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Gefängnisseelsorge setzt Zeichen gegen Versuchung des Populismus

24. Oktober 2025

Die Gefängnisseelsorge hört den Inhaftierten zu, bieten Gespräche an und sind vertrauensvoll da. Doch wie können sie ein offenes Ohr zeigen, wenn extremistische Parolen und plakative Sprüche fallen? Ein Blick auf die Studientagung der Katholischen Gefängnisseelsorge in Deutschland e.V. in Erfurt. Hier treffen sich GefängnisseelsorgerInnen aus den Ländern zum Thema „Populismus und Extremismus in Gesellschaft und Justizvollzug“.

 

„Wir müssen Räume schaffen, in denen man sagen kann, was einen bewegt, aber auch hören muss, was das mit anderen macht.“ Christian Klein, Staatssekretär im Thüringer Ministerium für Justiz, Migration und Verbraucherschutz steht vor knapp 60 katholischen Gefängnisseelsorgern aus ganz Deutschland, die sich zu ihrer jährlichen Studientagung, diesmal im Bildungshaus St. Ursula in Erfurt, treffen.

Gefangene wissen, wie SeelsorgerInnen „drauf sind“

Das Thema der Tagung, das sich die Seelsorger selbst gewünscht haben, lautet „Das wird man wohl noch sagen dürfen – Populismus und Extremismus in Gesellschaft und Justizvollzug“. Doch wie oft sind die Seelsorger in ihrem Vollzugsalltag eigentlich mit extremistischen Aussagen konfrontiert? „Ich persönlich habe das ein einziges Mal erlebt, als ein Gefangener beim Besuch seiner Freundin den Hitlergruß zeigte“, sagt Andreas Bär. Er ist Vorsitzender des Vereins „Katholische Gefängnisseelsorge in Deutschland e.V.“ und selbst Seelsorger in der Justizvollzuganstalt (JVA) Nürnberg. Allerdings, lenkt er ein, wüssten die Gefangenen auch, wie die Seelsorger „drauf sind“. „Die wissen, dass sie bei uns für solche Aussagen keine Bestätigung kriegen“, sagt er.

Carsten Schraml, der in der JVA Rheinbach in Nordrhein-Westfalen arbeitet und bei der Tagung die evangelische Gefängnisseelsorge vertritt, hat andere Erfahrungen gemacht. Er habe bereits Hakenkreuze an den Wänden von Gefängniszellen entdeckt. Das Thema Israel vermeide er in Unterhaltungen mit den Gefangenen lieber, sagt er. Andererseits seien auch schon Gefangene zu ihm gekommen und hätten davon erzählt, dass einzelne Angestellte aus dem Personal sie rassistisch beleidigten. Obwohl er den Extremismus im Gefängnis wahrnimmt, bestätigt der evangelische Seelsorger aber Andreas Bärs Einschätzung: „Die Extremisten kommen nicht zu mir.“ Trotzdem gibt es sie natürlich. Der sächsische Verfassungsschutz verzeichnete 2024 über 5000 extremistisch motivierte Straftaten. Die rechtsextremistischen überwogen mit rund 4000 Einträgen insgesamt, wobei es sich bei 109 davon um Gewalttaten handelte. Bei gut 1000 linksextremistischen Straftaten waren es 92 Gewalttaten. Durch ausländische oder religiöse Ideologie motivierte Straftaten stellten die Minderheit dar. Wie viele Täter eine Gefängnisstrafe erhielten, geht aus dem Bericht nicht hervor. Der Leiter der JVA Chemnitz, Jürgen Frank, berichtet in seinem Grußwort davon.

Dem Gefangenen etwas spiegeln

„Der Extremismus entsteht nicht im Gefängnis“, sagt Thüringens Staatssekretär Christian Klein, „sondern er ist ein Widerhall aus der Gesellschaft.“ Er beobachte in der Gesellschaft einen Vertrauensverlust, nicht nur in die Politik, sondern auch in die Kirchen und Religionen. „Die Gefangenen sind auf der Suche nach Klarheit und Zugehörigkeit.“ Extremistische Gruppen würden genau das bieten. An diesem Punkt setzt in seinen Augen die Arbeit der Seelsorger ein: „Theologisch gesehen, setzen Sie als Gefängnisseelsorger ein Zeichen gegen die Versuchung des Populismus.“ Wie aber kann ein Seelsorger gleichzeitig den Raum für sehr persönliche, ehrliche Gespräche öffnen und dennoch einschreiten, wenn die Grenzen der freien Rede überschritten werden?

Etwa, weil es sich um Beleidigungen handelt, die nach dem Strafgesetzbuch sogar strafbar sind? „Wir sind keine profillosen Zuhörer“, erklärt der Vorsitzende Andreas Bär. „Wir haben Werte und als Seelsorger muss ich signalisieren, dass ich die Gleichheit aller Menschen vor Gott hochhalte.“ Habe das, was ein Gefangener sagt, nichts mehr mit Augenhöhe und Respekt vor dem Leben zu tun, so dürfe er das dem Gefangenen auch spiegeln. „Ich kann dem Gefangenen sagen: Ich bin nicht dein Mülleimer.“ Danach, sagt Bär, können sie gern weiter miteinander diskutieren. „Sie eröffnen Gesprächsräume“, bringt Staatsekretär Klein die Arbeit der GefängnisseelsorgerInnen, die im Bildungshaus St. Ursula versammelt sitzen, auf den Punkt. „Und das ist mehr als Seelsorge. Das ist Friedensarbeit.“

Johanna Marin | Tag des Herrn

 

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