Erzbischöfe Lorenz Kardinal Jaeger (1941-1973) und Johannes Joachim Kardinal Degenhardt (1974-2002) im Umgang mit Missbrauchsfällen erinnert. Die Tafel sei mit der Vertretung der von Missbrauch Betroffenen vereinbart worden, teilte das Erzbistum mit.

    Darauf heißt es unter anderem: „Die hier beigesetzten Erzbischöfe haben während ihrer Amtszeit aus heutiger Sicht schwere Fehler im Umgang mit sexuellem Missbrauch begangen. Allzu oft haben sie Schutz und Ansehen der Institution und der Täter über das Leid der Betroffenen gestellt.“

    An der Universität Paderborn untersuchen Wissenschaftler im Auftrag des Erzbistums seit 2020 in einer unabhängigen Studie den Umgang mit kirchlichem sexuellem Missbrauch zur Zeit der beiden Erzbischöfe. Die Studie wurde im Frühling 2023 ausgedehnt auf die Amtszeit des langjährigen Paderborner Erzbischofs Hans-Josef Becker, der seit 2022 im Ruhestand ist.

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