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Direkter, herausfordernder, echter und unmittelbarer

30. April 2024

Grußwort bei der Evangelischen Gefängnisseelsorge in Deutschland zum Thema „Ver-rückte Welt“.

Bei Ihnen zu sein, das ist für mich fast schon ein bisschen wie nach Hause zu kommen. Von Anfang an haben Sie es mir leicht gemacht. Sie haben mich gleich willkommen geheißen. Ihre Warmherzigkeit hat es mir leicht gemacht, mich einfach so, wie ich bin, in Ihrer Runde wohl zu fühlen. Bei Ihnen darf man auch Fehler und schwache Seiten zeigen. Sie verurteilen nicht. Sie nehmen jeden an, so wie er oder sie ist. Und darum sind Sie auch so eine wichtige Instanz im Gefängnis. Sie ergänzen die Gefängniswelt, die für viele Gefangene als eine vor allem harte wahrgenommen wird.

Niemandem Bericht erstatten

Ein Gefangener versucht, sich an die Gegebenheiten anzupassen. Einerseits Stärke demonstrieren, andererseits Hilflosigkeit aushalten. Nackenschläge hinnehmen, die das Leben einem verpasst, Umstände aushalten, die als ungerecht wahrgenommen werden. Dann wieder sich wehren. Hilfe suchen. Mit dem einen Mitarbeiter in der JVA kann man besser, mit dem anderen schlechter. Und mancher sieht „Feinde“ dort, wo gar keine sind, wo Menschen es gut mit ihm meinen. Sie als Seelsorgende haben noch einmal ganz andere Chancen, sich den Gefangenen zu nähern. Qua Amt sind Sie der oder die „Gute“. Was Ihnen anvertraut wird, darf bei Ihnen bleiben. Sie müssen niemandem Bericht erstatten, Sie müssen keine lebenswichtigen Entscheidungen über den Gefangenen treffen. Formell haben Sie keine Macht über ihn, formell haben Sie eine Position der Schwäche. Und gerade das macht Sie stark. Denn darum muss man Ihnen nichts vormachen, darum kann man bei Ihnen echt sein. Stärke als Schwäche, Schwäche als Stärke wir kennen das aus der Bibel.

Offener, direkter, herausfordernder

Und in der Glaubenswelt im Knast ist Bewegung. Da gibt es keine Erstarrung, da ist Leben. Da knirscht es, da kracht es, da werden Lebenswelten ans Kreuz genagelt, aber da gibt es auch Auferstehung. Meist wenig dramatisch, mehr wie ein Keim, der im Verborgenen wächst, ein zerknicktes Rohr, das dann doch nicht zerbricht. Ein Senfkorn, das keimt. Melissa Schüller aus der JVA Köln-Ossendorf hat einmal gesagt: „Im Knast begegnet man anderen Menschen als in der Gemeinde. Und im Knast begegnet man Menschen anders als in der Gemeinde.“ Das stand in Ihrer Zeitschrift „Aufschluss“, und wir haben das Zitat gern für unsere Homepage übernommen. Die Menschen sind anders, sie halten sich nicht an gesellschaftlich vereinbarte Normen. Der Umgang miteinander ist anders. Offener, direkter, herausfordernder, aber eben oft auch echter, unmittelbarer, erfüllender. Ich denke, man muss einen Sinn für Herausforderungen und Abenteuer haben, um sich als Seelsorgende ins Gefängnis zu wagen. Man weiß nicht, welche Herausforderungen auf einen warten. Sie alle haben den Schritt in die damals unbekannte Welt getan. Und vielleicht wurden Sie von Ihrer Umgebung nicht gerade unterstützt. Oder aber man hat Sie – im Gegenteil – bewundert.

Schreiben von Einsamkeit

Einfacher werden Ihre Arbeitsbedingungen nicht. Es fehlt immer mehr an Personal im Gefängnis, und viele Inhaftierte sind psychisch auffällig. Ver-rückt eben. Ver-rückt an einen Lebensort, der ihnen nicht gut tut und ihre Auffälligkeiten nur verstärkt. Aber sie müssen damit leben, und auch Sie müssen damit leben. Genauso wie wir in der Straffälligenhilfe Schwarzen Kreuz. Bei uns führen Ehrenamtliche zum Beispiel Briefkontakte mit Inhaftierten. Inhaftierte bewerben sich bei uns darum. Und da ist schon mal eine Schwierigkeit, dass sie in aller Regel nicht in Ihre Bewerbung hineinschreiben: „Guten Tag, ich bin ein psychisch kranker Mensch und ich suche einen Briefkontakt mit jemandem, der damit umgehen kann.“ Sie schreiben stattdessen von ihrer Einsamkeit. Wie genau der Mensch im Umgang ist, erfahren wir erst im Lauf eines Briefkontaktes. Psychisch schwierige Menschen machen im Umgang nicht unbedingt Spaß – Sie wissen das. Hier müssen wir auch sehen, wen wir welchem oder welcher Ehrenamtlichen zumuten können. Gut ist, wenn Ehrenamtliche fröhlich akzeptieren können, dass ihr Einfluss sehr begrenzt ist, aber wenn sie den Spielraum, den sie haben, in Nächstenliebe nutzen.

Verlässlich da sein

Wir sind keine Therapeutinnen und Therapeuten, und wir können und sollen niemanden heilen. Aber wir können verlässlich da sein. Wir können Wertschätzung zeigen. Wir können zuhören, manchmal auch einfach nur Klagemauer sein. Wir können beten. Wir können mit unserer kleinen Nächstenliebe eine Ahnung von der übergroßen Liebe Gottes vermitteln. Einmal im Jahr machen wir eine Umfrage, wie die Ehrenamtlichen und die Inhaftierten mit ihren Briefkontakten zurechtkommen. Immer wieder beeindruckend ist, dass gerade „schwierige“ Inhaftierte oft die größte Dankbarkeit zeigen. Sie scheinen durchaus zu wissen, dass der Umgang mit ihnen nicht gerade einfach ist. Und sie wissen es zu schätzen, dass da jemand ist, der sie oft auch einfach aushält.

Der Gefängnisseelsorger Friedrich Kleine aus der JVA Hamburg-Fuhlsbüttel, hat es einmal im „Aufschluss“ so formuliert: „Meine Rolle in dem Passionsspiel Gefängnis ist es, dabeizustehen. Vielleicht (aber das kann ich mir nicht selber sagen, das kann mir nur der am Kreuz sagen), vielleicht ist mein Dabeistehen auch ein Beistehen.“ Nicht wegsehen oder weglaufen wie andere, sondern dabeistehen, beistehen – das klingt bescheiden. Aber vielleicht ist gerade das der größte und wichtigste Dienst, den wir in der Gefängnisseelsorge und im Schwarzen Kreuz den Menschen im Gefängnis erweisen können. Wir im Schwarzen Kreuz sind jetzt schon fast ein Jahrhundert mit dabei. Im nächsten Jahr feiern wir unser hundertjähriges Jubiläum. Und der Bedarf an Menschen, die Inhaftieren beistehen, wird wohl auch in den nächsten hundert Jahren nicht sinken. Danke für all das, was Sie für Menschen in Haft tun! Es fällt sicher nicht immer leicht, sich zu motivieren. Meist sind Sie allein oder vielleicht zu zweit im Gefängnis tätig. Sie sind ein winziger Prozentsatz in der großen Zahl der Mitarbeitenden im Gefängnis. Aber Sie sind für so viele Menschen Salz und Licht. Gott segne Sie und Ihre Arbeit!

Christina Tabea Brucker | Geschäftsführung
Schmochtitz/Bautzen, 18. April 2024

 

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